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#paene omnia decent
fabiansteinhauer · 2 months
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Paene omnia decent
Zum Geburtstag Kants fällt Jürgen Kaube die Schlauheit und der Witz ein zu sagen, dass Kant heute diejenigen Philosophen, die sagen, was er heute zu anderen Dingen gesagt hätte, als Grillenfänger bezeichnet hätte. Hätte-Hätte-Sagenkette. Witzbold Ouroboros! Gibt Grillenfänger und Grillanfänger. Grillanfänger ist Kaube keiner.
Kaube testet die Theorie und Praxis der Rekursion aus, testet, was von ihr bleibt, wenn Rekursion wie im Ouro-Hamsterrad exerziert wird. Sie wird geschliffen. Das ist nicht immer angenehm, denn Praxis und Theorie der Rekursion ist an sich faszinierend und man sieht Faszinierendes ungern abrauschend, schwitzend und ratternd. Aber wie heißt es schon in den rhetorischen Institutionen zu den Ventilen, Membranen und Drüsen rhetorischer Rekursion (also eines Redens mit Rede, Sprechens mit Sprache, Schreibens mit Schrift und Verkörperns mit Körpern, eines Wortemachens mit Worten und Bildens mit Bildern ): Paene omnia decent, am Ende geht alles durch, schließlich mustert alles und lässt sich alles mustern. Das decorum stellt sich immer zuerst an und dann ein. Alles ist, wird und bleibt geschieden, geschichtet, gemessen und gemustert. Die Rekursion kristallisiert zwar hier und da aus, aber nur in zügigen Formen und meteorologischen Situationen, dann schmilzt sie wieder. Sie versteinert, aber nur meteorologisch, selbst versteinert schwimmt sie noch wie tektonische Platten, noch planetarisch fest kreist sie durch kreisenden Kosmos.
Letztens hat Kaube Thesen zur Kanzleikultur referiert, dass ich dachte: Wer so liest, braucht keinen Fernseher mehr. Die Thesen zur Kanzleikultur, die auf das gerüchtsförmige Geistern der Zensur pochen, die vertrete ich auch - man muss nur genau lesen. Es gibt keine Schreiben ohne Kanzleikultur, es gibt im Schreiben kein off the record ohne zügige Linien, die diagrammtisch und diagraphisch operieren, weil sie kooperativ Unterlagen durchziehen (zum Beispiel sitzt die Tinte dem Papier auf und das Angepinnte, Gerissene, Geritzte oder Peinvolle (painting) der Tafel (tabula). Die Zensur war immer schon ein gerüchtsförmig, das macht sie so effektiv, wie sie ist, nicht mehr und nicht weniger. Adrian Daub, auf den sich Kaube gestürzt hatte, als sei der Daub doof, glaubt nicht, dass es keine Cancel Cultur gäbe, sein Schreiben appelliert daran, sie plastisch und geanologisch zu entfalten, über das sedimentäre und aufrührbare Geschichte, das Geschichte anhäuft. Cancel Culture wird immer dann ausgerufen, wenn die Zugänger, die bisher methodisch den Korridoren folgten, plötzlich gegen die Wand laufen, weil der Korridor einen Knick oder einen Bogen, vielleicht nur eine Kurve leichte Kurve macht. Man ist nie der einzige, dem im Laufe seines lebens gesagt wurde, man könne tun, was man wolle, aber erst wenn man einen Lehrstuhl oder einen anderes, angeblich sicheres und trockendes Plätzchen sich gesichert hätte, vorher solle man bitte wenigstens so tun, als würde man sich anpassen. Man ist nie der einzige, dem so etwas in einer Situation gesagt wurde, die für alle Beteiligten an sich unerträglich peinlich ist, vor allem dann, wenn der Rat- bzw. Abratgeber hinterschiebt, er selbst fände ja schlau und wichtig, was man machen würde, aber die Kollegen und das Publikum seien doch doch so furchtbar doof und nur darum solle man sich doch solange zurückhalten, bis man seine Schäfchen ins Trockene gebracht hätte. Jeder hat das schon mal gehört, viele haben es geglaubt. Daily Show. Wir müssen lernen, wie Kaube nicht Grillanfänger, sondern Grillenfänger zu werden, so kommt man durch Winter und diesig nieselnde Zeiten, in denen kein Ratgeber uns noch vor dem Nassmachen schützen kann.
Kaube ist nicht doof, es ist seine Aufgabe, Schlauheiten im Namen einer Gesellschaft zu sagen, die hinter der FAZ steckt, und sich im Namen derer, die hinter der FAZ sich für kluge Köpfe halten, auf Leute wie Daub zu stürzen, als ob die doof wären. Das macht der Kaube gut, der ist nicht durch Zufall einer der wichtigsten Herausgeber der Qualitätszusammenpresse. Ich kann ja auch nur soweit etwas zu Kaube was sagen, soweit ich weiß, wie man Qualität zusammenpresst.
