Tumgik
shortystartswriting · 4 years
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dein Café.
Warum siehst du es nicht? Warum siehst du nicht, dass was nicht stimmt. Warum schläfst du nicht?
Du hast so viel. Mama, Papa, dein kleiner Bruder. Freunde. Du hast sogar eine beste Freundin. Du hast schon so lang eine beste Freundin. Du hattest einen Freund. Du wirst so sehr geliebt. Und dann bist du doch auch noch ein Kind Gottes. Ein so sehr geliebtes Kind. Das weißt du doch eigentlich. Warum kommt es nicht an?
Linda sagt, ich mache das richtig. Wenn sie manisch ist, halt dich fern von ihr. Soweit es geht. Ganz weit am besten. Aber du fehlst mir. Mir fehlt meine beste Freundin. Und ich hab Angst, dass sie nie mehr zurück kommt. Ich hab Angst, dass die Angst nie mehr weggeht. Dass das jetzt immer so weitergeht.
Letzte Woche hab ich mit unseren Träumen eine Party gefeiert. Ich hab sie nicht beerdigt. Es war keine Beerdigung. Aber vielleicht war es eine Abschiedsparty. Im Leoparden-Einteiler, die Haare offen, die Schallplatten von früher, zu viel Whiskey und mit Krönchen auf dem Kopf. Ich hab beide Fenster aufgemacht und getanzt. Ich bin mit Chris DeBurgh durch den alten Garten zum Altar stolziert. Ich sah hübsch aus beim Weinen. Beim Auf-widersehen-sagen zu deinem Café. Es war schon da in meinem Kopf. Wenn ich die Augen zumache, kann ich mich umsehen. Ich hör die kleine Klingel über der Tür, wenn man rein kommt. Jede Ecke schreit deinen Namen. Dein kleiner, lieber Chaosplatz. Dein zauberhaftes Zuhause für die Verstoßenen, für die gescheiterten, verletzten Kreativen. Dein Auffangbecken für die kaffeeabhängigen Punks. Deine Aquarelle an der Wand. Der Geruch von Kaffee und ein Hauch Patschuli in der Luft. Der uralte, unebene Holzboden ist verkratzt und knarzt, aber das stört uns nicht. Dumpfes Gemurmel, Zeitungen, der Sonnenstrahl, der durchs Fenster fällt, feiner Staub in der Luft. Dein Dreijähriger, der das glitzernde Tanzen fasziniert beobachtet. Ein Becher Kaffee für jeden Obdachlosen. Das war der Plan. Jetzt bist du es selbst. Was war los? Du warst doch schon dabei, sie wahr werden zu lassen. Kaffeebohnen aus Mexiko. Spanisch sprechen und Geschäftsbriefe verfassen. Du kannst das doch. Ich hätte dir beim Bilder-Aufhängen geholfen. Und auch beim wieder Abhängen. Beim Streichen, Einräumen, laut Musik hören beim Aufstuhlen. Die Nacht reinlassen, bitte lass Ruhe einkehren. Zusperren, das Schild an der Tür umdrehen und dann wären wir dagesessen, erschöpft, die Kinder haben die Papas heute ins Bett gebracht, in der letzten Ecke deines Traums hätten eine unserer heimlichen Zigaretten geraucht und geredet, vor einer dunkelgrünen Wand. Nur wir zwei.
Ich vermiss dich.
Komm nach Hause.
Komm nach Hause, damit es nicht ein Traum bleiben muss.
27. Mai 2020
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shortystartswriting · 4 years
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schabernack und toben.
