Impfschaden - rechtlich durchsetzbar?
Die Verhöhnung der Opfer
Wer Impfschäden erlitten hat, kann den Staat verklagen — als Opfer anerkannt zu werden gleicht jedoch einem Lotteriegewinn. Exklusivabdruck aus "Corona-Impfung".
von Beate Bahner
Beate Bahner setzte sich im April 2020 als eine der ersten Anwältinnen eindeutig und mit juristischen Argumenten gegen die Corona-Maßnahmen zur Wehr. Die Fachanwältin für Medizinrecht provozierte dadurch durchaus ungnädige Reaktionen der Staatsmacht. Die Popularität, die sie damals gewann, führte dazu, dass sehr viel Corona-Elend auf dem Schreibtisch ihrer Anwaltskanzlei landete. In diesem vierten Teil einer kleinen Reihe mit Buchauszügen aus ihrem Spiegel-Bestseller "Corona-Impfung: Was Ärzte und Patienten unbedingt wissen sollten" legt die Juristin dar, dass Geschädigte gegenüber Ärzten und Staat durchaus Rechte haben — tatsächlich auch Recht zu bekommen steht allerdings auf einem ganz anderen Blatt.
Die angebliche Unterstützung des Staates
Jeder Impfgeschädigte kann einen Entschädigungsanspruch gegen den Staat geltend machen — und zwar unabhängig davon, ob er auch persönlich gegen den impfenden Arzt auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld im Wege einer Arzthaftungsklage zivilrechtlich vorgeht (1).
Für Impfschäden gelten die Regelungen des sozialen Entschädigungsrechts. Wer durch eine öffentlich empfohlene Schutzimpfung einen Impfschaden erlitten hat, erhält auf Antrag eine sogenannte Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz. Dies ist in § 60 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) ausdrücklich geregelt.
Die dort zugesicherten Entschädigungsleistungen sollen die Akzeptanz der Schutzimpfung erhöhen. Dieser Entschädigung liegt der sogenannte Aufopferungsgedanke zugrunde, sie wurde erstmals 1961 in Zusammenhang mit der Impfpflicht gegen Pocken gesetzlich geregelt. Denn die Pockenimpfung ging mit einer erheblichen Zahl von schweren und nicht selten bleibenden Gesundheitsschäden einher.
Die Ausrottung der Pocken konnte zum damaligen Zeitpunkt (angeblich) nur um den Preis von Impfschäden erreicht werden. Weil der durch die Pockenimpfung Geschädigte sich für die Gesundheit der Allgemeinheit "aufgeopfert" hatte, sollte er als Entschädigung eine Versorgung durch die Allgemeinheit wegen des Impfschadens erhalten (2).
Die Entschädigung wurde mit der Pockenimpfung eingeführt, da diese eine erhebliche Zahl von schweren und nicht selten bleibenden Gesundheitsschäden verursachte.
Tatsächlich wurde die Pockenkrankheit durch die Impfung nicht etwa reduziert, im Gegenteil: Hatte England im Jahr 1853, bevor die Pockenimpfung dort Pflicht wurde, etwa 2 Pockentodesfälle je 100.000 Einwohner zu verzeichnen, so gab es 20 Jahre später — trotz oder wegen der Impfung — dort fünfmal so viele Todesfälle durch die Pocken.
Im Jahr 1928 bestätigte ein Beitrag in der renommierten Fachzeitschrift British Medical Journal, dass das Risiko, an Pocken zu sterben, für die Geimpften fünfmal so hoch war wie für die Ungeimpften (3). Die sogenannte Aufopferung des Individuums für die Allgemeinheit forderte also schon vor über 150 Jahren einen sehr hohen tödlichen Tribut.
Nach Einführung der Pockenimpfung verstarben in England fünfmal so viele Menschen an Pocken.
Der Patient kann also sowohl den Arzt in Anspruch nehmen als auch direkt beim Staat eine Entschädigung wegen eines Impfschadens beantragen. Dies ergibt sich auch aus § 63 Abs. 2 IfSG, wonach ein Schadensersatzanspruch gegen den Staat aus den Grundsätzen der fahrlässigen Amtspflichtverletzung nach § 839 BGB den Versorgungsanspruch nach § 60 IfSG nicht ausschließt. Dasselbe gilt auch für Arzthaftungsklagen gegen den Arzt.
Allerdings kann eine (eventuelle) finanzielle Entschädigung für eine möglicherweise lebenslange gesundheitliche Beeinträchtigung niemals den tatsächlichen Schaden und den Schmerz der Betroffenen lindern. Denn Gesundheit ist das höchste Gut — sie ist durch nichts aufzuwiegen, und ganz sicherlich nicht durch eine kleine Rentenzahlung und die Übernahme der Behandlungskosten. Vor allem wird es sich am Ende dieses Kapitels zeigen, dass die Chance, überhaupt eine entsprechende Entschädigung zu erhalten, nach einem meist jahrelangen mühsamen Kampf enorm gering ist.
Ein eventueller Entschädigungsanspruch gegen den Staat schließt die Arzthaftungsansprüche gegen den Arzt persönlich nicht aus.
Die Beurteilung, ob eine im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung eingetretene gesundheitliche Schädigung durch die Impfung verursacht wurde, ist Aufgabe des Versorgungsamtes im jeweiligen Bundesland. Gegen eine ablehnende Entscheidung des Versorgungsamtes ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten möglich.
Der Versorgungsanspruch nach § 60 IfSG
Nach § 60 Abs. 1 S. 1 IfSG besteht bei einem Impfschaden auf Antrag ein Anspruch auf Versorgung, wenn der Schaden durch eine Schutzimpfung oder eine andere prophylaktische Maßnahme verursacht wurde. Ein Impfschaden ist nach der Definition des § 2 Nr. 11 IfSG:
(…) die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung; ein Impfschaden liegt auch vor, wenn mit vermehrungsfähigen Erregern geimpft wurde und eine andere als die geimpfte Person geschädigt wurde.
Nach § 1 Coronavirus-Impfverordnung (4) haben alle Personen in Deutschland einen Anspruch auf Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 und sind daher — bei Vorliegen aller weiteren Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruchs — grundsätzlich anspruchsberechtigt nach § 60 IfSG.
