Tumgik
#pflegeheinm
derzaungast · 4 years
Text
Geschichten aus dem Pflegeheim: Feiertagsdienst an Pfingsten
—————-
Dienste an christlichen Feiertagen bieten mir immer die Möglichkeit, in meinen Angeboten, scheinbar ganz im Sinne meines diakonischen Arbeitgebers, den Leuten Botschaft und Bedeutung des jeweiligen Feiertages nahezubringen bzw. ihre Erinnerung aufzufrischen (in der Praxis stellt sich schnell heraus, dass die Unkenntnis darüber, was im christlichen Jahreskalender warum gefeiert wird, nicht den Atheisten oder Dementen vorbehalten ist).
Vor allem kann ich unter der Tarnung der sozialen Betreuung und von lustigen Runden recht schön ein bisschen praktische Religionskritik anbringen.
Tumblr media
Heute muss natürlich über Pfingsten gesprochen werden, von dem keiner auch nur die blasseste Ahnung hat, warum das ein Feiertag und was das überhaupt ist.
Ich erzähle also meiner Zuhörerschaft, was nach christlicher Legende Pfingsten bedeutet: dass da ein „heiliger Geist“ irgendwie in die Jünger gefahren oder von einer Art Taube (ja, genau: der Vogel, der alles voll kackt) ausgeschieden und in die Gläubigen geschüttet worden sei.
Derselbe heilige Geist übrigens, der ein paar Jahrzehnte vorher die Maria geschwängert hat, die dann den Jesus zur Welt brachte, um den sich bei den Christen alles dreht. Mein Publikum ist gebannt von dieser unerwarteten Volte der Geschichte und versucht anscheinend innerlich, eins und eins zusammenzuzählen.
„Was ist denn nun ein ‚heiliger Geist‘?“
frage ich in die Runde. Ratlose Gesichter. Nur der volldemente Herr J. sieht aus, als ob ein Glöckchen klingeln würde. Er meldet sich und erklärt: „Ein Mensch, den man nicht sieht!“
Das klingt überzeugend, auch für die Umsitzenden. Wo wir schon mal bei Geistern sind, hake ich nach und frage, wie sie sich einen Geist - ob heilig oder nicht - vorstellen. Natürlich kommen wir auf Gespenster, Spuk und Geister á la „Hui-Buh das Schlossgespenst“ und alte Bettlaken mit reingeschnittenen Augenlöchern.
Die Runde ist erheitert, man lacht über das leicht depperte Gespenst und nimmt hoffentlich auch heilige Geister nicht mehr so ernst.
Wir beschließen den Vormittag mit ein paar Frühlingsliedern und alle freuen sich aufs Mittagessen, das an Feiertagen immer besonders lecker ist.
Tumblr media Tumblr media
0 notes
derzaungast · 4 years
Text
Geschichten aus dem Pflegeheim: Wer erkennt wen?
Da die Gottesdienste im Pflegeheim momentan Corona-bedingt nicht live stattfinden können, nimmt der örtliche Pfarrer seine Veranstaltungen recht professionell auf und stellt uns einen USB-Stick mit der jeweils aktuellen Ausgabe zur Verfügung.
Diese zeigen wir zu den gewohnten Gottesdienstzeiten nachmittags im Heim auf eigens installierten USB-tauglichen Fernsehgeräten - schließlich ist das Haus eine Einrichtung der Diakonie und auf die Verbreitung des Wortes Gottes wird großen Wert gelegt.
Der Ostermontags-Gottesdienst steht am heutigen Freitag auf dem Programm. Meine Aufgabe ist die Bestückung des Fernsehgerätes mit dem USB-Stick und die Begleitung des Angebotes, das im Speisesaal des Wohnbereiches stattfindet (die drei Wohnbereiche sind wegen der Corona-Pandemie streng getrennt).
