Tumgik
#(und auch der erste brief... ich manifestiere dass das goethe-sleepover stattgefunden hat)
schoethe · 3 years
Text
zur Feier des Tages: Impfgeschichten von und mit Friedrich Schiller
aus Briefen von Schiller an Goethe
07.09.1794 Schon ging ich damit um, Ihnen einen Aufenthalt in meinem Hause anzubieten, als ich Ihre Einladung erhielt. Meine Frau ist mit dem Kinde auf drei Wochen nach Rudolstadt, um den Blattern auszuweichen, die Hr. v. Humboldt seinem Kleinen inoculieren* ließ. Ich bin ganz allein und könnte Ihnen eine bequeme Wohnung einräumen. Außer Humboldt sehe ich selten jemand, und seit langer Zeit kommt keine Metaphysik über meine Schwelle.
17.02.1797 Mein Schwager denkt mit Anfang des März zu kommen. Er befindet sich aber wegen seiner Wohnung in einiger Verlegenheit, weil diese erst nach Ostern frei wird, und wünschte doch gleich mit seiner Frau und dem Kinde zu kommen. Dürfte ich ihm in dem äußersten Fall, daß er kein Logis bis dahin finden könnte, wo das von ihm gemietete Stitzerische frei wird, Hoffnung machen, daß Sie ihm Ihr Gartenhaus auf die paar Wochen überlassen wollen? Ich würde ihm raten, meine Schwägerin so lange hieher ziehen zu lassen, aber da kommt unglücklicherweise die Blatterninoculation in meinem und Humboldts Hause dazwischen, welche in drei, vier Wochen vor sich gehen soll, und meine Schwägerin will ihr Kind jetzt nicht inoculieren lassen. Ich weiß also keinen andern Rat, und nehme darum meine Zuflucht zu Ihnen.
11.04.1797 Ich sage Ihnen nur zwei Worte zum Gruß. Unser kleiner Ernst hat das Blatternfieber sehr stark, und uns heute mit öftern epileptischen Krämpfen sehr erschreckt; wir erwarten eine sehr unruhige Nacht und ich bin nicht ohne Furcht. Vielleicht kann ich morgen mit erleichtertem Herzen mehr schreiben. 
14.04.1797 Die Blattern sind heraus, die Krämpfe haben sich auch verloren. Die schlimmsten Zufälle hat der Zahntrieb gemacht, denn ein Zahn kam gleich mit dem ersten Fieber heraus und ein zweiter ist eben im Ausbrechen. Sie werden mir wohl glauben, daß ich in diesen Tagen, anfangs bei der Gefahr und jetzt, da es besser geht, bei dem Schreien des lieben Kindes nicht viel habe tun können. In den Garten kann ich auch nicht eher, als bis es mit dem Kinde wieder in Ordnung ist.
18.04.1797 Indessen geht die Suppuration bei dem Kleinen gut von statten und ohne alle Zufälle, obgleich er sehr viele Blattern hat. Den Garten hoffe ich in vier Tagen beziehen zu können, und dann wird mein erstes Geschäft sein, ehe ich weiter fortfahre, die poetische Fabel meines Wallensteins mit völliger Ausführlichkeit niederzuschreiben.
28.04.1797 Eben als ich mich den Abend hinsetzte um Ihre beiden lieben Briefe zu beantworten, stört mich der Besuch des Rudolstädter Fürsten, der wegen der Inoculation seiner Kinder hier ist, und wie ich von diesem befreit bin, erhalte ich eine Humboldtische Visite. Es ist Nachts um 10 Uhr und ich kann Ihnen bloß einen freundlichen Gruß schicken. Sonntag Abends ein Mehreres. Leben Sie recht wohl. 
09.05.1800 Meine Kleine ist seit fünf Tagen inoculiert worden, und wir erwarten nun mit Furcht und Hoffnung den Ausbruch der Blattern.  Ich muß eilen, weil man im Augenblick abreist. Leben Sie recht wohl, kommen Sie gesund zurück. Leider werde ich Sie nur einen Tag hier sehen, und dann meine poetische Einsamkeit beziehen.
* Die Blattern-, also Pockeninoculation war ein Vorläufer der Pockenimpfung. Die Kinder wurden dabei mit abgeschwächten Pockenviren infiziert. Sie durchlebten die Krankheit also trotzdem, gewöhnlich aber nahm sie einen deutlich milderen Verlauf und rief dennoch eine Immunreaktion hervor.
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