Angesichts dieser klaren Regelung kommt es auch nicht darauf an, ob eine Landesbehörde oder die STIKO eine entsprechende Empfehlung ausgesprochen haben. Diese Empfehlung wirkt sich bei der Corona-Impfung nur im Hinblick auf eine Priorisierung im Falle eines Impfstoffmangels aus, der ja schon seit Monaten nicht mehr vorliegt.
§ 60 IfSG gilt auch für Kinder und Jugendliche unter 17 Jahren, für die die STIKO keine generelle Impfempfehlung ausgesprochen hat. Diese Impfungen sind ebenfalls nach der Coronavirus-Impfverordnung zulässig (5).
Laut einer Stellungnahme des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) übernimmt der Bund potenzielle Versorgungsansprüche der Patienten auch bei den ab September 2021 möglichen Auffrischimpfungen, vorausgesetzt die ärztlichen Sorgfaltspflichten bei der Aufklärung und Verabreichung des Impfstoffs werden beachtet (6).
Art und Umfang der Entschädigung
Der Inhalt des Versorgungsanspruchs richtet sich gemäß § 60 Abs. 1 S. 1 IfSG grundsätzlich nach den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) (7). Der Begriff "Entschädigung" oder "Schadensersatz" wird nicht verwendet, es handelt sich vielmehr um einen sogenannten "Versorgungsanspruch wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung durch die Impfung". Ein Schmerzensgeld ist — anders als beim Arzthaftungsanspruch — ausdrücklich nicht vorgesehen.
Die Versorgung beinhaltet in Abhängigkeit vom festgestellten Grad der Schädigungsfolge (GdS):
- einkommensunabhängige Leistungen, wie Grundrente, Pflegezulage, Kleiderverschleißzulage, Schwerstbeschädigtenzulage, und
- einkommensabhängige Leistungen, wie Ausgleichsrente, Ehegattenzuschlag, Berufsschadensausgleich (8).
Geregelt ist auch die Hinterbliebenenversorgung für Witwen, Witwer, Waisen und Eltern. Es besteht weiterhin die Möglichkeit der Übernahme von Kosten bei schädigungsbedingter Pflegebedürftigkeit und bei Heimaufenthalt sowie der Zahlung von Sterbe- und Bestattungsgeld. Weitere Leistungen sind Heil- und Krankenbehandlung, Fürsorge (Kriegsopferfürsorge) und Versorgung mit orthopädischen Hilfsmitteln. Dem Geschädigten sind im Rahmen der Heilbehandlung auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind (vgl. § 62 IfSG).
Die "Versorgungsansprüche" sind in detailreichen Vorschriften in §§ 9 ff. Bundesversorgungsgesetz geregelt. Erfahrungsgemäß muss um fast jede Position erbittert gekämpft werden. Voraussetzung ist allerdings, dass im Falle einer Impfung ein Impfschaden überhaupt anerkannt wird. Sodann muss der Grad der Schädigungsfolge festgestellt werden, damit überhaupt erst die Voraussetzungen für mögliche Versorgungsansprüche erfüllt sind.
Erste Schritte bei Verdacht auf Impfschaden
Melden Sie Ihren Verdacht dem impfenden Arzt, dem zuständigen Gesundheitsamt und/oder dem Landesversorgungsamt Ihres Bundeslandes (9). Ausreichend ist dabei die Mitteilung an die entsprechende Stelle, dass Sie einen Impfschaden vermuten und diesen überprüfen lassen möchten.
- Schreiben Sie alle Reaktionen auf, die Sie im Zusammenhang einer Impfung sehen.
- Sichern Sie Ihr Impfbuch (oder Impfpass), eventuelle Arztbriefe und Krankenhausberichte.
- Sofern Sie Zeugen für Reaktionen haben, sollen auch diese ihre Beobachtungen aufschreiben.
- Führen Sie Tagebuch. Alles, was von Ihrem bisherigen Gesundheitszustand abweicht, könnte wichtig sein. Wichtig ist grundsätzlich der zeitliche Zusammenhang.
Wenden Sie sich an einen Experten, zum Beispiel an einen auf das Impfrecht spezialisierten Anwalt oder an einen der Verbände, die eventuell weitere Empfehlungen zur Unterstützung aussprechen können. Nachfolgend finden sich beispielhaft einige Vereine, Verbände und weiterführende Homepages:
- www.bundesverein-impfgeschädigter-ev.de
- www.individuelle-impfentscheidung.de
- www.impfentscheidung.online
- www.impfkritik.de
- www.efi-online.de
- www.impf-report.de
- www.impfausschuss.de
- www.zentrum-der-gesundheit.de/bibliothek/impfen
Einleitung des Verfahrens
Nach der Meldung des Impfschadens durch den Arzt oder den Geschädigten muss der Impfgeschädigte einen schriftlichen Antrag stellen. Zuständig hierfür sind die jeweiligen Versorgungsämter der Länder (§ 64 Abs. 1 IfSG). Die konkret zuständigen Behörden können im Internet oder bei den Gesundheitsämtern erfragt werden. Mit dem Antrag wird automatisch ein Verfahren eingeleitet.
Dem Antrag sind verschiedene Unterlagen beizufügen, insbesondere Nachweise über die Verabreichung der Corona-Impfung, also der Impfausweis und die nachfolgenden Behandlungsunterlagen.
Das Versorgungsamt beauftragt sodann einen oder auch mehrere Gutachter, die den Antrag, den behaupteten Schaden und insbesondere die Kausalität zwischen Schaden und Impfung prüfen (und im Zweifel ablehnen). Auf die Wahl des Gutachters besteht in der Regel kein Einfluss, obwohl versucht werden kann, einen solchen vorzuschlagen. Ein sehr kostspieliges, privat in Auftrag gegebenes Gutachten ist erst dann zu empfehlen, wenn der Antrag abgelehnt wurde.
Wird der Impfschaden anerkannt, stehen dem Betroffenen beziehungsweise den Angehörigen die oben genannten Versorgungsleistungen zu. Führt das Gutachten aber dazu, dass keine Entschädigung zugestanden wird, weil die Kausalität zwischen Impfung und Schaden vom Geschädigten nicht nachgewiesen wurde, was leider meistens der Fall ist, kann gegen den Bescheid binnen Monatsfrist Widerspruch eingelegt werden. Es wird dann in diesem Widerspruchsverfahren erneut ein Gutachten erstellt, wobei ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung voraussichtlich wiederum bestritten werden wird.