Damit komme ich nicht drum herum, mir die Veranstaltung in voller Länge (zum Glück begrenzt auf ca. 30 Minuten) anzutun. Die Musikbegleitung durch zwei Profimusiker ist schon mal nicht schlecht und hört sich eher nach Jazz als nach Kirchenmusik an.
Dann wird’s allerdings schnell unterirdisch: eine künstlich enthusiasmierte Pfarrerin führt, assistiert von einem bärtigen brummeligen Mittvierziger (Typ evangelische Telefonseelsorge), durch das Programm aus Gebeten, Gesangbuch-Liedern, und merkwürdigen, angestrengt munteren und belehrenden Dialogen, die wohl die Predigt ersetzen oder sein sollen.
Die gestenreich deklamierende Kirchenfrau verkündet das Motto dieses Tages, das da lautet „Wer erkennt wen?“. Dabei soll es wohl irgendwie um die Art und Weise gehen, mit denen Menschen sich untereinander erkennen, sowie ihren Christengott und dieser wiederum „die Menschen“. Dabei spielen die beiden Vorbeter eine laienhafte Mini-Vorstellung herunter, in der gefragt wird „Wie erkennt der HERR uns Menschen?“.
Jeder einzelne Satz dieser improvisiert wirken sollenden Einlage muß von den zwei Kirchenleuten abgelesen werden; offensichtlich haben sie selber nichts zu sagen zu diesem Thema, oder können sich nicht einmal bei solch einer essenziellen Fragestellung auf die eigene Intelligenz und Einsicht verlassen, sondern müssen ihre vorgefertigten Glaubenssprechblasen nach Manuskript sprechen.
An dieser Stelle erlöst mich meine zuverlässig schnoddrige Frau H., Teilnehmerin der „Tagesgruppe Demenz“ und unheilig bodenständige Lebenspraktikerin, aus meinem langsam sich manifestierenden Zustand aufgerollter Fußnägel über das fromme Getue der religiösen Vorturnerin. Sie dreht sich schelmisch grinsend zu mir um und bemerkt lakonisch: „Mich erkennst du aber noch, oder?“
„Sowieso!“ antworte ich ihr, erleichtert über die Unterbrechung meiner Fremdscham-Qualen, „da blendet mich wenigstens kein Heiligenschein!“
Frau H. grinst sich einen und verfolgt weiter die Gottesdienstsendung, die sie im Gegensatz zu den glaubensfesteren Bewohnern nicht bei den bekannten Liedern und Gebeten mitsingt und -spricht. Ich frage mich, wie ihr mit ihrer dementen Sicht das Ganze vorkommt. Demente Menschen, die mehr über gefühlsmäßige als intellektuelle Wahrnehmung funktionieren, haben in der Regel gute Antennen für aufgesetztes Getue, Unehrlichkeit und Fake News.
Die österliche Andacht geht zu Ende. Die anwesenden orientierteren Bewohner sprechen routiniert das Vaterunser mit, die stärker dementen schauen nur ratlos auf den Bildschirm oder sind gleich zu Beginn eingeschlafen, die Musiker in der Aufnahme beenden das Ganze mit einem wahrhaft Miles Davis-würdigen Orgel-Klarinetten-Duo und ich kann endlich in den Feierabend.
Tumblr media
0 notes
derzaungast · 4 years
Text
Geschichten aus dem Pflegeheim: Was tun?
Nach einer Woche Krankschreibung haben sich meine Grippesymptome gebessert; was bleibt, ist ein permanenter trockener Hustenreiz und Atemprobleme, verbunden mit erträglichen Schmerzen im gesamten Brustkorb (nichts, was ich als Asthmatiker nicht kennen würde).
Unter normalen Umständen würde ich sagen: ok, ich bin zu 80% fit, ich geh wieder arbeiten.
