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#kinderbuchgeschichten
gottfriedturborabe · 2 years
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24. Türchen: Eine Weihnachtsgeschichte
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Frei nach Charles Dickens
„Das kann doch nicht sein, Gottfried!“ ruft Enno ungläubig, „Jetzt hast du uns jeden Sonntag so tolle Geschichten erzählt und heute fällt dir keine Einzige ein?“ Enno, Kira und ihr Turborabe sitzen auf dem Wohnzimmerboden von Frau Winter, vor einem wunderschön geschmückten Weihnachtsbaum. Erst in ein paar Stunden, wenn es richtig dunkel ist, dürfen Enno und Kira ihre Geschenke auspacken. Um sich die Wartezeit ein wenig zu verkürzen, wollen die Geschwister noch eine letzte Weihnachtsgeschichte von ihrem Turboraben hören.  
„Ja Gottfried,“ fügt Kira hinzu, „du hast doch so viele Freunde auf der ganzen Welt. Habt ihr euch am Weihnachtsabend denn nie Geschichten erzählt?“ Gottfried überlegt. „Wenn du so fragst, Kira, fällt mir doch etwas ein. Meine Freundin Annie, eine sehr elegante Flamingodame aus dem schönen London, hat mir in einer Schneesturmwinternacht mal eine großartigee Weihnachtsgeschichte erzählt. Aber ich muss euch warnen, wenn ihr sie wirklich hören wollt, wird es gespenstisch!“ Enno ist begeistert. Er springt auf, rennt zum Lichtschalter und drückt ihn nach unten. „Hohoho,“ruft Gottfried und bringt Kira zum Kichern, da er schon etwas verfrüht in seine Märchenerzählstimme verfallen ist, „Na dann mal los!“
„Viele, viele Jahre bevor Annie überhaupt geboren war, hat in ihrem hübschen Reihenhaus in der Doughty Street ein grummeliger alter Mann gewohnt. Kennt ihr diesen Weihnachtsfilm mit dem Grinch?“ Enno und Kira nicken. „Ungefähr so könnt ihr euch den Mann vorstellen, nur nicht ganz so grün. Jedenfalls war er auch ein totaler Weihnachtshasser! Seine Laune wurde immer schlimmer, je näher der Weihnachtsabend kam. Seine Angestellten bekamen das auch zu spüren, die waren nicht nur unterbezahlt und völlig überarbeitet. Scrooge, so hieß der alte Grießgram, gab kein einziges Goldstück zu viel aus. In seinem Haus wurde nie zu viel geheizt oder gekocht und auch in der Vorweihnachtszeit spendete Scrooge, als einziger in der Nachbarschaft, keinen Cent für Arme und Bedürftige. Doch all das sollte sich eines Weihnachtsabends ändern.“ 
Gottfried fügt eine dramatisch Pause ein und, wie gerufen, lässt ein kurzer Windhauch genau in diesem Moment die Flammen der Adventskerzen ein wenig flackern. Ennos und Kiras Augen werden weiter, als Gottfried mit seiner Geschichte fortfährt.