Beweis des Impfschadens durch den Geschädigten
Die durch die Corona-Impfung geschädigte Person hat also "dem Grunde nach" zwar einen Anspruch auf "Versorgung". Der Geschädigte ist jedoch — ebenso wie im zivilrechtlichen Arzthaftungsprozess gegen den Arzt — auch bei der Durchsetzung dieses Anspruchs in der sogenannten Beweislast (10). Er muss also auch bei der Geltendmachung eines Versorgungsanspruchs gegen den Staat nachweisen, dass seine Beschwerden, die gesundheitliche Schädigung oder gar der Tod des Angehörigen "durch die Schutzimpfung" erfolgt sind — und nicht auf einer anderen Ursache beruhen.
Allein die Geltendmachung eines Impfschadens reicht für die Anerkennung eines Versorgungsanspruchs nicht aus. Der Staat wird nämlich immer behaupten, der Schaden beruhe auf einer anderen Ursache — selbst wenn der Patient eine Stunde nach der Impfung verstirbt.
Der Geschädigte selbst muss also den schädigenden Vorgang, zunächst die Durchführung der Schutzimpfung, eine Impfkomplikation in Form einer gesundheitlichen Schädigung und die Dauerhaftigkeit der gesundheitlichen Schädigung (sog. Impfschaden) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachweisen (11). Diese Tatsachen müssen mit einem so hohen Grad an Wahrscheinlichkeit festgestellt sein, dass kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (12).
Nachweis der Kausalität ist schwer zu erbringen
Den Nachweis, dass die Schädigung auf der Impfung beruht, muss der Geschädigte nur mit hinreichender Wahrscheinlichkeit führen (§ 61 S. 1 IfSG) (13). Das bedeutet, dass nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände mehr für als gegen einen Kausalzusammenhang zwischen Impfung und Schaden spricht (14). § 61 IfSG bestimmt in Anlehnung an § 1 Absatz 3 BVG:
Zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn diese Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde der Gesundheitsschaden als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 anerkannt werden. Die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.
Angesichts der bislang zu beobachtenden kategorischen Leugnung eines Zusammenhangs zwischen dem Gesundheitsschaden oder dem Tod zur vorherigen Corona-Impfung durch Ärzte (15), Betroffene oder Angehörige wird genau diese Frage der Kausalität jedoch die größte Hürde im Verfahren sein.
Bei mehreren Schadensursachen beruht der Schaden rechtlich zwar dann auf der Impfung, wenn die Impfung nach Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Schadens mindestens so wichtig ist wie die übrigen Umstände zusammen (16). Die fraglichen Ursachenzusammenhänge müssen hierbei nach aktuellen und neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen beurteilt werden (17).
Dieses Buch hat jedoch belegt, dass im Zusammenhang mit der Corona-Impfung auf nahezu alle wissenschaftlichen Erkenntnisse und evidenzbasierten Nachweise verzichtet wurde, dass es daher ein nahezu allgemeines Leugnen des Schädigungscharakters der Impfung gibt (18) und dass der Kausalitätsnachweis daher nur mit redlichen ärztlichen Sachverständigen zu führen sein wird. Diese Redlichkeit ist — spätestens seit der Einführung der "Epidemischen Lage" durch § 5 IfSG im März 2020 — leider so selten geworden wie ein Goldfund am Rhein.
Spätestens jetzt wird klar, dass die Anerkennung eines Impfschadens einem Lotteriespiel ähnelt. Denn wenn die Symptome nicht unmittelbar nach der Impfung auftreten und wenn von den Sachverständigen für den Schaden andere Umstände verantwortlich gemacht werden oder die Symptome als untypisch beziehungsweise im Zusammenhang mit der Impfung als nicht erklärbar eingestuft werden, stehen die Chancen für die Anerkennung eines Impfschadens schlecht (19). Damit entfällt auch jedweder Anspruch auf finanzielle Entschädigung.
Herrscht in der medizinischen Wissenschaft hinsichtlich der Ursächlichkeiten Ungewissheit, kann ein Schaden zwar gegebenenfalls mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde anerkannt werden (§ 61 S. 2 IfSG) (20). Ein solcher Anspruch ist aber nicht einklagbar, sondern beruht auf dem Ermessen und damit dem Wohlwollen der zuständigen Behörden. Hierauf zu hoffen wäre höchst blauäugig. Damit erhalten die geschädigten Patienten letztendlich im Zweifel keinerlei Entschädigung und Unterstützung.
Kein Patient sollte sich darauf verlassen, dass er im Falle eines Impfschadens irgendeine Unterstützung des Staates erwarten kann.
Nachtrag vom 30.05.2023:
https://norberthaering.de/news/mertens-post-vac/
Quellen und Anmerkungen:
(1) Auf diese angebliche "Entschädigung" und die damit verbundene angebliche Haftungsfreistellung der Ärzte hatte die KBV ausdrücklich hingewiesen, um hierdurch sowohl die Ärzteschaft als auch die (möglicherweise) beunruhigten Bürger zu vertrösten und in Sicherheit zu wiegen, vgl. Kapitel 2.3
(2) Nationaler Impfplan vom 1. Januar 2012, S. 49, https://www.saarland.de/SharedDocs/Downloads/DE/msgff/tp_gesundheitprvention/downloads_servicegesundheit/downloads_impfungen/download_nationalerimpfplan.pdf
(3) Vgl. Engelbrecht/Köhnlein, Virus-Wahn, S. 54 m. w. N. Auch die Philippinen erlebten Anfang des 20. Jahrhunderts trotz vollständiger Durchimpfung ihre schlimmste Pockenepidemie.
(4) CoronaImpfV, Stand 13. Juli 2021, https://www.gesetze-im-internet.de/coronaimpfv_2021-06/
BJNR615310021.html
(5) Nachricht der KBV vom 10. August 2021, https://www.kbv.de/html/1150_53651.php
(6) Nachricht der KBV vom 10. August 2021, https://www.kbv.de/html/1150_53651.php
(7) "Bundesversorgungsgesetz" in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Januar 1982 (BGBl. I S. 21), das zuletzt durch Artikel 9 des Gesetzes vom 25. Juni 2021 (BGBl. I S. 2020) geändert worden ist,
https://www.gesetze-im-internet.de/bvg/BVG.pdf
Das Bundesversorgungsgesetz (BVG) regelt in Deutschland die staatliche Versorgung von Kriegsopfern des Zweiten Weltkriegs. Durch die entsprechende Anwendung der Leistungsvorschriften bei sonstigen Personenschäden stellt es mittlerweile die zentrale Vorschrift des sozialen Entschädigungsrechts dar. Das Gesetz gilt nach § 68 SGB I als besonderer Bestandteil des Sozialgesetzbuches und wird zum 1. Januar 2024 in das Vierzehnte Buch Sozialgesetzbuch eingeordnet.
