Die Kvarner Bucht - von Volosko nach Lovran
Das Mädchen und die Möwe
Was symbolisiert besser die Unendlichkeit von Freiheit, die grenzenlose Weite und die Schönheit des Meeres, als die Unschuld jener elfengleichen Bronzestatue, die auf einem Felsen zu Füßen eines der hübschesten, anmutigsten Ferienorte der Welt steht, und hinaussieht in Richtung Horizont, wo der Himmel das Wasser zu umarmen scheint. In ihrer Rechten hebt eine Möwe die Flügel, um sich im nächsten Moment in die Luft zu erheben und in Richtung Sonne zu entschwinden.
Das Fischerdörfchen Volosko
Ein Bild, das mir nicht mehr aus dem Sinn geht. Am Abend, wenn ich von meinen Erkundungsfahrten an der Kvarner Bucht entlang wieder zurückkehre, sitzt der Vogel wieder da, von wo er am Morgen aufgebrochen ist - auf der Hand des Mädchens, zu Füßen goldener, von der späten Sonne in zärtliches Licht getauchten Häuser, zauberhafter Parkanlagen, verschwiegenen Gässchen und prachtvollen Villen. Die beiden Zauberwesen bewachen die Liebe, das Meer. Schon verteilt die Abendsonne kostbare Edelsteine auf den zarten Wellen und der Wind streicht sanft über die dunkelblaue Wasseroberfläche. Die Kvarner Riviera zählt wohl zu den markantesten und schönsten Küstenabschnitten der Welt.
Der Weg ins Glück
Ich sitze auf einer Terrasse, hoch oberhalb der blauen See und beobachte meine Träume. Manchmal, wenn ich einen brauchbaren Gedanken fasse, stelle ich das Weinglas beiseite und versuche Bilder festzuhalten, die ich später, wenn die Mußestunde vorbei ist, in zusammenhängende Worte übersetze. Mich treibt die Sehnsucht um. Nahe genug von meiner Heimatstadt, weit entfernt doch von Alltag und Unruhe. Ich wollte ein paar Mußetage verbringen, dort, wo die Sehnsucht greifbar ist. Ein paar wenige Fahrstunden, und ich passiere die slowenische Grenze bei Marburg, bewege mich westwärts in Richtung Ljubljana, später, bei Postojna geht’s dann in Richtung Süden zum Grenzübertritt Rupa, um ebendort das hügelige Kroatien zu erreichen. Noch versperren Bergrücken die Sicht aufs Meer, wenig später jedoch eröffnet sich mir ein prachtvolles Panorama in Richtung Küste. Im verschwommenen Dunst erahne ich die Inseln Krk und Cres. Dort, wo die E 61 auf die Küste trifft, biege ich in Richtung Kvarner Bucht ab und nehme Quartier in Volosko, einem kleinen Fischerort, kurz vor knapp, bevor die spröde Schönheit Rijeka erreicht wird.
An der Kvarner Bucht ist die Zeit stehengeblieben
Hier, am nördlichen Ausgangspunkt eine der schönsten Küstenwege auf Gottes Erde, esse ich zu Abend. Ein kleines Restaurant am Hafen, in dem außer mir heute nur noch ein einziger Gast bedient wird, soll mich in die Köstlichkeiten der istrischen Küche einführen. Marko nimmt die Bestellung auf, und sogleich stehen die dampfenden Köstlichkeiten auf meinem Tischchen, nahe der Kaimauer: Rižoto, Pašta, Meeresfrüchte, Salat, dazu eine vor Kälte beschlagene Karaffe lokalen Weißweins.