Am Freitag erhielt ich allerdings die Nachricht, dass zwei Personen aus meiner "Tagesgruppe Demenz" als Corona-Infektionsverdachtsfälle in ihren Zimmern isoliert werden mussten. Alle Mitarbeiter, die mit diesen Personen Kontakt hatten, wurden aufgefordert, ihre Namen, Geburts- und Kontaktdaten anzugeben (vermutlich zur Übermittlung ans Gesundheitsamt; die Einrichtung selber hat ja diese Daten).
Bei den jetzt isolierten Bewohnern wurde am Freitag ein Abstrich gemacht, um sie auf Covid-19 zu testen. Das Ergebnis wird wohl frühestens am morgigen Montag zu erfahren sein.
Ich gehöre nun definitiv zu den Mitarbeitern, die reichlich Kontakt zu den beiden hatte, inklusive Toilettenbegleitung und Essen anreichen.. (Ohnehin lässt sich bei der Arbeit im Pflegeheim enger Kontakt - jedenfalls engerer als 1,50m Abstand - eigentlich nicht vermeiden).
Meiner Einschätzung nach stelle ich - ohne ein negatives Testresultat - eine Gesundheitsgefährdung für Bewohner und Kollegen dar. Ich werde also morgen früh, so wie letzten Montag, beim zuständigen Gesundheitsamt anrufen und darum bitten, getestet zu werden.
Vor Wochenfrist wurde ich dort abgewimmelt und mit dem Rat beschieden, mich nach ein paar Tagen Krankschreibung wieder zum Dienst zu melden - da war allerdings noch kein Fall von Covid-19-Verdacht in der Einrichtung bekannt.
Sollte ich morgen von diesem Amt dasselbe hören, müsste ich zum Dienst erscheinen - ungeachtet der theoretisch möglichen Gesundheitsgefährdung Dritter.
Ich MÖCHTE arbeiten gehen, weil ich die Situation in der Einrichtung kenne und unsere Bewohner jetzt schon am Rad drehen mit den drastischen Einschnitten in ihren gewohnten Tagesablauf. Ich möchte aber nicht andere - und schon gleich nicht unsere Hochrisikogruppe im Pflegeheim - potentiell mit Ansteckung gefährden.
Sollte das Gesundheitsamt mich wieder abwimmeln und ich eigenmächtig nicht zum Dienst erscheinen, würde mir das natürlich mindestens eine Abmahnung vom Arbeitgeber einbringen. Die Alternative wäre, mir einfach vom Hausarzt noch eine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen zu lassen - dazu genügt heutzutage ja ein Anruf und man kriegt das Ding zugeschickt.
Was tun?
Tumblr media
0 notes
derzaungast · 4 years
Text
Geschichten aus dem Pflegeheim: die Einschläge kommen näher
———————————————
Der bisherige relativ gemütliche Tagesablauf unserer Einrichtung (angesichts der Umstände herrscht - bis auf das Besuchsverbot - beinahe Normalbetrieb) ist beendet. In einem Pflegeheim um die Ecke, im Nachbar-Stadtteil Selikum, sind in einem katholischen Pflegeheim 33 Bewohner und 9 Mitarbeiter mit Covid-19 infiziert.
Das fasst unsere Einrichtungsleitung eindeutig und zu recht als Warnschuss auf und erlässt ab sofort folgende Maßnahmen: alle Wohnbereiche werden strikt getrennt, die Bewohner müssen auf ihren Wohnbereichen bleiben. Gemeinsame Veranstaltungen sind gestrichen. Mahlzeiten und Angebote des Sozialen Dienstes finden nur noch wohnbereichsbezogen statt; die Mitarbeiter - Pflege wie Sozialer Dienst - sind für die Zeit ihrer Anwesenheit im Haus nur einem einzigen Wohnbereich zugeordnet. Somit steht eine Neustrukturierung der Angebote des Sozialen Dienstes an, da fast alle Gruppenangebote wohnbereichsübergreifend sind.