(8) Vgl. hinsichtlich des Versorgungsumfangs §§ 9 ff. Bundesversorgungsgesetz
(9) Vgl. zur Meldepflicht Kapitel 16
(10) Vgl. hierzu Kapitel 29.1
(11) BSG, Beschl. vom 29. Januar 2018 — B 9 V 39/17 B Rn. 7; Bay. LSG, Urt. vom 14. Mai 2019 — L 15 VJ 9/17. Im konkreten Fall wurde der Nachweis der Impfimplikation als nicht erbracht angesehen, da "Schreien" nach der MMRV-Impfung auch andere Ursachen haben könne; LSG Baden-Württemberg, Urt. vom 21. Juli 2006 — L 8 VJ 847/04 Rn. 32, Anspruch nach Polyomyelitis-Impfung wurde anerkannt, weil Sachverständiger die Impfung als Ursache für Epilepsie für möglich hielt und erbliche Vorbelastung ausgeschlossen werden konnte.
(12) BSG, Urt. vom 28. Juni 2000 — B 9 VG 3/99 R
(13) BSG, Urt. vom 19. März 1986 — 9a RVi 2/84 Rn. 8
(14) BSG, Urt. vom 19. März 1986 — 9a RVi 2/84 Rn. 8; Bay. LSG, Urt. vom 14. Mai 2019 — L 15 VJ 9/17 Rn. 53
(15) Vgl. hierzu Kapitel 15.4
(16) Bay. LSG, Urt. vom 14.05.2019 — L 15 VJ 9/17 Rn. 55
(17) BSG, Urt. vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R; Bay. LSG, Urt. vom 14.05.2019 — L 15 VJ 9/17 Rn. 56
(18) Vgl. hierzu Kapitel 15.4
(19) Dies bestätigt die "Auswertung der Meldungen von Verdachtsfällen auf Impfkomplikationen nach dem Infektionsschutzgesetz", eine Publikation aus dem Jahr 2002, wonach fast keiner der gemeldeten Verdachtsfälle als kausal mit der Impfung angesehen wurde,
https://www.pei.de/SharedDocs/Downloads/wiss-publikationen-volltext/bundesgesundheitsblatt/2002/2002-auswertung-impfkomplikationen-infektionsschutzgesetz.pdf?__blob=publicationFile&v=2
(20) Bay. LSG, Urt. vom 14. Mai 2019 — L 15 VJ 9/17 Rn. 40
Dieser Artikel erschien auf Rubikon am 04.12.2021 und ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen Sie es verbreiten und vervielfältigen.
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Ein Plädoyer für rhetorische Abrüstung
Bild: ccnull.com
Vor einem Jahr begann der russische Überfall auf die Ukraine, die Opfer sind auf beiden Seiten im sechsstelligen Bereich, und Europa, der gesamte „Westen“ ist verwirrt. Wie geht man damit um, dass der Krieg direkt vor der Haustür wütet?
Wir Europäer, die wir mit wenigen Ausnahmen allesamt in NATO-Mitgliedsstaaten leben, haben das in diesem Falle kompliziert wirkende Privileg, den Krieg aus der Position des Angegriffenen nicht mehr zu kennen. Er ist uns allerhöchstens als Abstraktum aus der Entfernung bekannt, als etwas, das weit abseits unserer eigenen Ländereien stattfindet, als etwas, das wir primär in Zahlen wahrnehmen. Todeszahlen vielleicht, Jahreszahlen mit Sicherheit. Ein Großteil von uns hat keine Vorstellung davon, wie der Boden unter den Füßen vibriert, wenn Bomben einschlagen, wie es schmerzt, wenn eine Patrone sich durch den Körper bohrt. Wir kennen nicht den Rückstoß einer Waffe nach einem abgegebenen Schuss, nicht das krachende Geräusch einstürzender Häuser, nicht die Geruchskombination von Schwarzpulver, Blut und Kerosin. Und das ist unser Glück.
Krieg, das bedeutete für westliche Staaten in den letzten Jahrzehnten eher eine Abwägung von Ziffern nach Pro und Contra. Pro: Von Krieg kann und konnte man als nicht direkt beteiligte Nation stets durchaus profitieren. Noch 2019 verdiente die Bundesrepublik durch Waffenexporte mehr als acht Milliarden Euro. Contra: Viele Menschen flohen vor Krieg und suchten nun Obdach bei denen, die mitverantwortlich dafür waren, dass dieser nach wie vor beharrlich weitertoben konnte: den Exporteuren. Aber in allen diesen Fällen gab es nie die ernstliche Gefahr, selbst in einen Konflikt zu geraten, zumal mit einer Atommacht.
Dies änderte sich radikal am 24. Februar durch Putins Invasion, und seitdem haben sich die Parameter verschoben. Der öffentliche Diskurs geriet in einen Schockzustand, der bis heute anhält. Damit einher ging das sofortige Bedürfnis, sich zu positionieren, ein Phänomen, das wir spätestens seit den Terroranschlägen in Paris 2015 nur allzu gut kennen. Profilbilder änderten sich, Hashtags kamen auf, die Menschen waren im ehrlichen Bemühen, sichtbar auf der richtigen Seite zu stehen. Der Krieg, dieses merkwürdige Etwas, das so lange so weit weg und nun plötzlich wieder ganz nah war, wurde zu einer Frage der Identifikation.