9. Mai 2020 - Achtzehn Uhr dreißig. Da wo man von der U-Bahn hochkommt. Vor dem Blumenstand. Stand er da. Ziemlich lässig in blauem Hemd und Jeans. Ich hab breit gegrinst. Hi Freak. Ein erstes Küsschen auf die Wange. Nur eins. Normal finde ich das ja eher doof. Bei ihm hats schön gekribbelt. Aufgeregt. Zappelig und lieb. Da lang? Oder da? Blödeln am Kanal. Dosenbier, Tschick und bisschen Kobold. Die Lichter der U-Bahn-Haltestelle gegenüber. Stell dir vor, wir wären mit unseren Stiefeltern im Italien-Urlaub. Pizza-Essen. Ich barfuß in deiner Hose. Und dann verschwinden wir mal schnell auf dem Klo. Du hast gute Ideen. Nur Blödsinn im Kopf. Schabernack und er geht nur zum Spaß in den Wald. Wie mit 14. Wenn man eigentlich kein Kind mehr ist. Diese ganz seltenen Male, wenn man trotzdem noch spielt. Und es sich schon ein klein wenig merkwürdig anfühlt. Wenn es fremd wird. Und dann hat er mein Gesicht in die Hände genommen. Und mich einfach geküsst. Gut geküsst. Richtig geküsst. Im Schneidersitz. Und meine Hand gepackt und auf seine Jeans gelegt. Schöne Sachen mit seiner Hand gemacht. Gut, dass ich ein Kleid anhatte. Du magst keine bösen Wörter. Nein. Mag ich nicht. Sei lieb. Sei lieb zu mir. Sei lieb zu deiner Prinzessin.
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shortystartswriting · 4 years
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passiv-aggressiv.
Was?! Was ist?! Was willst du?!
Vergiss den Blödsinn mit auf ein Minimum reduzieren… Was für eine blöde Idee. Ich geb mich doch nicht mit Minimum zufrieden… Völlig idiotisch. Wenn du mit mir schlafen kannst, kannst du dir auch merken wie ich meinen Kaffee trinke. Dann kannst du dir auch meinen Lieblingswitz merken. Dann kannst du neben mir auf dem Fußboden liegen, rauchen, so tun als wäre es 1994 und Schallplatten hören. Mich kuscheln.
Also. Kannst du? Kannst du das?
Oder willst du einfach nicht?
Weil dann lass mich gefälligst in Ruhe.
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shortystartswriting · 4 years
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I hate you.
for what you did.
and I miss you like a little kid.
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shortystartswriting · 4 years
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don’t be such a crybaby.
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shortystartswriting · 4 years
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S.
Scheiße noch mal, reiß dich endlich zusammen, du Gott verdammter Psycho. Was treibst du denn die ganze Zeit? Schon wieder, ja?! Wirklich, jetzt?! Der dritte Klinikaufenthalt also. Na bravo, ganz toll. Nein, Moment, wir sind ja jetzt schon bei Nummer Vier angelangt. Der letzte war ja anscheinend nicht notwendig. Du hast es ja im Griff, wie man sieht. Super hast du’s im Griff. Großartig gemacht S.. Ganz toll, S. und diesmal sogar gegen deinen Willen. Endlich geschafft. Prima, richtig prima. Sogar mit Polizei. Der ganz große Aufritt diesmal. „Wenn ihr mich nach W. bringt, seht ihr mich hängen.“ Ist das dein fucking Ernst eigentlich? Ernsthaft?! Was noch dramatischeres ist dir nicht eingefallen, ja?! „Ihr seht mich hängen.“ Willst du mich eigentlich verarschen? Was haben wir dir denn getan, Schatzele?! Warum tuts dir denn so weh? Wo tuts denn weh S.?! Was ist denn los? Warum denn hängen?! Am nächsten Baum. Was denn das bitte für ein beschissener Bullshit?! Was denn los mit dem Schmerz? Was hast du denn? Tut uns doch eh schon genug weh dich so zu sehen. Mein Gott es war doch alles ok. Es war doch alles in Ordnung. Die Schule lief doch ganz gut. Du warst doch fast fertig. Deine Noten waren nicht mal schlecht. Meine Güte, S., was treibst du denn?! Was, zur Hölle, treibst du?! Was. Hast. Du. Getrieben die letzten Tage. Und Wochen?! Was hast du in den Hotels gemacht? Wer waren diese Leute verdammt?! Was machst du denn?!