Maßnahmen, die NICHT erfolgen: die Ausstattung der Mitarbeiter mit Atemschutzmasken und Handschuhen (bzw. deren obligatorische Verwendung - Schutzhandschuhe jedenfalls gibt es im Hause reichlich, weil die Pflege-Kollegen sie täglich benutzen). Getestet wird auch nicht.
Auf meine Nachfrage belehrt mich die PDL (Pflegedienstleitung), dass das Testen ja ohnehin wenig bringen würde: „Heute werden Sie negativ getestet und morgen infizieren Sie sich...“. Auch würden die Masken nichts nützen und wenn überhaupt nur die FFP2-Masken was taugen, „und ziehen Sie die mal eine Stunde auf, das halten Sie nicht aus, da schwitzen Sie wie blöd...“
Unterdessen verbreitet sich unter den orientierten Bewohnern die Neuigkeit. Ihnen ist klar, das jetzt noch weitergehende Einschränkungen ihres Lebens im Heim auf sie zukommen. Die Dementen, die schon nicht das Abstandsgebot verstehen können und einem munter weiter die Hand schütteln, umarmen oder sonstwie anfassen wollen, spüren sicher auch die insgesamt veränderte Atmosphäre im Haus. Sie können nicht erfassen, was Gründe und Auswirkungen der Veränderungen sind, erfassen aber, DASS etwas anders ist.
Die PDL begründet die Maßnahmen damit, Zustände wie im benachbarten Pflegeheim verhindern zu wollen. „Bei uns ist ja zum Glück noch keiner erkrankt oder infiziert!“ sagt sie mir. Ich so: „Frau G., wie wollen Sie das denn wissen ohne dass getestet wird?“ Frau G. schaut mich an, nickt und schweigt.
Tumblr media
0 notes
derzaungast · 4 years
Text
Geschichten aus dem Pflegeheim: Lasst Bilder sprechen
——————————————————————-
Die Lage in den Pflegeeinrichtungen ist momentan nicht einfach für die Bewohner (von den Mitarbeitern will ich gar nicht erst sprechen). Natürlich sehen alle die Nachrichten und wissen von den drastischen Einschränkungen; am meisten spüren sie es aber durch das Zutrittsverbot für Externe. Keine Angehörigen und Freunde mehr zu Besuch, keine Physiotherapeuten, keine Fußpflege, keine Friseurin, keine Auftritte von Musik- oder Tanzgruppen, kein Hospizdienst, keine Betreuer, keine Ehrenamtlichen.
Die Orientierten unter den Bewohnern fügen sich in die Situation; von manch einem hört man „Da haben wir schon schlimmere Zeiten mitgemacht!“ und Ähnliches. Mal sehen, wie das in ein paar Wochen sein wird.
Für die Dementen ist die Lage schwieriger. Sie verstehen nicht (oder kaum), warum jetzt plötzlich keiner mehr kommt. Dabei brauchen gerade die dementen Bewohner das am meisten.
Da eine meine wenigen Gaben in diesem Leben neben einem ausgeprägten sozialen Hau darin besteht, kleine Kritzeleien anzufertigen, nutze ich diese bei fast jedem Angebot, das ich im Rahmen des Sozialen Dienstes der Einrichtung durchzuführen habe. In Zeitungsrunden oder sonstigen Gruppenangeboten für die Orientierteren unter meinen Leuten ist das Coronavirus-Thema natürlich unvermeidlich. Hier wird nicht in die Tiefe gegangen, sondern einfach und anschaulich informiert, was die Maßnahmen der Regierung bedeuten (Bild 1).
Anders in der „Tagesgruppe Demenz“. Die neun leicht und mittelschwer demenzkranken Menschen hier können mit faktischen Informationen zu aktuellen Entwicklungen wenig anfangen. Am besten kommen Geschichten und Lieder an, und zumindest für die Zeit unseres Zusammenseins von Morgens bis Mittags will ich meiner Truppe gar nicht erst mit den Schauergeschichten der pandemischen Realität außerhalb der Einrichtungsmauern kommen.