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fabiansteinhauer · 2 months
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Am Ende geht alles durch
Paene omnia decent: Tendenziell mustert alles; im Prinzip schmückt oder kleidet alles, grundsätzlich ist nichts nackt. Fast alles ziert (sich); der Intention nach soll alles angemessen sein oder durchgehen. Am Ziel/ Bei dem Ziel, bei dem Ziel nahe, nächst oder dem Ziel nach soll alles durch sein. Fast alles ordnet; alles ordnet, aber nur nahe dem Perfekten.
Rhetorische Institutionen sind eine black box oder ein dogmatischer Apparat. Sie involvieren entfernte, polare und meteorologische Zeit-, Spiel- und Denkräume, die entfernt bleiben, auch wenn man sie in der Lektüre scheinbar (geisten-)gegenwärtig aufliest und in der Übersetzung aktualisiert. Man liest eine Antike auf, deren Polarität unter anderem daraus resultiert, dass sie sich in Details niedergeschlagen hat, um die sich und an denen sich alles gedreht hat, nicht nur das, was Nietzsche das Dionysische und das Apollinische nennt.
Quintilian, dessen Institutionen wir besonders, nämlich wortwörtlich im Blick haben, wenn wir von rhetorischen Institutionen sprechen, kommt spät, fast am Ziel angelangt, gegen Ende des 11. Buches, demjenigen Buch, das der actio/ dem Akt gilt, auf fast/ tendenziell, dem Prinzip nach auf alles (paene omnia) zu sprechen.
Das soll musternd/ musterhaft, zierend, schmückend, passend oder durchgehend sein. Was? Dasss er darauf tendenziell am Ende zu sprechen kommt und dass er das sagt, also auch was er sagt, soll das heißen [Sorry, ich habe mir die Rekursion nicht ausgedacht, Anm., FS].
Quintilian sagt paene omnia decent tendenziell am Ende, im Prinzip am Schluss seiner Ausführungen, vorher nicht. Quintilian gibt erschöpfend Auskunft dazu, wie der Rhetor agieren soll, der nicht mündlich sprechen kann, aber nicht mündlich sprechen muss, um Rhetor zu sein (Quintilian ist ja auch einer, er spricht aber nicht zu uns, sondern schreibt uns). Der Rhetor muss als Sprecher/ Stellvertreter oder Repräsentant für andere (an Stelle anderer) oder für eine Sache (an Stelle einer Sache) agieren, das kann er auch anders als mündlich tun. Dazu gibt Quintilian erschöpfend Auskunft, sogar noch dazu, wozu der Rhetor am Ende vielleicht auch erschöpft erscheinen kann: um musterhaft/ musternd zu erscheinen.
Helmut Rahn ist der Name des Übersetzers der kursierenden deutschen Ausgabe von Quintilian. Koinzidenz: der Name des Übersetzers ist polar, hat zwei Versionen, die eines rauschenden, schweißgebadeten Fußballspielers und die eines Lateinlehrers, der beim Namen Quintilians zu erst an einen staatlich oder öffentlich gesicherten Lehrstuhls denkt (denn so fängt the Rahns one of two Rahns in der Edition an zu erklären, wer Quintilian gewesen sei: eine Art Lehrstuhlinhaber, kicher statt kicker!).
Der Übersetzer Rahn ist nicht der Fußballspieler Rahn. Hätte der Fußballspieler Rahn Quintilian mitübersetzt, wäre mehr, nämlich die andere Hälfte von der Polarität, die andere Seite von Fortuna oder kurz das Kippsal rhetorischer Institutionen mit in die deutsche Fassung eingegangen. decorum heißt nicht unbedingt dasjenige, was angemessen ist, das heißt auch dajenige, was misst (zum Beispiel Maß nimmt, Maß gibt oder auch vermisst, also begehrt).
Decorum ist in dem Sinne das Angemessene, das Messende und das Missende. Decorum ist nicht nur das Passende, es ist auch das Passierende oder das Durchgehende. Die Passage, die tendenziell am Ende des 11. Buches steht, expliziert diese andere Seite des decorum: erschöpfend und klamm kleidend, oder: mit feucht gewordenem rhetorischem Gewäsch.
Rhetorische Institutionen sind keine Winkelmannschen Institutionen, sie sind nicht nur auf edle Einfalt und stille Größe eines gesetzten und gnädigen und dabei immer noch züchtigen Vaters hin angelegt. Sie sind auch für Götter, Nymphen und Satyre angelegt, die tanzen. Und für Mänaden, die zerreißen.
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