Und die scheiß Schmerzmittel von deinem Freund fressen. Ganz fantastische Idee. Die beste seit langem. Richtig prima. Und deine verfluchte Mutter. Dass sie nicht sofort die scheiß Bullerei gerufen hat. Ab geht’s. Ab geht die Party, mit Tatütata und Trallala im grünen Wägelchen nach W.. Aber nein, die S. geht erstmal eine rauchen. Und die Mama belabern. Von wegen du hast endlich deine Kunst begriffen. Einen Scheiß hast du begriffen! Du hast vielleicht die Psychose begriffen. Oder sie hat dich begriffen. Ich aber nicht, S.. Ich nicht. Ich hab diese scheiß verdammte, gruselige Instagram-Story nicht begriffen! Ich hab dir die Mama geschickt. Was hätte ich denn machen sollen, huh?! Was denn?! 700 fucking Kilometer weit weg. Weißt du eigentlich wie viel Angst ich um dich hatte?! Was denn da los?! Und warum gehst du nicht an dein scheiß Telefon. Du hast es ja offensichtlich in der Hand. „Das ist sick“ - der Fabi wieder mal, bringt es auf den Punkt. Du verfluchte Psycho-Bitch. Aber klar, du brauchst natürlich keine Hilfe. Völlig normal, dass man sein Zimmer verwüstet. Völlig normal, dass du die scheiß Schneekugel kaputt machst, die ich dir geschenkt hab. Was zum Geier sollte das? Das hat weh getan, verdammt. Und dann belaberst du mich noch von wegen, ich wüsste ja, dass du aus kaputten Sachen eh wieder was Schönes machst. Was ist dann mit dir?! Warum kannst du nicht aus dir wieder was Schönes machen!? Warum kriegst du das nicht hin?! Zum Teufel nochmal, iss was! Und sei nicht so ein Arschloch zu allen die dich lieben. Was ist denn, S.?! Was haben sie dir denn getan?
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shortystartswriting · 4 years
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shortystartswriting · 4 years
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telling stories
Ich bin als erstes, ehelich geborenes Kind meiner Mutter im März 1992 auf die Welt gekommen. Ein Donnerstag. Der Start war holprig. Die Geburt zog sich über zwei Tage, danach kam ich mit Gelbsucht und einer Bindehautentzündung in die Kinderklinik. Es war damals noch üblich Mutter und Kind zu trennen und so machte ich während meiner ersten 10 Tage recht exzessive Beziehungserfahrungen. Meine Mutter besuchte mich tagsüber auf der Station, trug mich die ganze Zeit und abends ging sie schweren Herzens und aufgelöst ohne mich nach Hause. Nachts war ich aber ein braves Kind und schlief wohl durch. Als ich entlassen wurde, holten mich meine Mutter und mein (gesetzlicher, erster) „Papa“ Erich, sowie meine zwei Omas, ab.
Die ersten zwei Lebensjahre lebte ich mit Mama und Papa bei meinen Großeltern mütterlicherseits in B., einem kleinen Dorf in Baden-Württemberg. Meine Mutter war noch in der Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau, mein Vater Koch und so verbrachte ich viel Zeit mit meinen Großeltern, insbesondere mit meinem heißgeliebten Opa. Mein Opa war ein leidenschaftlicher Modelleisenbahnbauer. Er roch immer nach Uhu-Kleber und hatte ständig Kratzer an den Fingern. Das Haus in dem wir lebten hatte der Vater meines Großvaters vor dem zweiten Weltkrieg gebaut. Die Garage, in der mein Opa seinen champagnerfarbenen Opel immer sehr gewissenhaft geparkt hat, war damals noch ein Schweinestall gewesen. Unten im Haus lebte meine Urgroßmutter. Ich erinnere mich noch an ihren alten Herd und an einen Hampelmann. Ich wunderte mich immer, warum sie diesen in der Küche und nicht im Wohnzimmer aufbewahrte. Unten im Haus gab es außerdem eine Einliegerwohnung, die meine Urgroßmutter untervermietet hatte. Im zweiten Stock wohnten meine Großeltern und die neue Kleinfamilie hatte eine kleine Rückzugsmöglichkeit unter dem Dach. Die Stockwerke waren aber nicht durch ein Stiegenhaus getrennt, es muss wohl sehr familiär zugegangen sein.
Als ich zwei Jahre alt war, ließen sich meine Eltern scheiden. Meine Mutter hatte einen neuen Mann kennengelernt. Wir zogen in eine 50 km entferntes Dorf und kurze Zeit später kam meine kleine Schwester auf die Welt. Auch hier war ich wohl ein braves Kind, etwas ruhiger allerdings und die meisten Kinderfotos zeigen mich unter einem Bett oder einem Tisch. Erst sehr viel später ist mir klar geworden, dass ich damals recht abrupt meinen Papa und meine Großeltern verloren hatte, um mit einem relativ Unbekannten und Mama in einer fremden Umgebung zu leben.
