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#Wurschtl
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Wurschtlwelt
Der Kasperl überwindet alle Hindernisse
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Johannes Rupert Franz, Café Glockenspiel, Mozartplatz 2, 5020 Salzburg
‚Den Wurschtl kann keiner derschlag’n!‘ Wer kennt es nicht, das Lied von Erich Meder (Text) und Hans Lang (Komposition), vornehmlich in der Interpretation von Heinz Conrads, der Übergröße in Sachen Unterhaltung, als der ORF noch RAVAG, Sender Rot-Weiß-Rot und Österreichischer Rundfunk hieß. Als gelernter Wiener hat man es im Ohr, vorausgesetzt man verfügt über ein gewisses Repertoire an Jahresringen. Der beliebte Künstler interpretierte dieses Lied in seiner unnachahmlichen Art, wobei er das ‚r‘ im Wort ‚derrrrschlag’n‘ ebenso inbrünstig wie unvergesslich rollen ließ. Niemand war vor der Konsonanten-Attacke sicher. Aus dem ‚Äther‘, wie damals die radio-aktive Übertragungstechnik hieß, klang es wie eine Salve Schrapnellkugeln. Und natürlich assoziierte man den feschen Conférencier Zeit seines Lebens mit dem besungenen Original. Obwohl es in Wien neben dem Wurschtl immer auch noch einen zweiten Überlebenskünstler gab, den ‚Lieben Augustin‘. Der allerdings war in Sachen Beliebtheit nie eine ernsthafte Konkurrenz. Die wahren Wurschtl-Fans hielten‘s nie so sehr mit dem, der Pestgrube entstiegenen Gesellen. Ihre Aufmerksamkeit galt immer schon dem Kasperl, einer Figur, die wie keine andere quer durch die Kulturgeschichte von Jahrmarkt zu Jahrmarkt spazierte und die Menschen zum Lachen brachte. Überall war es der gleiche Spaßmacher, überall aber hieß er anders: Italien hatte seinen Arlecchino, Russland den Petruschka, in Deutschland hieß er Pickelhering und in England, Mr. Punch. Ihnen allen gemeinsam war die Tatsache, dass die Figur ‚Narrenfreiheit‘ besaß, sie allein sagte die Wahrheit. Ungeschminkt und laut. Vom Hanswurst wurde das geradezu erwartet, ohne dass ihm auch nur irgendjemand böse sein konnte, durfte. Die Eulenspiegels, die ‚Fools‘, die Narren Shakespeares galten aller Orten als ‚weise‘ und sakrosankt.
Tatort, Café Glockenspiel. Salzburg. Es liegt an zwei der schönsten Plätze der Altstadt, dem Mozartplatz und, gleich um die Ecke, dem Residenzplatz. Mein Gesprächspartner wartet schon. Niemand geringerer als der ‚Salzburger Hanswurscht‘ ist es. Jawohl, das gibt’s. Vielmehr, den gibt’s. Wir treffen uns auf halben Weg: Er kommt aus Niedernsill angereist, ich aus Wien. Seit ich geheime Quellen plünderte und herausfand, dass es einen Typ gibt, der auf Volksfesten, Kirtagen und Hochzeiten im Schellenkostüm erscheint und die Rolle des Wurschtl verkörpert, war ich hinter ihm her. Allerdings, der Mann ist viel geliebt. Die Termine des Reisenden haben sich denen des Vielbegehrten anzupassen. Keine leichte Aufgabe. Nun aber sitzen wir uns gegenüber, hier, auf der Terrasse des zauberhaften Cafés. Er ist in ‚Montur‘, wie immer, wenn er ‚beruflich‘ unterwegs ist. Sein Haus verlässt er nicht anders. Das Wort ‚Kostüm‘ kommt ihm gar nicht über die Lippen. Ein Kostüm legt man an. Er legt seines nie ab - eben, weil es keines ist. Das macht den Unterschied. Er ist Hanswurscht. Einmal Wurschtl, immer Wurschtl.