Der Lungomare
Am nächsten Tag ziehe ich los. Der „Lungomare“ zwischen eben jenem Fischerhafen und dem zwölf Kilometer entfernten Küstenort Lovran lässt alles hinter sich, was ich in dieser Disziplin erlebt habe, inklusive Havannas Malecon, dem Galle Face Green in Colombo oder dem Lido in Venedig. Jeder Abschnitt dieses zauberhaft romantischen Küstenweges ist Vers eines Gedichtes. Mir fallen ein paar Zeilen des großen polnischen Autors Henryk Sienkiewicz‘ ein: „Luft und Stille fehlen nicht (…) Am Himmel ruhen hohe, weiße Wolken, weshalb das Meer einem blassblau vorkommt“. Oder Ivo Andric, dessen Bilder voller Wehmut und Sehnsucht nach dem Leben ist, oder James Joyce‘ Melancholie: „Rain has fallen all the day, O come among the laden trees: The leaves lie thick upon the way - of memories…“ Alle diese Genies wurden nicht müde ihre Zeit an der Kvarner Bucht zu beschreiben und kamen nicht los von ihrer diskreten Schönheit.
Abbatia heißt heute Opatija
Mit jedem Schritt erfüllt sich die Reinheit der Luft und die glucksende Stimme des Meeres zu einem überirdisch schönen Liebeslied. Ich verharre und blicke hinaus auf die ewige Weite. Meine lebenslange Sehnsucht nach Ruhe wird mittels eines Bandes, gewoben aus Zufriedenheit und Muße, belohnt. Der Weg, teils oberhalb der Wellen in den Felsen gesprengt, teils direkt am Strand entlang, vorbei an mediterranen Gärten und Parks, an Villen der Jahrhundertwende, mondänen Hotels und zauberhaften Terrassencafés, spielt alle Stückeln. Lange schon. Vorerst war Opatija, nach Fertigstellung der Straße von Rijeka nach Lovran, ein modernes Seebad, später anlässlich der Eröffnung der Dampfschifffahrtslinie Rijeka-Opatija, erfuhr es gesellschaftliche Aufschwung: Die altösterreichische Südbahn-Gesellschaft galt als Steigbügelhalter in Sachen überregionalen Tourismus.
Opatija, die Kamelienstadt
Generaldirektor Friedrich Julius Schüler begann eine einzigartige Marketing-Strategie, die in einem wahren Bauboom mündete, der innerhalb kurzer Zeit aus dem verschlafenen Badeort eine der hippsten Ferienadressen der K. und K. Monarchie machte. Abbazia, so sein damaliger Name, wurde „in“, und das „Monaco des Südens“ war wachgeküsst. Der Ferienaufenthalt in der Kamelienstadt wurde neben dem in Bad Ischl, dem Semmering, Meran und Karlsbad zur Top-Adresse des österreich-ungarischen Adels, nebst den Parvenüs des gehobenen Bürgertums.
Der Gründer-Schüler
Die Badeanstalt Slatina, der Küstenabschnitt vor dem Angiolina-Park, die Grand-Terrasse vor dem mondänen Kasino, die herrlichen Sonnendecks der angesagten Luxushotels, die Promenaden und Parkflächen, die Boutiquen und „Salons de Glace“, die schicken Restaurants und die prachtvoll herausgeputzten Villen – dies alles verleiht dem Städtchen am Meer auch heute noch ein außergewöhnliches Flair. Das Leben in Opatija wird heute von Pauschaltouristen geprägt, der Jet Set ist längst weitergezogen. Sei‘s drum, dem Charme und dem bunten Treiben tut dies keinen Abbruch.
Die Stadt der Kultur
Der „Lungomare“ mäandert weiter, in Richtung Süden, nach Lovran. Auch hier, von Kirsch-, Esskastanien- und Lorbeerbäumen umstellt, erinnern herrschaftliche Villen und prachtvolle Jahrhundertwende-Bauten an alte Zeiten, denn natürlich profierte auch das verschlafene Städtchen vom benachbarten, noblen Seebad des Geld- und sonstigen Adels vergangener Tage.
Die Vergangenheit wird lebendig
So berührt der zauberhafte Küstenspaziergang nicht nur die Seele des Sehnsuchtsvollen, er raunt ihm auch jede Menge Geschichten ins Ohr. Es ist erlaubt, inne zu halten und ein paar Gedankenkopfsprünge zu tun in eine nie erlebte, mit allen Liebeslorbeerkränzen geschmückte, literarisch reich bebilderte Vergangenheit einer legendenreichen Zeit.
Heute, wie gestern, wie Morgen. Der Weg führt bis ... Lovran!
6 notes
·
View notes