In den letzten Jahren ist immer wieder von einer „Spaltung der Gesellschaft“ die Regel gewesen, zuletzt während der Corona-Pandemie und den damit einhergehenden Debatten über Grundrechtseinschränkungen zum Schutz der Volksgesundheit oder Impfpflichten. Blickt man auf die Meinungsumfragen, die während der Pandemie erstellt wurden und sich mit der Frage der Zufriedenheit mit der Gesundheitspolitik der Regierung befassten, stellt man jedoch fest, dass für die längste Zeit eine überwiegende Mehrheit die Maßnahmen für angebracht oder sogar nicht ausreichend hielt, während ein kleinerer Teil sie als übertrieben ansah. Auch bei der Impfpflicht gab es laut Meinungsumfragen im Winter 2021 eine Zweidrittelmehrheit für die Einführung der verpflichtenden Covid-Schutzimpfung in der Bevölkerung.
Jedoch: die Gräben wurden vor allem im öffentlichen Diskurs ausgehoben. Hier war ein Muster zu beobachten, das sich im Ukraine-Krieg nur wiederholen sollte: Eine außergewöhnliche Situation, eine Not bahnt sich an, die Bevölkerung sucht händeringend eine Leitlinie, und sobald sie diese gefunden hat, hält sie sich an ihr fest und beginnt, da ihr in einer solchen beispiellosen Lage keine historisch gewachsene Handlungsgrundlage zur Verfügung steht, sich mit ihr zu identifizieren. Ein Beispiel für eine historisch gewachsene Handlungsgrundlage ist auch die Religion, und tatsächlich sind ähnliche Mechanismen hier zu beobachten: Das Individuum ist geneigt, ein Stück seiner Individualität aufzugeben, um sich der scheinbar guten, und einzig guten, Sache zu verschreiben, Angriffe gegen sie abzuwehren, und sein Handeln nach ihr auszurichten.
Dies bedeutete im Falle von Corona auch ein erhebliches Problem in der Konfrontation mit Gegenentwürfen. Der Mensch hat große Schwierigkeiten mit kognitiver Dissonanz. Wir wissen von Leon Festinger, dass Menschen aktiv versuchen, Situationen zu vermeiden, in denen dissonante Kognition entstehen kann. Es ist anzunehmen, dass eine Person, die von der Schädlichkeit der mRNA-Impfstoffe überzeugt ist, dazu neigt, aktiv der Auseinandersetzung mit Gegenargumenten zur eigenen Position aus dem Weg zu gehen, und umgekehrt.
Das führt in der Steigerung zur Bildung von Filterblasen, in der man sich mit Gleichgesinnten umringt und Andersdenkenden mindestens mit Vorbehalten, wenn nicht gar offen feindselig begegnet. Es führt auch dazu, dass die Information ihre Neutralität verliert und damit eine gemeinsame Basis, auf der sich produktiv, in der Sache durchaus hart, aber auch respektvoll gestritten werden kann. Im Bestätigungskreislauf innerhalb dieser Filterblasen wird zudem dazu beigetragen, einzelne User in ihrer Position zu verfestigen, teilweise nahezu zu radikalisieren: Sie sind überzeugt, richtig zu liegen, weil Gegenrede kaum zu ihnen durchdringt und sie von ihrer Blase Zustimmung ernten, und werden zudem freimütiger in der offen präsentierten Diskreditierung anderer Positionen, da sie sich der Unterstützung durch andere Mitglieder ihrer Blase sicher sind.
Im Ukraine-Krieg erleben wir ähnliches – hier jedoch ist die Spaltung noch eklatanter. In der Frage, wie man Lieferung von Kampfpanzern in die Ukraine stehe, gab es Momente, in der Zustimmung und Ablehnung prozentual nahezu gleichauf waren. Im ARD-DeutschlandTrend vom 19. Januar 2023 waren 46% für und 43% gegen die Lieferung von Leopard-2-Panzern in die Ukraine. Hier scheint, anders als während der Pandemie, der Riss nahezu exakt durch die Mitte der Gesellschaft zu verlaufen, mal mehr, mal weniger.
Wozu das führt, kann man tagtäglich auf sozialen Netzwerken beobachten. Die Debatte um das „Manifest für Frieden“ von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht, gepaart mit der Rezeption der Kundgebung am 25. Februar 2023, sind ein Paradebeispiel für die Feindseligkeit, mit der die „Meinungslager“ einander gegenüberstehen. Die vorhin erwähnte Identifikation mit der eigenen Position, Für oder Gegen, führt gleichermaßen zu einer Verallgemeinerung der Gegenseite zum Zwecke ihrer Abwertung. Dabei werden geschichtsträchtige, klar ausdefinierte Terminologien teilweise rücksichtslos aus allen Rohren gefeuert, um den anderen zu diskreditieren. Dabei nimmt man jedoch ein Maß an Verwischung der eigentlichen Bedeutung in Kauf, das an Verklärung und in manchen Fällen an Revisionismus grenzt.
Dies ist ein Trend, der spätestens in der Corona-Pandemie begann. Seitdem sich Protest gegen die beschlossenen Maßnahmen erhob, prägten die Fürsprecher der Pandemiepolitik den Begriff „Schwurbler“. Gemeint waren damit in erster Linie Verschwörungsideologen aller Art, alsbald jedoch weitete der Begriff sich auf die gesamte maßnahmenkritische Bewegung aus. „Schwurbler“ war bald nicht mehr nur jemand, der die Pandemie für ein geplantes Manöver der Mächtigen zur Bevölkerungsreduktion hielt, vielmehr wurde auch der zum „Schwurbler“, der der Regierung ein undemokratisches und ungerechtfertigtes Eingreifen in die Grundrechte vorwarf. „Schwurbler“ war, wer Corona für erfunden hielt, aber auch, wer es für nicht so schlimm hielt; wer hinter der Impfung die Implantierung von Microchips witterte, aber auch, wer die Impfung für gesundheitsschädlich hielt. Das sind jedoch sehr unterschiedliche Positionen. Und noch abstruser wird es, wenn dieser Begriff nun auf Befürworter einer Verhandlungslösung des Ukraine-Kriegs ausgeweitet wird.
Ähnlich, und hier begeben wir uns tendenziell auf die Ebene des Revisionismus, verhält es sich mit politisch aufgeladenen Begriffen wie „Faschist“ oder „Nazi“. Mit beiden Begriffen wird seit mindestens drei Jahren ausgesprochen unvorsichtig umgegangen. Während manche der grünen Partei Faschismus vorwerfen, attestieren andere Faschismus jedem, der sich in welcher Form auch immer für eine Verhandlungslösung des Kriegs in der Ukraine ausspricht, unabhängig von der jeweiligen Argumentationsgrundlage. Durch die Willkür, mit der gleichsam Sahra Wagenknecht, aber auch der Bundesregierung Faschismus vorgeworfen wird, trägt man zu einer Unschärfe bei, bis völlig unklar ist, was der Begriff eigentlich bedeutet, außer, dass jener, der mit ihm belegt wird, unbedingt zu den Schlechten, Bösen, Verachtenswerten gehört.