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Zwei Wurschtln
Einen bürgerlichen Namen hat er schon auch, der Johannes Rupert Franz. Aber eigentlich ist ihm ‚seine Figur‘ lieber. Geerbt hat er die Identität von seinem Vorgänger, dem Salzburger Werner Friedl. Aber das ist mindestens dreißig Jahre her, und mindestens so lange will er auch noch im Amt bleiben. Wir schießen ein paar Fotos. Kinder winken, die Chefin steppt vorbei. Auch sie ist erfreut ihn zu sehen. „Die Menschen mögen mich. Ich bringe ihnen Glück.“ Das Fräulein Bedienung klopft ihm freundschaftlich auf die Schulter - und schon schlägt er ihr mit der Pritsch‘n auf den Hintern. „Das wirkt“, lacht er und zwinkert ihr zu. „Wie das?“, frage ich. „Der Hanswurscht ist so was wie ein Fruchtbarkeitssymbol“. In Salzburg, scheint’s, gilt immer noch die alttestamentarische ‚Rippentheorie‘, wonach die Frau dem Mann aus der Hüfte geschnitten wurde. „Fortpflanzung, verstehst? Aber ich bin harmlos, ich komme nie unangemeldet, die Schellen am Kostüm hört a jede schon von weitem.“
Themenwechsel. „Wie kommt man auf die Idee, ‚Hanswurscht‘ zu werden?“ „Ernannt bin i worden. Vom Salzburger Altstadt Marketing. Die san schuld!“ Der Herr Franz lacht sein Wurschtl-Lachen. Jetzt sind praktisch schon alle auf ihn aufmerksam geworden, eine kleine Schlange hat sich bis zu unserem Tisch gebildet. Der Wurschtl zückt seinen Stift und verteilt Autogramme. „Meine allererste Aufgabe ist es, am Rupertikirtag die Fahne zu hissen. Da drüben!“ Er deutet hinüber, dort, wo jeden September das große Volksfest stattfindet. Wer soll das machen, wenn nicht der Herr Wurscht? In Salzburg nämlich ist er weltberühmt. Und mit ihm sein Alter Ego. „Klar, die Figur ist ein Türöffner“, sagt er mit dröhnender Stimme, und die Leute ringsum lachen und nicken. „Aber brauchst net glauben, dass es damit ‘tan ist. Ich bring den Leuten die Laune. Das ist das Lebensnotwendigste überhaupt. Schau: Du bist a Tänzer und i bin der Wurschtl. So hat jeder sei‘ Bestimmung.“ Das kommt mir bekannt vor.
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Rubertikirtag in der Stadt
Die Kellnerin serviert die Getränke und der Hanswurscht zückt erneut die Pritsch’n und klopft punktgenau und unmissverständlich zu. Die Dame lächelt, sogar ein bisschen verschämt, wie mir scheint. „Siehst? I bin lustig. Wir san halt so. Auch auf den Jahrmärkten damals, als die Kasperln die Schmerzen der Patienten mit dem Gelächter der Zuschauer übertönen mussten. Die Zahnbrecher haben uns bezahlt, brauchst net glauben. Der Stranitzky ist 1708 erstmals im Kostüm aufgetreten, später natürlich auch, in seiner Zeit als Theaterdirektor.“ Auch das kommt mir bekannt vor. „Er war selber Zahnarzt, quasi eine Personalunion seiner selbst.“ „Und du?“, frage ich, denn inzwischen bin ich mit dem Johannes ‚per Du‘, „Was warst du früher, ich meine, als Wurschtl kommt man ja nicht auf die Welt?“ „Doch. Aber zwischendurch hab ich Tortenecken verkauft. Von der Süßigkeit zur Wurscht. Verstehst?“ Der Herr Wurst sieht mich mit Zanderaugen an, listig und klug zugleich. „Verstehe.“ „Einmal hab ich von einer Frau g‘hört, die unbedingt zum Rupertikirtag wollte. Sie war zu schwach dafür. Am nächsten Tag is der Hanswurscht zu ihr ins Hospiz ‘kommen. Ich hab ihre Hand g‘halten. Am nächsten Tag wieder. Und wieder. Und wieder. Die Frau wurde immer müder. Ihre Augen haben zum Strahlen ang‘fangen. So lang, bis sie zug’fallen sind. Für immer.“ „Verstehe“, sage ich.
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Der Hanswurscht
Der Spaßmacher ‚versteht‘ es lange schon. Vom Domplatz, dort wo die Kutschen stehen, weht Musik herüber. Nein, keine Kirtagsmusik. Heuer gibt’s den ‚Ruperti‘ ja nicht. Heuer trägt selbst die gute Laune Maske. Ein paar Straßenmusiker spielen einen Landler. Sie haben auf der Terrasse des ‚Glockenspiel‘ ihren Hanswurscht entdeckt und bieten ihm ein Ständchen dar. Die Menschen brauchen ihn halt und er, er braucht die Menschen. Der Salzburger Wurschtl hat mir heute ein Geschenk mitgebracht - in Form einer Geschichte. Mit einer solchen möchte ich mich revanchieren. „Mir san die Menschen halt net wurscht.“, sagt er, der Kasperl, der Weise, der Narr. Und dann steht er auf, schüttelt zum Abschied sein Schellenkostüm und geht. Und die Menschen applaudieren und winken ihm zu. Den Klang der Glöckchen behalte ich im Ohr. Lange noch. „Verstehst?“ Ja. Ich habe verstanden.
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