„Als Scrooge sich in dieser Nacht zum ersten Weihnachtstag schlafen legt und sein Licht ausschaltet, staunt er nicht schlecht. In der Ecke seines Zimmers sieht er einen Schatten, der sich immer mehr nähert. Schnell dreht Scrooge am Regler der Gaslampe auf seinem Nachttisch, doch auch das Licht ändert nichts an den Tatsachen. Dort, in der Ecke des Zimmers, steht ein Mann in einer blau, rot, goldenen Uniform. Es ist ein Zinnsoldat, einer der Brüder unseres einbeinigen Freundes, doch dieser Zinnsoldat ist für eine Nacht nicht in seiner hölzernen Form erstarrt, sondern aus Fleisch und Blut! Scrooge will gerade nach seinem Diener schreien und diesen Eindringling in hohem Bogen hinauswerfen lassen, als er das Gesicht des Fremden erkennt. Er traut seinen Augen nicht. Der Zinnsoldat ist sein ehemaliger Geschäftspartner. Doch der kann unmöglich in seinem Zimmer stehen. Nicht nur ist er vor sieben Jahren ans andere Ende der Welt gezogen, er ist auch noch im letzten Jahr gestorben! Doch er ist es, unverkennbar, und sieht noch genauso jung aus, wie an dem Tag, als Scrooge ihn zum letzten Mal gesehen hat. Und dann ist da auch noch dieses Geräusch. Ein dumpfes Rasseln, das jedem Schritt des schaurigen Geschäftspartners folgt. An seine Beine ist eine dicke, rostige Eisenkette gebunden. „Mein Gott, was ist dir passiert?“ fragt Scrooge. „Das hier ist die Konsequenz eines Lebens wie des Unseren. Mit Gier, Hartherzigkeit und Geiz legt man sich selbst in Ketten. Und die wird man nie mehr los.“ Scrooge bekommt Panik. „Gier? Geiz? Das bin doch nicht ich,“ erwidert der alte Mann. „Das dachte ich auch. Aber schau, was aus mir geworden ist. Dies ist auch dein Schicksal!“ warnt der jenseitige Besucher. „Nein! Nein! Das darf nicht passieren!“ ruft Scrooge und vergräbt panisch das Gesicht in seinem Kopfkissen. „Aber, aber, Schicksale sind nie in Stein gemeißelt,“ antwortet der geisterhafte Geschäftspartner weise, „willst du deines ändern?“ Scrooge bettelt um eine zweite Chance, aber sein ehemaliger Freund gibt keine weitere Antwort. Er löst sich genauso schnell in Luft auf, wie er gekommen ist.
Am nächsten Abend, als sich Scrooge ins Bett legt, wird er von einer lieblichen Melodie geweckt. Er hat sie noch nie vorher gehört, aber sie zieht ihn geradezu magisch an. Er folgt den Tönen nach unten in das Wohnzimmer des Reihenhauses. Dort sieht er eine kleine, schmale Gestalt, die im spärlichen Licht einer einzigen, brennenden Kerze Pirouetten dreht. Als Scrooge in der Tür erscheint, hält sie inne. „Bist du bereit, deine Vergangenheit zu erleben?“ fragt die Zuckerfee. „Habe ich das nicht schon?“ erwidert Scrooge griesgrämig, aber in dem Moment setzt die kleiner Ballerina zu einer weiteren Drehung an. Diesmal entwickelt ihre Bewegung aber einen Sog, der, wie ein Strudel, den alten Scrooge, das Wohnzimmer und schließlich sogar das ganze Reihenhaus mitreißt. Als Scrooges Sicht wieder klar wird, steht er an exakt derselben Stelle wie vorher, aber alles um ihn herum hat sich verändert. Ihm gegenüber schaut ein kleiner Junge traurig aus dem Fenster. Er scheint auf etwas zu warten. Hinter Scrooge und der Fee an seiner Seite ertönt plötzlich eine Stimme. „Dein Vater kommt heute nicht mehr, Scrooge,“ sagt ein Dienstmädchen, „du weißt doch, er feiert kein Weihnachten mehr, seit deine liebe Mama nicht mehr da ist.“ „Es ist aber meine Schuld, dass Mama nicht mehr da ist,“ seufzt der kleine Junge traurig, „das sagt mir Papa immer wieder.“ „Das ist niemandes Schuld,“ erwidert das Dienstmädchen, das sich geduldig zu dem kleinen Jungen hinunter beugt, „höchstens die des Schicksals.“ „Aber Schicksale kann man ändern,“ sagt der kleine Junge gerade noch, bevor der Raum erneut vor Scrooges Augen verschwimmt. 