Der Kindergarten gefiel mich anfangs wohl recht gut, mit der Zeit ging ich aber immer weniger gern hin. Es war einfach zu voll und zu laut. Die Waldtage hingegen waren mein Lichtblick. Meine liebste Kindheitserinnerung dreht sich um ein aus Zweigen, Ästen und Laub gebautes, riesiges Tipi mitten im Wald.
An meine Einschulung kann ich mich erstaunlich gut erinnern. Wir waren wieder umgezogen. Meine kleine Schwester war 4, mein kleiner Bruder 2 Jahre alt. Wir lebten in einem Haus auf einer Anhöhe, vom Balkon konnte man weit über die Felder, über die Bundesstraße bis zum nächsten Dorf sehen. Es war eines der letzten Häuser in der Straße. Danach mündete die Straße in einen engen Feldweg, der nach einer steilen Rechtskurve abfiel und zum Sportplatz führte. Dieser abfällige Weg war sicher 600 Meter lang und im Winter der meistbesuchte Rodelplatz. Am Tag meiner Einschulung trug ich einen schrecklich hässlichen, gelben Pullover und eine dazu passende Uhr, die ich zur Feier meines Schuleintritts bekommen hatte. Das Einschulungsfoto zeigt mich breit grinsend, meine Vorderzähne fehlten. Leider gab es aber auch ein neues Fahrrad und die drei Geschenke in gleichzeitiger Benutzung führten nach einem harmlosen Fahrradsturz dazu, dass sowohl Pullover als auch Uhr hinüber waren. Das Fahrrad war bis auf ein paar Kratzer heil geblieben. Das war das erste Mal, dass ich mich erinnern kann, dass es zu Hause richtig Ärger gab. Es war auch das erste Mal, dass ich ernsthaft darüber nachdachte nicht mehr nach Haus zu gehen. Zwischen meinem Stiefvater und meinem Großvater hat es ordentlich gekracht. Es wurde laut. Und heftig. Das sollte sich von nun an zu einer Mittwochstradition etablieren. Mittwochs war der Tag an dem meine Großeltern mütterlicherseits zu Besuch kamen und gelegentlich waren sie am Abend noch da, wenn mein Stiefvater früher von der Arbeit kam. Oft kam es dann zu einem Streit. Ich saß oben auf den Treppenstufen vor meinem Zimmer und hörte mir das Geschrei an, bangend, den Moment abwartend, wenn die Haustüre krachend ins Schloss fiel. Dann waren meine Großeltern weg. Ich ging dann meistens in mein Zimmer, hoffend, dass er mich nicht runter ruft. Meistens entfachten die Streitereien zwischen meinem Opa und Stiefpapa nämlich wegen mir. Nur eine 3 in Mathe, oder eine halbe Stunde zu spät zu Hause gewesen. Den Schulranzen nicht aufgeräumt. Aufessen. „Iss deinen Teller leer! Du bleibst so lange hier sitzen, bis der Teller leer ist!“ Der Klassiker. Meistens waren es Kleinigkeiten. Kleinigkeiten, die mich aber doch recht deutlich spüren ließen, dass ich nicht erwünscht war. An manchen Tagen spürte ich es deutlicher als an anderen. Mittwoch war Krieg zu Hause. Mittwochs war ich in diesem Krieg aber nicht allein. Mittwochs kämpfte mein Opa für mich.