Man mag es für Pose oder Taktik halten, wie man möchte: Der zweite Absatz des „Manifests für Frieden“ beinhaltet eine klare Benennung Russlands als Aggressor, so wie auch ein nicht kleiner Teil der Unterstützer des Manifests nicht nur eindeutig der Ansicht ist, dass Russland Verursacher des Krieges ist, sondern dass es sich bei Vladimir Putin um einen skrupellosen Diktator handelt. Natürlich gibt es Menschen, die einer Verherrlichung des Putin-Regimes anheimfallen, oder Feindseligkeiten gegenüber der Ukraine hegen. Ich halte es jedoch für ausgesprochen unrealistisch, dass es sich bei den 43%, die am 19. Januar gegen die Panzerlieferung waren, durch die Bank weg um Putin-Fanatiker handelte, die die Ukraine scheitern und Russland gewinnen wollen sehen. Ebenso wenig wird das auf die 67% der Befragten zutreffen, die sich in einer YouGov-Umfrage vom Jahrestag des Krieges für Friedensverhandlungen ausgesprochen haben.
In der Diskreditierung der Gegenseite wird auch gern zu Pathologisierungen gegriffen. „Abgedriftet“, „lost“, „durchgedreht“ – all diese Adjektive dienen dazu, Menschen, die einer anderen Ansicht sind als man selbst, die Fähigkeit zum fundierten Bilden einer Meinung und gleichsam auch die Berechtigung zur Äußerung dieser abzusprechen. Gleiches gilt für Begriffe wie „Schlafschaf“, die den Gemeinten bezichtigen, nicht aus Überzeugung zu argumentieren, sondern einer Manipulation anheimgefallen zu sein. Das gesendete Signal ist eindeutig: Du bist so dumm, so schwach, dass du gar kein Recht darauf hast, dir eine Meinung zu bilden und diese wiederzugeben. So verhält es sich auch mit dem Vorwurf, das Gegenüber habe sich durch Propaganda blenden lassen und somit die eigene Naivität entlarvt.
Die Gründe, aus denen Menschen gegen die Lieferung von immer schwereren Waffen sind, sind vielfältig. Die Gegner dieser Lieferungen sind eben nicht durch die Bank weg Befürworter von Putins Krieg, sie sind vielleicht auch von einer Sorge um eine Eskalation getrieben, oder von einer generellen Ablehnung von Waffenlieferungen (die sich nicht zuletzt die Grünen 2021 noch auf die Fahnen schrieb). Die Hunderttausenden von Unterzeichnern des „Manifests für Frieden“ haben mit großer Sicherheit mannigfaltige, sehr unterschiedliche Gründe für ihre Unterschriften.
Dies überträgt sich auf die Bilder, die sich der Zuschauerschaft während der Kundgebung am 25. Februar boten. An der Veranstaltung nahmen Marxisten ebenso teil wie Libertäre oder Gewerkschaften, das Teilnehmerfeld war hochgradig inhomogen. Vereinzelt waren AfD-Politiker und -Anhänger oder andere rechte bis rechtsextreme Persönlichkeiten anwesend, auch der rechte Verleger Jürgen Elsässer versuchte, sich auf der Kundgebung zu platzieren. Mindestens Letzterer jedoch ist recht bald erst von Sevim Dagdelen zum Verlassen der Veranstaltung aufgefordert und später von anderen Teilnehmern an den Rand gedrängt und isoliert worden, nachdem die Polizei sich nach mehreren Berichten weigerte, ihn zu entfernen, woraufhin er schließlich von dannen zog.
Während ihrer Rede sagte Sahra Wagenknecht, „Neonazis und Reichsbürger, die in der Tradition von Regimen stehen, die für die schlimmsten Weltkriege der Menschheitsgeschichte (sic!) Verantwortung tragen“ hätten „selbstverständlich“ nichts auf der Kundgebung zu suchen. Auch dies mag man für eine unaufrichtige Pseudo-Distanzierung halten, wenn man jedoch, wie die SPIEGEL-Journalistin Ann-Katrin Müller es auf Twitter tat, Wagenknecht habe sich auf der Bühne nicht „aktiv von rechts“ distanziert, trägt man Mitverantwortung für das Problem der aktuellen öffentlichen Debatte, nämlich die Polarisierungen und Zuschreibungen.
Quelle: Twitter / Ann-Katrin Müller
Der Diversität des anwesenden Publikums und dessen Beweggründen wird man mit Aussagen wie „Wer mit Nazis, Faschisten, Antisemiten marschiert, ist Nazi, Faschist, Antisemit!“ (so der ehemalige „Extinction Rebellion“-Sprecher Tino Pfaff auf Twitter) schlichtweg nicht gerecht. Die Polizei sprach davon, dass ein Großteil des Teilnehmerfelds der Mitte der Gesellschaft entspringe. Die Überzeugung, dass Waffenlieferungen auf Dauer keine Lösung des Krieges sein können, ist nicht inhärent rechts. Es ist nicht Faschisten vorbehalten, die Position zu vertreten, dass ein militärischer Sieg der Ukraine über Russland nicht möglich ist, ohne dass die NATO Kriegspartei wird und die Ukraine nicht mehr nur mit Waffen unterstützt. Sichtlich kompliziert wird es auch, zu argumentieren, dass es sich bei den Befürwortern des „Manifests für Frieden“ genauso um Schwurbler handele wie bei den Kritikern und Gegnern der Corona-Maßnahmen.
Quelle: Twitter / Tino Pfaff
Übereinstimmungen in einem Punkt sind kein Indiz für eine Deckungsgleichheit sämtlicher Positionen. Die AfD schreibt beispielsweise in ihrem Grundsatzprogramm den Satz: „Als fühlende Wesen haben Tiere ein Recht auf eine artgerechte Haltung im privaten wie im kommerziellen Bereich.“ In einer aufgeklärten, politisch gebildeten Gesellschaft ist es sehr wohl möglich, die AfD als eine rechtskonservative bis nationalistische Partei zu erkennen und abzulehnen, und gleichsam dieser solitären Position zuzustimmen. Ebenso kann ein Mensch Argumente für die Lieferung von schweren Waffen ins Feld führen, ohne sich dabei der Kriegslüsternheit oder -treiberei verdächtig zu machen.