Diesmal landet Scrooge aus dem Strudel der Zuckerfee in der Werkstatt seines alten Lehrmeisters, bei dem er viele glückliche Jahre verbracht hat. Dort findet gerade eine Weihnachtsparty statt. Scrooge weiß sofort, welche Party das ist. Das ist der Abend, an dem er seine große Liebe Belle getroffen hat. Die beiden waren nie zusammen gekommen, weil er sich damals für seine Karriere und gegen sie entschieden hat. Er wittert eine zweite Chance und beschließt, die Sache wieder gut zu machen. Belle steht am anderen Ende der Werkstatt und lacht mit einer Freundin. Scrooge will sie gerade unterbrechen, als der Raum erneut beginnt, sich zu drehen. Mit einem Mal ist Scrooge wieder ein alter Mann und zurück in seinem Bett. „Wieso hast du das getan?“ schnauzt er die Zuckerfee an, „ich wollte doch gerade-„ „Du solltest etwas lernen,“ erwidert die Fee zwischen zwei weiteren Pirouetten, „ich hoffe, das hast du.“ Und mit einer weiteren Pirouette verschwindet sie auch schon wieder. 
Am nächsten Abend will Scrooge endlich seine Ruhe, aber auch diesmal hat er kein Glück. Der Wind heult wie ein wild gewordener Werwolf vor seinem Fenster und schlägt die Äste einer Linde gnadenlos gegen das dünne Glas. Plötzlich springt das Fenster auf. Unter großem Protest und wilden Flüchen erhebt sich Scrooge von seinem Bett und läuft zum Fenster, doch einmal dort angekommen, traut er sich nicht, es wieder zu schließen. Draußen, mitten im Schneesturm, schwebt die ganz in weiß gehüllte Gestalt der Schneekönigin, die ihn mit kalter Miene anstarrt. Ihr Zauber hat keinerlei Macht über Scrooge, denn sein Herz war sowieso schon so starr und kalt, als wäre es zu Eis gefroren. Respekt hat Scrooge trotzdem vor ihr. Besonders, als sie zu sprechen beginnt. „Ich bin der Geist der gegenwärtigen Weihnacht,“ sagt sie mit einer Stimme, die klingt wie das Heulen des Windes, „und du musst etwas sehen.“ Die Schneekönigin schnipst einmal mit den Fingern und ein Tornado aus Eis und Schnee reißt Scrooge aus dem Fenster. Als er wieder zu sich kommt ist er in der kleinen, überfüllten Hütte, in der sein Bediensteter mit seiner Familie lebt. Alle seine Kinder rennen wild durch die Wohnung und spielen mit ihren kleinen Weihnachtsgeschenken, nur einer, der kleine Tim, sitzt auf dem Sofa und schaut seinen Geschwister traurig zu. Er sieht sogar so traurig aus, dass Scrooge fast, nur für einen Moment, meint, das Eis um sein Herz schmelzen zu spüren. Doch da ist der Moment auch schon wieder vorbei. Die Schneekönigin verschwindet zwischen tausenden tosenden Schneeflocken und Scrooge findet sich verblüfft in seinem Bett wieder. Scrooge denkt, jetzt hat er alles gesehen und überstanden. Doch der schlimmste Abend von Allen steht ihm noch bevor.“
Enno und Kira blicken Gottfried mit großen, weiten Augen an. „Warum denn?“ fragt Kira und Enno fordert ungeduldig, „Nun sag schon, Gottfried!“ Gottfried lässt genüsslich langsam einen der von Enno servierten Regenwürmer in seinem Schnabel verschwinden, erst dann erzählt er weiter.
„In der Ecke seines stockdunklen Zimmers erahnt Scrooge plötzlich eine verhüllte Gestalt mit einem pechschwarzen Umhang. Langsam und mit schleppenden Schritten kommt sie ihm näher und auch das Licht von Scrooges Nachtkerze macht den dunklen Besucher nicht heller, oder sichtbarer. Als die Gestalt den Kopf hebt, erkennt Scrooge verblüfft einen chiliroten Turborabenschnabel, der aus der Kapuze des Mantels hervorragt. „Ich bin der Geist der zukünftigen Weihnacht!“ verkündet der weise Turborabe mit erhabener Stimme, „und du kommst jetzt mit.“ Bevor Scrooge protestieren kann, hat der tollste, beste und größte Rabe schon seinen Turbodüsenmotor angeworfen und trägt den alten Mann in einem so wilden Ritt über die Dächer der Stadt, dass der für einen kurzen Moment ohnmächtig wird.“
„Mensch, Gottfried, jetzt übertreibst du aber!“ vermutet Enno mit gerunzelter Stirn. Kira kichert, als Gottfried eine Unschuldsmiene aufsetzt. „Übertreiben? Ich?“ sagt der Turborabe und schiebt sich genüsslich einen Flügel voll sahnegarnierter Regenwürmer in den Schnabel, „Niemals!“ Enno und Kira widersprechen ihm ausnahmsweise mal nicht, da sie hoffen, dass er dann schneller weitererzählt.