In den Ferien war ich oft bei Erich, meinem „ersten Papa“. Das war schwierig. Ich glaube, das war für alle schwierig. Erich hatte auch wieder geheiratet und eine Tochter mit einem Gendefekt. Ich glaube sie hieß Diana. Sie saß irgendwann im Rollstuhl und konnte nicht mehr sprechen. Da er beruflich häufig umziehen musste, war es immer eine lange Autofahrt zu ihm. Zumindest kam es mir als Kind vor wie eine halbe Weltreise. Es war immer anders. Es war immer aber auch besonders bei ihm zu sein. Ich erinnere mich kaum, was wir eigentlich gemacht haben. Vage erinnere ich mich an den Vorraum eines Hauses. Nur das Zurückkommen ist mir schlimm in Erinnerung. Sehr deutlich in Erinnerung. Das unangenehme Gefühl. Unsichere, beschämte Angst. Wieder zurück. Wieder in meinem lila Zimmer. Wieder wütend. Das Leben ging ja weiter daheim. Ich war weg. Und dann war ich wieder da. Es war verwirrend. Und meistens war das Geschrei danach besonders schlimm. Waffenstillstand. Kurz voneinander lassen. Nur um danach noch schlimmer aufeinander einzuprügeln. Kitzeln bis es nicht mehr lustig ist. Kitzeln bis man weint. Kitzeln bis man sich in die Hose macht. Schreien. Sich wehren. Um sich schlagen und keine Chance haben. Die entsetzten Gesichter meiner Geschwister.
Als ich in der dritten Klasse war, zogen wir wieder um. Nur eine Ortschaft weiter, trotzdem kam ich in eine neue Grundschule. Ich fand eine neue beste Freundin. Luisa, die in der Nachbarschaft wohnte. Ich war oft bei ihr. Sie war oft bei mir. Aber meistens waren wir draußen. Wir waren Erfinder-Freundinnen. Löwenzahn mit Peter Lustig war unsere größte Inspirationsquelle. In unserem Garten hatten mein Stiefvater und mein Opa uns Kindern ein kleines „Häusle“ gebaut. Es war genauso blau wie der Wohnwagen von Peter Lustig. Wir lebten in diesem kleinen, muffeligen Häuschen. Es war unser Dreh- und Angelpunkt. Wir kamen immer wieder hier hin zurück. Wir flehten unsere Eltern an, darin übernachten zu dürfen. Ich glaube sie haben es, wenn überhaupt, nur ein einziges Mal erlaubt.
Ständig bauten wir irgendetwas. Wir bauten aus unserem Bollerwagen die wildesten Fahrzeuge. Wir stellten zwei kleine Plastikstühle hinein, Blick nach vorn, banden sie fest und klappten den Zugstab vorne herauf um ihn als Lenker zu benutzen. Ich bin heute noch erstaunt darüber, dass wir diese rasanten Fahrten den Leidensberg hinab überlebt haben. Nicht selten hängten wir mit einer Schnur hinten noch ein Skateboard an, auf dem dann mein kleiner Bruder mitfuhr. Auch hier war unsere Doppelhaushälfte eine der letzten in der Straße. Danach kam nur noch Acker und eine abgeschiedene S-Bahn-Haltestelle. Die Bühne meiner Kindheit waren Feldwege und Maisfelder.
Ständig fanden wir auch irgendwelche Tiere. Vorzugsweise kleine Kätzchen, die der Bauer ausgesetzt hatte und die irgendwie ihren Weg zurück gefunden hatten. Meine beiden Geschwister, Luisa und ihre kleine Schwester und ich schmiedeten dann Pläne, welche Eltern diesmal bekniet werden sollten. „Wir habe sie erst letzte Woche überredet den Oskar zu behalten… Die müsst ihr jetzt mitnehmen!“ Drei Kater haben es geschafft. Drei Kater wurden adoptiert, aufgepäppelt und entwurmt. Luisas Eltern blieben immer stark. Sie haben keine adoptiert. Einmal haben meine kleine Schwester und ich auch einen kleinen Vogel mit nach Haus gebracht, der aus dem Nest geflogen war. Es sah ganz grausig aus. Eigentlich schon halb tot. Man sah alle seine Äderchen. Es war ein elendiger Anblick. Meine kleine Schwester weinte die ganze Zeit. Mein Stiefvater verkündete uns dann er würde ihn zum Tierarzt bringen. Das beruhigte meine Schwester ein wenig. Mich nicht. Ich beobachtete wie er einen Gefrierbeutel aus der Küche mit in die Garage nahm. Man hörte nur einen einziges, knirschendes Aufschlagen eines Spaten auf Asphalt. Dann fuhr er weg. Rückwärts aus der Garage. Ich weiß nicht wohin er fuhr. Sicher nicht zum Tierarzt. Ich habe ihn nie gefragt. Meiner Schwester ging es besser. Ich habe es ihr nie erzählt. Aber an dem Tag hörten wir auf schwache Tierchen mit nach Hause zu bringen.