Ein Dissens ohne Stigmatisierung des Opponenten scheint aktuell, unabhängig der Seite, der man sich selbst zugehörig fühlt, nicht möglich. Das Vertreten einer Position gerät zunehmend zu einer Verschmelzung mit dieser – mindestens in der Betrachtung durch die Gegenseite. Ein Mensch, der somit aus welchen Gründen auch immer eine gewisse Meinung vertritt, wird somit seiner Individualität entbunden und nur noch als Teil einer Masse wahrgenommen, somit muss er auch alle anderen Teile dieser Masse vertreten.
Dass diese Massen jedoch immer inhomogen sind, dass es innerhalb jeder Gruppierung Differenzen und Grautöne gibt, wird ausgeblendet. Dies führt unter anderem zu der bitteren Ironie, dass nicht wenige Kommentatoren in sozialen Netzwerken den ehemaligen ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk in Schutz nehmen, wenn dieser den nationalistischen und antisemitischen Kriegsverbrecher Stepan Bandera verteidigt, während sie zeitgleich Befürwortern einer Verhandlungslösung pauschal der Unterstützung, wenn nicht gar Verherrlichung von Faschisten bezichtigen.
Während man Wagenknecht, Schwarzer und ihren Befürwortern vorwirft, dass sich unter den Teilnehmern an der Friedenskundgebung angeblich reihenweise Rechtsextremisten befunden hätten (Einen Beweis dafür bleibt man, mit Ausnahme von Bildern einzelner prominenter Figuren wie Elsässer, dessen tatsächliche Beteiligung hier bereits dargelegt wurde, schuldig.), übersieht man, dass die rechtsextreme Partei „Der III. Weg“ die Lieferung von Leopard-2-Panzern unter anderem mit folgenden Worten ausdrücklich begrüßte: „Als nationalrevolutionäre Antiimperialisten und Befreiungsnationalisten begrüßen auch wir den Einsatz der Leoparden, um im Geiste unserer Vorkämpfer Europa vor der größten militärischen Invasion seit 1945 zu schützen! Nie wieder soll sich ein eiserner Vorhang mitten durch Europa ziehen und weiße Brudervölker zwischen zwei imperialistischen Hegemonialmächten aufteilen.“ Konfrontation mit den eigenen internen Widersprüchen würde zu kognitiver Dissonanz führen, leichter ist es, diese zu ignorieren oder zu verklären. Nazis, die können nur unter den anderen sein.
Diese Beispiele bitterer Ironie häufen sich. So lesen wir aus Filterblasen, die den Vorwurf, sie würden für das, was sie schreiben, von Bill Gates (im Falle einer Befürwortung der Corona-Maßnahmen) oder der Bundesregierung (im Falle eines Bekenntnisses zur Antifa) bezahlt, mit Fug und Recht als Verschwörungserzählungen abtaten, heute gelegentlich gegenüber Befürwortern einer Verhandlungslösung die Behauptung, diese würden von Russland bezahlt.
Ein Online-Newsportal, das sich selbst als „Netz für digitale Zivilgesellschaft“ begreift, veröffentlichte im Dezember 2022 einen umfangreichen Artikel über das „Hassobjekt USA“, einen angeblich grassierenden Antiamerikanismus und dessen unmittelbarer Zusammenhang mit Verschwörungserzählungen. (Anmerkung: Auch ich wurde in diesem Artikel in wörtlicher Rede mit sage und schreibe zwei Worten zitiert.) Nur zwei Jahre zuvor publizierte dasselbe Portal reihenweise amerikakritische Texte. Ein Artikel wie „Hassobjekt USA“ wäre vor gar nicht allzu langer Zeit auf diesem Portal undenkbar gewesen. Mit dem Themen-Flag „Antiamerikanismus“ sind auf der Website insgesamt 16 seit 2008 erschienene Artikel versehen. Die Hälfte davon erschien im letzten Jahr. War Deutschland wirklich zwischen 2008 und 2022 nennenswert weniger amerikakritisch als heute?
Wir erleben neben dem Ukraine-Krieg auch einen parasozialen Krieg um die richtige Meinung, der, ähnlich wie die kriegerischen Auseinandersetzungen innerhalb der Ukraine, seit Jahren wütet. Wer diese Meinung vertritt, erfreut sich unter Gleichgesinnten eines guten Rufs als kluger, besonnener, am Guten interessierter Mensch. Wer nicht mit der scheinbar richtigen Meinung übereinstimmt, ist dumm, verrückt, potentiell gar nicht menschlich, sondern lediglich Bot oder Troll, vor allem aber: unmöglich, illegitim. Man bedenkt diesen Menschen mit Begriffen, die allgemeinhin mit der größtmöglichen Illegitimität in Verbindung gesetzt werden – Faschist, Nazi, Verschwörungsideologe.
Auf diese Terminologien wird teils direkt, teils in Anlehnung oder im Vergleich regelmäßig zurückgegriffen, sie werden gleichermaßen ausgebreitet auf Befürworter der gendergerechten Sprache wie auf Verfechter der Position, dass es nur zwei biologische Geschlechter gebe, auf Befürworter und Gegner der jeweils aktuellen Bundesregierung, auf alle sich konträr gegenüberstehenden Lager, bis diese Begriffe irgendwann nichts mehr bedeuten. Dies führt, gepaart mit den beschriebenen Bestätigungszyklen der Filterblasen, zu einer zunehmenden Intoleranz untereinander, und verwandelt die Bühne des öffentlichen Austauschs zunehmend in ein Schlachtfeld der gegenseitigen Bezichtigung und Verächtlichmachung. Amplifiziert wird dies zusätzlich durch forcierte Verkürzung und daraus resultierender Zuspitzung – auf 280 Zeichen lässt sich kein Argument darlegen, keine Meinungsverschiedenheit ausfechten, sie ermöglichen lediglich die Belegung des Gegenübers mit Schlagworten und Kampfbegriffen. Das notwendige Resultat ist eine zunehmende Radikalisierung aller sich bildenden Meinungslager.