„Der Turborabe bringt Scrooge an einen sehr dunklen, kalten Ort. „Ist das wieder eine Erinnerung? Oder die Gegenwart?“ Fragt er den weisen Turboraben. „Sehe ich etwa so aus, als würde ich mich mit so etwas Langweiligem beschäftigen? Raben sind magisch. Wir können die Zukunft sehen. Und das hier ist deine, wenn du dein Schicksal nicht änderst.“ Als der Turborabe in die Luft abhebt und mit einer großen Stichflamme seines Turbodüsenmotors die Umgebung ausleuchtet, erkennt Scrooge wo sie sind. Auf einem Friedhof! Und da steht sein eigener Grabstein, direkt vor ihm, mit der Inschrift: In Erinnerung an Ebenezer Scrooge, den größten Griesgram der Stadt.“ Und als wäre das noch nicht genug Horrornachricht, sieht er daneben auch noch den Grabstein des kleinen Tim! „Das darf doch nicht sein!“ ruft Scrooge, „Was ist passiert?“ „Noch ist gar nichts passiert,“ antwortet der wunderschöne, weise Turborabe und landet neben dem alten Mann auf dem Boden, „Denn ich bin ja der Geist der zukünftigen Weihnacht. Wenn du dich änderst, muss das hier niemals passieren.“ Und das verändert alles. Der magische, wundervolle Turborabe hat dem alten Mann ein für allemal die Augen geöffnet.“
Enno zieht eine Augenbraue nach oben, Kira kneift die Augen zusammen. Ein bisschen skeptisch sind die beiden schon, denn sie wissen ja, dass Gottfried nicht gerade unvoreingenommen ist, wenn es um seine eigene Person geht. Aber die Geschichte gefällt ihnen zu gut, um sie hier zu unterbrechen. Also bleiben sie still und warten geduldig, bis Gottfried den nächsten Sahnehappen geschluckt und den Schnabel wieder zum Erzählen frei hat.
„Als Scrooge am nächsten Morgen aufwacht, weiß er sofort, was er zu tun hat. Er verdoppelt das Gehalt aller seiner Angestellten und lädt sie zu einem großen Weihnachts-Festmahl ein! Dort gibt es karamellisierte Käfer, schlagsahnebehäufte Regenwürmer und glasierte Kletterraupen in Massen! Sein edler Retter, der Turborabe, ist natürlich der Ehrengast. Nie hat es in der Doughty Street ein schöneres Weihnachtsfest gegeben! Und so lebten alle glücklich bis ans Lebensende und aßen jeden Weihnachtsabend zu Ehren ihres rettungsbringenden Turboraben ein paar Regenwürmer mit Schlagsahne.“
 „In England verehren sie also Turboraben?“ fragt Kira skeptisch. Frau Winter, die genau in dem Moment aus der Küche kommt, mischt sich ein. „Nein, das tun sie natürlich nicht. Aber Geschenke dürfen sie dort auch auspacken. Genauso wie ihr jetzt. Seid ihr bereit?“ Die Geschwister springen auf. Sie können es kaum erwarten! Bei so viel Vorfreude vergessen sie glatt, an Gottfrieds Geschichte zu zweifeln. Und Gottfried beschwert sich gnädigerweise nicht darüber, dass Enno mit dem Servieren der Schlagsahneregenwürmer aufgehört hat. Er würde das mit dem Turboraben verehren eigentlich ganz toll finden. Aber Freunde zu haben ist fürs Erste auch ganz schön, denkt er sich. Vor allem, wenn sie sich so großartig über die kleinsten Dinge freuen können, wie Enno und Kira. 