Ich kam dann auf die Realschule. Luisa ging auf das Gymnasium. Wir versuchten noch eine Weile unsere Freundschaft aufrecht zu halten. Bald lebten wir uns aber auseinander. Ich war ganz gut in der Schule. Hausaufgaben machte ich seit jeher sowieso allein, meine Noten waren ganz ok. In der Realschule lernte ich Anna kennen. Sie wurde meine beste Freundin. Anna hatte keinen Papa. Sie kannte ihn auch nicht. Er war Amerikaner. Ich beneidete sie dafür, dass sie mit ihrer Mama allein lebte. Nur ihr Onkel mit seiner Familie lebte in der Wohnung über ihr und ihre Großeltern nur ein paar Häuser weiter. Unsere Mütter verstanden sich recht gut. Gelegentlich saßen wir Damen im Garten bei Anna. Wir teenager-Mädchen waren dann in Annas Zimmer und unsere Mütter saßen bei einem Kaffee im Garten. Das war schön. Und neu für mich, da meine Mutter sonst wenig mit anderen Müttern am Hut hatte. Und es war besonders. Wir waren gemeinsam weg von Daheim. Nur Mama und ich.
Auf der Realschule lernte ich auch Mio kennen. Ich war sehr verliebt. Er hatte lange blonde Haare und sah aus wie Kurt Cobain. Mit 12 hatte ich meinen ersten Kuss auf dem Schulhof der Realschule. Es hat geregnet. Und es hat sich sehr seltsam angefühlt. Aber danach war Mio mein bester und fester Freund bis ich 17 war. Seine Eltern besaßen eine Großküche und belieferten große Firmen, Kindergärten und Schulen mit Essen. Er lebte in einer Villa, die durch einen kleinen Wald und eine Toreinfahrt mit Kamera und Gegensprechanlage geschützt war. Mio war gewissermaßen der Dorf-Prinz. Und meine allererste große Liebe. Und in gewisser Weise auch meine Rettung. Mein Halt.
Kurz nachdem er mein Freund geworden war, kam meine Mutter eines Nachmittags in mein Zimmer. Ich saß gerade an ihrem alten Solitär und erledigte die letzten Hausaufgaben. Ich war fast fertig. Ich erinnere mich nur, dass sie mir sagte, Erich sei nicht mein richtiger Papa. Das sei jemand anderes. Ich glaube sie nannte mir seinen Namen. Sie sagte sie habe gerade mit Erich telefoniert und fragte mich, ob ich dann noch Kontakt zu ihm haben möchte, jetzt wo ich weiß, dass er ja gar nicht mein leiblicher Vater sei. Ich verneinte. Sie war wütend. Ich verstand nicht warum. Sie fragte mich dann noch, ob ich möchte, dass mein Stiefvater mich adoptiert. „Du hättest dann den gleichen Nachnamen wie wir alle.“ Ich stimmte zu. Sie ging. Erst viel später erfuhr ich, dass diese Erinnerung so nicht stimmt. Die Wahl lag nie bei mir. Meine Mutter hatte mich nie gefragt, ob ich den Kontakt halten möchte. Erich hatte damals entschieden, dass er keinen Unterhalt und auch keinen Kontakt zu mir haben möchte, wenn ich ja eigentlich in so einer tollen, normalen Familie aufwachse. Ich hätte ja einen Vater, der sich um mich zu kümmern hat. Ich beendete meine Hausaufgaben und musste, nach schwachem Protest, trotzdem in die Jungschar. Das war wohl die erste Dissoziation. Ich fühlte gar nichts. Der erste dissoziative, längere Zustand, an den ich mich erinnern kann. Die Lücke ist groß. Ich glaube, keiner hat etwas gemerkt. Aber ich habe wohl recht gut funktioniert in der Jungschar.