Dies wird wiederum gesteigert, indem man sich der Auseinandersetzung aktiv entzieht. Mit Nazis, so hört man oft, solle man nicht reden. Schön und gut – wenn der Twitter-Account „Anonymous Germany“ von der „neue[n], hässliche[n] Fratze Deutschlands“, der „beschämende[n] Querfront aus National-Sozialisten“ schreibt, und darunter ein Bild zeigt, auf dem unter anderem Oskar Lafontaine zu sehen ist, wird es zunehmend kompliziert, zu begründen, wer exakt diese Nazis sein sollen, mit denen man nicht reden soll.
Quelle: Twitter / Anonymous Germany
Ein ausschlaggebender Aspekt scheint mir hier eine Betonung der Unterschiede zu sein: im Modus der Selbstinszenierung legt man übersteigerten Wert auf die Abgrenzung des scheinbaren Gegners, der im Kern keiner sein müsste, weil unterschiedliche Interessen keine Grundlage für eine Feindschaft sein zu müssen. Beobachtet man jedoch, mit welchen Geschützen rhetorisch gegeneinander aufgefahren wird, wie schnell Worte wie „Pack“ oder „Schande“ fallen, kann man nicht leugnen: etwas bewegt sich hier in eine ganz falsche Richtung.
Quelle: Twitter / Marcus Mittermeier
Wie kann man also gegensteuern? Ein veritabler erster Schritt wäre, eine rhetorische Sparsamkeit an den Tag zu legen. Die wenigsten, die Waffenlieferungen befürworten, tun dies aus Lust am Krieg. Die wenigsten, die Waffenlieferungen für falsch halten, tun dies aus Sympathie für Putin. Robert Habeck sagte richtigerweise: „Jeder, der bei Sinnen und Verstand ist, wünscht sich Frieden.“ Dass er im selben Atemzug insinuiert, dass Verhandlungen zwangsläufig einen Sieg Putins bedeuten würden, ist offenkundig falsch, Verhandlungen bedeuten nicht, die Flinte ins Korn zu werfen und dem Aggressor alles zu geben, was er möchte. Wie viele andere Kommentatoren verwechselt Habeck – eventuell sogar bewusst – hier Verhandlungen und Kapitulation.
Im Kern jedoch sagt er etwas viel Relevanteres: Jeder vernünftige Mensch wünscht sich ein baldiges Ende dieser Gewalt. Es ist diese Gemeinsamkeit, die das Gros der sich äußernden öffentlichen Akteure vereint. Es ist aus humanistischer Perspektive das einzig mögliche Ideal. Und es muss möglich sein, einen Weg zu finden, über die Mittel, mit denen dieses Ideal erreicht werden könnte, abwägend, ausgewogen, vor allem aber respektvoll zu diskutieren und zu streiten. Dies verunmöglicht sich, wenn man Gegenstimmen zur eigenen Haltung pauschal moralische Verkommenheit andichtet. Selbst dann jedoch, wenn man dies überwunden hat, wird es nicht zwangsläufig einfacher.
Um gesamtgesellschaftlich eine Antwort darauf zu finden, wie die deutsche, eventuell sogar die gesamte westliche Gesellschaft mit dem Ukraine-Krieg umgehen soll, müssen wir uns selbst schwierige Fragen stellen, deren Beantwortung durchaus wehtun kann. Wir müssen uns Widersprüche ein- und der Gegenseite argumentative Triumphe zugestehen. Wir müssen uns Vorwürfe der Doppelmoral gefallen lassen, und wir müssen lernen, zu ertragen, dass unser Gegenüber Ansichten vertreten mag, die uns zutiefst zuwider sind, dies jedoch auf derselben Basis tut, auf der auch wir unsere Betrachtungen formulieren: auf der Basis des Wunsches nach Frieden. Dieser Frieden jedoch kann kein Frieden um jeden Preis sein, das stand nie zur Debatte. Welchen Preis jedoch wir bereit sind, zu zahlen – ob es Zugeständnisse an den Aggressor sind oder eine militärische Eskalation – können wir nicht erarbeiten, ohne uns auf die zermürbende Suche nach einem Kompromiss zu machen.
Damit dieser entstehen kann, müssen wir daran festhalten, dass das Ziel aller beteiligten Diskussionsparteien das gleiche ist, dass es hehr und menschlich ist. Und wir müssen uns auf eine weitere Prämisse stützen, die nicht weniger banal erscheint: In einer Debatte, in der die Aufteilung der Zustimmung oder Ablehnung zu einer politischen Handlung nahezu 50/50 beträgt, sind wir verpflichtet, beide Positionen mindestens anzuhören, mindestens zu tolerieren. Wir reden hier nicht von einigen wenigen Durchgedrehten. Wir reden von einer vielfältigen, großen Gruppe von Menschen, die über verschiedenste politische Orientierungen hinweg in dieser einen Sache gleicher oder vergleichbarer Ansicht sind. Dies trifft sowohl auf Befürworter als auch auf Gegner von Waffenlieferungen ausdrücklich zu.
Die Diskursteilnehmer müssen aufhören, sich darauf auszuruhen, den argumentativen Gegner zum Feind zu erklären und sich selbst zu validieren, indem man gemeinsam diesen konstruierten Feind delegitimiert und verleumdet. Das ist ein Maß von Bequemlichkeit, das in dieser bitterernsten Thematik, dem täglichen Sterben unzähliger Unschuldiger, hochgradig unangebracht ist. Es herrscht Krieg, und weder wir, noch die Opfer, die Ukrainer, benötigen Durchhalteparolen oder Solidarität in Form von Flaggen-Emojis und Hashtags. Es braucht klare Lösungsansätze, die unbequem sein werden und sein müssen, weil es verlogen wäre, zu glauben, mit einer Atommacht lapidar umgehen zu können.
Alle Möglichkeiten, die wir haben, sind bittere Pillen, die wir schlucken müssen. Aber nur gemeinsam können wir uns einig werden, welche, unter Inbetrachtnahme aller Faktoren, die am wenigsten bittere ist. Wir müssen die partielle Blindheit und die Unschärfe auflösen, um Grautöne wieder zu erkennen, Klarheit zu schaffen, und uns selbst nicht zu verlieren. Es ist als demokratische Gesellschaft unsere Pflicht, uns darum zu bemühen.
© Bent-Erik Scholz, 2023.
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