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gottfriedturborabe · 2 years
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16. Türchen
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Hohoho! Dieses Jahr gab es schon einige tolle Schneetage, an denen Kinder und Turboraben im Schnee herumtollen und sich rabenstarke Schneeballschlachten liefern konnten. Enno sagt zwar, er gewinnt immer, aber er hat sich ja auch noch nicht auf eine Revanche eingelassen! Wenn ihr durchgefroren und nass nach Hause kommt, heißt das aber nicht, dass das Schneevergnügen aufhören muss: mit diesem tollen Puzzle könnt ihr euch aufwärmen und euch auf die Revanche vorbereiten!
Tipp von mir: Klebt das ausgedruckte Bild doch auf den Karton-Hintergrund eines Collegeblocks auf, bevor ihr es ausschneidet, dann hält das tolle Advents-Puzzle noch viel länger!
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gottfriedturborabe · 2 years
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12. Türchen: 3. Advent
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Frei nach Hans Christian Andersen
„Oh nein!“ ruft Kira kleinlaut. Enno, Gottfried und sie haben es sich gerade auf dem Bett ihres Wohncontainers so richtig gemütlich gemacht. Während Enno fleißig ihre selbstgebackenen Plätzchen mampft, hat Kira sich gerade einen Becher Vanillepudding aus dem Kühlschrank geholt. „Jetzt habe ich den Löffel vergessen,“ sagt das kleine Mädchen enttäuscht und windet sich mühsam aus ihrem kuscheligen Kissen- und Deckenberg, als Gottfried sie stoppt. „Warte mal, Kira. Ich habe da vielleicht was für dich.“ Enno und Kira staunen nicht schlecht, als Gottfried ein Geheimfach an seinem Düsenmotor öffnet und einen kleinen, silbernen Gegenstand herauszieht. Es ist ein silberner Löffel mit einem wunderschön verzierten Griff! „Wow!“ ruft Enno und Kira meint nur kleinlaut: „Der ist doch viel zu schön, um damit Vanillepudding zu essen.“ „Ach, Quatsch mit Regenwurmsoße! Wie kommst du denn darauf? Meine sehr gute Flamingofreundin Kaja aus Polen hat mir darauf immer Würmer mir Ameisensauce serviert.“ „Igitt! Gottfried!“ ruft Enno, während Kira das silberne Souvenir mit einem vielsagenden Blick zurückgibt und sich einen anderen Löffel aus der Küche holt. „Ihr wisst ja gar nicht, was ihr verpasst! Dieser Löffel ist uralt!“ „Uralt?“ fragt Enno belustigt, „So alt wie dein geistiger Großvater, Napoleon?“  Enno weiß mittlerweile sehr genau, dass sein Turborabe manchmal zu Übertreibungen neigt, und seine Behauptung, Napoleons Enkel zu sein, ist eine davon. „Na, jedenfalls viel älter als neunmalkluge Kinder!“, verkündet Gottfried leicht beleidigt und bringt Enno und Kira zum Lachen. „Hinter diesem Löffel steckt eine ganz neue, großartige Geschichte!“ „Erzähl, Gottfried!“ ruft Kira begeistert. „Also gut, dann schalte ich wieder in den Märchenerzählmodus. Seid ihr bereit?“ Die Geschwister nickten eifrig.
„Kajas Ur- Ur- ich bin mir nicht ganz sicher wie viele Ur-s es waren, aber es waren auf alle Fälle einige, jedenfalls, Kajas Urgroßmutter hatte einen Löffel genau wie diesen. Um ihrem kleinen Sohn zu Weihnachten eine Freude zu machen, ließ sie den Löffel einschmelzen und von einem Zinngießer zu fünfundzwanzig genau gleich großen und gleich aussehenden Zinnsoldaten fertigen. Alle sahen mit starrem Blick nach vorn, hatten ihre Gewehre auf den Schultern und trugen eine Uniform, die in Rot, Blau und Goldfarben angemalt war.