Danach nicht mehr. Danach schlug meine Pubertät ein wie eine Bombe. Klick. Es geht los. Krieg. Gegen die Andern. Aber auch gegen mich selbst. Innen und außen. Feinde machen. Schwarze Fingernägel und die Rasierklingen gut verstecken daheim. Ich war nicht mehr Zuhaus. Ich verbrachte meine Zeit bei Wind und Wetter mit den Jungs am Skatepark. Ich war bei Mio. Tagelang. Gefühlt. Ich saß an der S-Bahn-Haltestelle. Bloß nicht daheim sein. Sich bloß nicht blicken lassen. Wenn du heim gehst wird es schlimm. Mama besänftigen, dass sie mir erlaubt bei Anna zu übernachten. Ich war selten bei Anna. Meistens war ich bei Mio. Sie hätten es sicher nicht erlaubt, aber seine Eltern waren selten daheim. Sie waren oft Skifahren. Oder in Dubai. Der Kontrast hätte nicht größer sein können.
Die Wochenenden verbrachten wir meistens in einem Aufenthaltsraum im Industriegebiet. Im „Joker“, wie dieser Treffpunkt getauft wurde. Julias Vater hatte eine Baufirma. Wir kletterten über das Tor vorne, vorbei an den Baggern und Walzen und den anderen schweren Geräten. Einige von uns waren schon älter. Alkohol war selten knapp. Mit einer Flasche Whiskey oben in dem Kran sitzen und über die Stadt schauen. Der Wind. Die Kälte. Die Dunkelheit. Das Betäubt sein vom Alkohol und doch so viel fühlen. Stille Tränen und der ganze pubertäre Weltschmerz da oben. Wunderschöne Melancholie. Und ein Wunder auch, dass niemand draufgegangen ist. Niemand ist sturzbesoffen vom Kran gefallen.
Irgendwann fingen wir an Gras zu rauchen. Bekifft sein war irgendwie lustiger als betrunken sein. Besoffene Mädchen, die weinen. Kiffen war lustiger. Alles war auf einmal lustig. Wir wurden so wunderbar kreativ. Wir sponnen die wildesten Theorien. Und schrieben sie auf. Wir führten ein gemeinsames Tagebuch. Wir lachten. Viel und zusammen. Nicht mehr nur am Wochenende. Wir wollten auch nach der Schule lachen. Nicht nach Hause gehen. Mios Vater besaß ein altes leerstehendes Haus. Im Weilerweg. So hieß die Straße. Es war riesig. Wir lebten dort. Wir schleppten Sofas hinauf. Wir richteten uns ein. Jemand brachte eine Musikanlage. Wir bemalten die Wände. Wir organisierten einen Staubsauger. Zeitweise nutzten wir die Räume auch als Proberäume für befreundete Bands. Irgendjemand brachte eine Nintendo Playstation mit. Wir schufen uns selbst ein Zuhause. Es war immer jemand dort. Tag und Nacht. Tatsächlich wohnte ich später während eines Praktikums kurze Zeit sogar dort. Super stoned die Englisch-Hausaufgaben machen. Wir waren 13. Wir waren die Dorf-Punks. Obwohl der Papa Kleinunternehmer war. Oder vielleicht gerade deswegen. Wir waren Freunde. Verletzte Verbündete im Krieg gegen unsere Eltern.
Mit 16 ließen sich meine „Eltern“ scheiden. Meine Mutter hatte eine Affäre. Oder auch mehrere. Sie sei nicht mehr glücklich in der Ehe, noch nie gewesen. Mein Stiefvater zog aus. Es war ein Frühlingstag. Alle weinten. Meine Mutter, mein Stiefvater, meine beiden Geschwister. Ich weinte nicht. Wir stehen im Flur vor der milchgläsernen Haustür. Mein Stiefvater mit einem letzten Umzugskarton in den Händen. Er verabschiedet sich. Es wird sich umarmt. Er weint. Ich glaube er umarmt auch mich. Er geht. Man sieht seinen Schatten noch durch die Tür. Wie er sich entfernt. Meine Mutter geht schweigend in das offene Wohn- und Esszimmer. Meine Schwester schaut mich an. „Und du weinst nicht einmal. Ich hasse dich.“ Sie stapft die Treppen hinauf in ihr Zimmer. Ich höre sie schluchzen. Die Tür knallt. Mein kleiner Bruder folgt ihr. Er sieht traurig aus. So unglaublich traurig. Er hat das Zimmer direkt neben meinem. Er lässt die Tür offen. Ich setze mich auf die unterste Treppenstufe. Der Krieg ist vorbei. Ich bin noch da.
Ich habe den Krieg überlebt.
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