Als der kleine Junge am Weihnachtsabend die Kiste mit den Zinnsoldaten öffnet, strahlt er vor Freude und stellt alle Zinnsoldaten in einer Reihe auf dem Wohnzimmertisch nebeneinander. Alle Soldaten blieben stramm auf dem Platz stehen, den ihr kleiner Oberkommandant ihnen zugewiesen hatte, nur einer fällt sofort um. Ihn aufzustellen ist schwierig, denn beim Gießen dieses letzten Zinnsoldaten war das Material knapp geworden und so hat er nur ein einziges Bein. Er muss weit weg von den anderen Soldaten, auf einer Kommode im Zimmer des Jungen übernachten, wo ihm einige Holzklötze das fehlende Bein ersetzen.
Als es Nacht wird und das Mondlicht genau richtig durch das Fenster fällt, bemerkt der einbeinige Soldat etwas ganz Besonderes auf der Kommode gegenüber. Die kleine Schwester seines Besitzers hat zu Weihnachten ein wunderschönes Schloss aus Papier bekommen, das nun im weißen Licht des Mondes strahlt. Durch die Fenster sind prächtige Papiersäle sichtbar, die Papierbäume vor dem Eingang scheinen silbern zu glitzern und spiegeln sich wie Eiszapfen im kleinen Spiegel vor der Tür, den das Mädchen als See in den Garten gepflanzt hat. Auf dem See schwimmen elegante Schwäne aus Wachs, aber der Zinnsoldat hat kein Auge für sie. Mitten in der Tür des Schlosses ist eine kleine Papierdame in weißem Kleid, nur sichtbar, weil das blaue Band um ihre Schultern sie von der restlichen Szenerie abgrenzt. Sie beginnt, um die Bäume und den See zu tanzen und für einen Moment, als sie in einer kunstvollen Pirouette ein Bein nach oben wirft, sieht es fast so aus, als ob auch sie, wie der tapfere Zinnsoldat, nur ein einziges Bein hat. Der Soldat will jetzt nichts mehr, als dieses wundervolle Mädchen kennenzulernen, doch sie lebt in einem Schloss und er in einer Holzkiste mit vierundzwanzig Brüdern. Er traut sich nicht, sich der Tänzerin auch nur zu nähern. Deshalb legt er sich hinter eine Schnupftabakdose, die auf dem Tisch liegt, und beobachtet die vornehme Dame aus der Ferne. So liegt er viele Stunden du beobachtet das Mädchen beim Tanzen, bis die Uhr 12 schlägt und plötzlich der Deckel der Schnupftabakdose aufspringt. Aus der Schachtel kommen zuerst zwei tiefrote Beine, dann ein ebenso roter Schnabel und zuletzt ein ganzer, kleiner Turborabe hervor. „Lass das lieber,“ meint der Turborabe zum Zinnsoldaten, „das ist doch viel zu schwierig mit so einem Mädchen. Such dir lieber eine nette Flamingodame.“
„Jetzt schwindelst du aber, Gottfried“, ruft Enno. „Damals hast du ja noch gar nicht gelebt. So alt bist du bestimmt nicht!“„Natürlich habe ich nicht nur einen geistigen Großvater wie Napoleon, ich habe auch einen echten Ur- Ur- Urgroßvater,“ antwortet Gottfried, „und der war so klein, dass er sich vor vorlauten Kindern in Schnupftabakdosen verstecken konnte!“ Als ihm weder Enno noch Kira widersprechen, brummt Gottfried zufrieden und erzählt weiter.
„Der Zinnsoldat hört natürlich nicht auf den Turboraben. Nicht einmal, als er ihm eine weitere weise Botschaft verkündet, die ihm eine lebensgefährliche Zukunft prophezeit, falls er die Tänzerin nicht sofort vergisst. Also verschwindet der Turborabe wieder in seiner mit Schlagsahne und Regenwürmern gefüllten Tabakdose und der Soldat schaut die ganze Nacht der Papierprinzessin beim Tanzen zu. Am Morgen kommt sein Besitzer, der kleine Junge freudenstrahlend in das Zimmer und beginnt, mit seinen Zinnsoldaten zu spielen. Aber da ihm der einbeinige Mitstreiter immer wieder umfällt, stellt er unseren tapfere Zinnsoldaten auf das Fensterbrett. Da passiert das Unglück. Eine Böe ergreift das Fenster, schlägt es auf und katapultiert den Zinnsoldaten in hohem Bogen nach draußen. Er fällt so schnell, dass ihn nicht einmal der Turborabe, der ihm natürlich todesmutig hinterherspringt, vor dem unsanften Aufprall auf dem Boden bewahren kann. Mit seinem einen Bein bleibt er zwischen zwei Pflastersteinen stecken und ist dort so gut versteckt, dass ihn das Dienstmädchen und der kleine Junge auch nach langer Suche nicht finden. Einen ganzen, unsanften Platzregen verbringt der Zinnsoldat im Asphalt, dann entdecken ihn zwei kleine Jungen und nehmen ihn mit. Danach landet er im Fluss, wo ihn eine böswillige Ratte herausfischt und fast auffrisst, wenn er sich nicht im letzten Moment auf ein vorbefahrendes Papierschiffchen gerettet hätte. Der Zinnsoldat fährt also den ganzen Fluss hinab und landet an einem Wasserfall, stürzt herunter und wird dann von einem großen Fisch verschlungen. Starr vor Schreck schläft der Zinnsoldat ein. Als er wieder aufwacht, ist er, wie durch ein Wunder, in der Küche seines Zuhauses. Der Zinnsoldat hätte nicht glücklicher sein können, in seinen Augen hat sich die ganze Irrfahrt jetzt gelohnt, denn nun kann er endlich seine geliebte Tänzerin wiedersehen! Der Turborabe, der in der Küche genüsslich ein paar gebratene Borkenkäfer verspeist, bemerkt natürlich sofort, dass der Zinnsoldat wieder da ist. Er packte ihn in seinen großen, roten Schnabel und trägt ihn zum Schloss der Papierprinzessin hinauf. Die Papierprinzessin und der Zinnsoldat sehen sich an und alles ist klar.“
„Hä?“ fragt Enno verwirrt, „was ist klar?“ Auch Kira ist nicht überzeugt: „Das kann doch nicht das Ende sein, Gottfried!“ „Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Ich denke, das versteht ihr erst, wenn ihr selbst mal eine so tolle Flamingodame wie meine Kaja, kennenlernt.“  Die beiden Geschwister verdrehen die Augen und konzentrieren sich wieder auf ihre Süßigkeiten. Aber, noch am selben Abend, bastelt Kira eine kleine Tänzerin aus Papier und stellt sie neben Ennos Plastik-Feuerwehrmann. Er ist zwar kein ein Zinnsoldat, aber, wie Kira findet, trotzdem standhaft. Und definitiv ein wahrer Held.
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gottfriedturborabe · 2 years
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6. Türchen: Gottfried und der Nikolaus
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„Pah!“ ruft Gottfried lautstark und springt dabei fast von dem Kuschelkissen-Thron, den Enno und Kira ihm auf ihrem Stockbett gebaut haben. Wild gestikuliert er in Richtung des altmodischen Fernsehers, den die beiden Geschwister heute Morgen vom Nikolaus geschenkt bekommen haben. Dort läuft gerade ein vorweihnachtlicherCocaCola Werbespot, über den Gottfried offensichtlich sehr empört ist.
„Wo haben die denn diesen Hochstaplerher! Wenn DAS der Nikolaus sein soll, dann bin ich der Regenwurmpapst von Rom!“ Enno kichert. „Bist du vielleicht nicht, wärst du aber gern!“ neckt er seinen Turboraben. Kira ist sofort etwas kritischer. „Das ist ja auch nicht der Nikolaus, sondern der Weihnachtsmann. Oder Santa. Soweit ich weiß, sind das mindestens zwei verschiedene Jobs, Gottfried.“ „Na das will ich doch hoffen,“ erwidert der Turborabe sofort, „denn der echte Nikolaus sieht ganz anders aus alsdieser Grinsebartmit seiner möchtegern-Idealfigur!“ 
Kira und Enno kichern über Gottfrieds Wortwahl, doch jetzt sind sie neugierig geworden. „Der echte Nikolaus?“ fragt Kira ungläubig, und Enno fügt hinzu: „Sag bloß du kennst den, Gottfried?“ „Aber natürlich! Großes Turborabenehrenwort!“ Als ihm zwei sehr skeptische Augenpaare begegnen, beginnt Gottfried, sich zu erklären. „Ihr wisst ja, dass ich vor einigen Jahren eine Zeit lang in der Türkei gelebt habe, richtig?“ Die beiden Geschwister nicken. 
„Da kommt der wahre Nikolaus nämlich her! Und natürlich war er nicht immer ein Bischof. Trotzdem hatte er aber schon von klein aufein ziemlichschönes Leben, denn seine Eltern waren reich. Und die kleine Gemeinschaft, in der er aufgewachsen ist, ist viel großzügigerals unsere. In den heißen Sommermonaten spielt sich dort alles Leben auf der Straße ab, die Menschen sind ständig draußen, sprechen miteinander und helfen sich gegenseitig. Das hat der Nikolaus sein ganzes Leben lang mit angesehen und auch als Erwachsenernicht vergessen.“ 
Beide Geschwister sehen ihren Turboraben fasziniert an. Vorher waren sie schonein bisschen skeptisch, aber mittlerweile ist Gottfrieds Geschichte so spannend, dass jegliche Zweifel in den Hintergrund rücken. „Eines Tages hört er hinter einer der zahlreichen Sandsteinmauern des Dorfes eine sehr traurige Stimme,“ fährt Gottfried fort,„Es ist ein Vater, der sich gerade von seinen beiden Töchtern verabschiedet. Die sollen ab dem kommenden Tag die Elternverlassen und in einem anderen Haushalt arbeiten, da die Familie sonst verhungert. Das kann der Nikolaus auf keinen Fall zulassen! Also läufter schnell nach Hause, füllt einen Sack mit Goldstücken und wirftihnheimlich durch das Fenster der armen Familie. So kommter auf die Idee mit diesen Säcken, versteht ihr?“ 
Gottfried wartet Enno und Kiras nicken kaum ab, bevor er fortfährt. „Die Familie stauntnicht schlecht, als sie so plötzlich und unverhofft zu Reichtum kommen. Sie vermuten sofort den Nikolaus, den reichsten Mann des Dorfes, als ihren Wohltäter und danken ihm herzlich. Die Freude, die der Nikolaus dabei empfunden hat, anderen zu helfen, lässtihn in den folgenden Jahren seines Lebens nicht mehr los. Er unternimmt Reisen, möchte auch an anderen Orten der Welt Menschen glücklich machen. So kommt esauch, dass erirgendwannden Bitten der Menschen von Myra nachkommt und ihr Bischof wird. Sein Ruf hattesich herumgesprochen. Auch bei mir. Ich hatte nämlich gehört, dass der Bischofgroßartige Schlagsahne macht.“
„Also gibt es beim Nikolaus Regenwürmer mit Schlagsahne zum Frühstück-Mittag-und Abendessen?“ kichert Enno. Sein Turborabe schnaubt frustriert. „Na eben nicht! Das warvielleicht enttäuschend. Als ich in Myra ankam, haben mir alle erzählt, wie der Nikolaus mal ein leeres Frachtschiff wieder komplett mit Korn befüllt hat. Nixda Regenwürmer, Pustekuchen Schlagsahne!Gar nicht großartig.“ „Aber Säcke hatte er, oder?“ fragt Kira. 
„Ho, ho, ho!“
Jetzt wissen Kira und Enno endlich, woher Gottfried sein tiefes Lachen hat: Vom Nikolaus natürlich! „Ganz, ganz viele“, fährt ihr Turborabe fort. „Die verteilen er und die Bewohner von Myra an brave Kinder auf der ganzen Welt. Vor allem an solche, die noch ein bisschen Hilfe dabei brauchen, glücklich zu sein.“ Kira lächelt sanft und schmiegt sich an ihren Turboraben. Enno blickt auf ihren Fernseher, wo der CocaCola Weihnachtsmann gerade breit grinsend eine Glasflasche in die Kamera hält. 
„Egal, wer er ist, oder wo er herkommt, ich finde, der Mann mit dem Sack hat heute einen ganz tollen Job gemacht!“ Weder Kira noch Gottfried können ihm da widersprechen.
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