Wir beschließen nach dem Frühstück, auf den Tischen Papier auszurollen und ein gemeinschaftliches Frühlingsbild zu malen. Von acht anwesenden Gruppenteilnehmern machen sieben auch mehr oder weniger engagiert mit, manche mit erkennbaren Abbildungen von Dingen wie Blumen, Bergen, Wolken, Sonne usw.., für andere ist alleine die Handhabung eines Stiftes schon Herausforderung und Leistung zugleich.
Frau H. malt mit Begeisterung kantige Strukturen, die Lageplänen oder Konstruktionszeichnungen ähneln und fragt mehrfach verwundert: „Was ist das denn jetzt? Ich weiß gar nicht, was das sein soll!“
Frau C. hält mit Erstaunen über sich selbst einen Stift in der Hand und beginnt, sachte und ohne viel Druck mit dem Farbauftrag. Sie malt da, wo ihre Hand hinreicht, und da sie im Rollstuhl sitzt, ist das die Tischkante. Nach fünf Minuten in denen ich mich anderen zuwende, sehe ich Frau C. wie sie immer noch malt und malt, mittlerweile aber auf der Armlehne ihres Rollstuhles. Noch eine Weile später malt sie mit denselben sanften, gleichmäßigen Strichen in der Luft.
Frau K., die beim Sprechen mit jedem Wort eines Satzes leiser und langsamer wird und die noch vor Ende des Satzes vergessen hat, was sie sagen will, malt ein paar winzig kleine Musterungen auf das Papier vor ihr. Sie gerät aber wohl mit dem Malen in eine ähnlich zeitlupenmäßige Verlangsamung wie mit dem Sprechen, ihre Hand wird immer langsamer, die Striche kürzer und schließlich bleibt die Hand auf dem Papier liegen wie eine Spieluhr, deren Antriebsmechanismus sich erschöpft hat.
Sie beobachtet das Geschehen aber interessiert, und so setze ich mich zu ihr. Wir erfinden eine kleine Frühlingsgeschichte, nämlich die von Rudi der Raupe, die ein frisches grünes Blatt gefunden hat und jetzt ihren Mordshunger stillen will. Da kommt von der anderen Seite Anton die Waldameise heran, ein ausgesprochen fieser Vertreter seiner Gattung, und will Rudi das Blatt streitig machen. Frau K. ist erfreut und lacht über den sympathischen Rauperich, aber auch etwas erschreckt über die gemeine Ameise. (Bilder 2 und 3)
Ende vom Lied: alle kriegen was ab, keiner kommt zu kurz, der Gerechtigkeit im Wald und auf der Welt ist mal wieder Genüge getan und alle sind bester Laune, als wir mit unserem großen gemeinsamen Frühlingsbild als Tischdecke den Mittagstisch eindecken.
Tumblr media Tumblr media Tumblr media
0 notes
derzaungast · 4 years
Text
Geschichten aus dem Pflegeheim: Vollsperrung
Tumblr media
Nach dem Online-Gottesdienst winkt der Einrichtungsleiter mich und ein paar Pflege-Kollegen zu sich und zeigt uns den soeben eingetroffenen Erlaß der Bezirksregierung an die Pflegeheime im Rhein-Kreis Neuss: ab sofort vollständige Zugangssperre, Ausnahmen nur noch für ärztliches Personal. Verwandte dürfen nur noch bei akuten Sterbenfällen und dann nur unter Aufsicht hinein. Der Grund, so führt das Schreiben aus, ist die laxe Handhabung der bisherigen Regelung (Besucher-Zutritt für eine Stunde, nur auf dem Zimmer, nur mit Registrierung) durch die Einrichtungen im Kreis. Dadurch sei es in einem der Heime zu einer Masseninfektion gekommen; ähnliche Fälle wolle man mit der neuen Regelung vermeiden.
Auch hier also wieder derselbe Auslöser für weitreichende staatliche Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten: die menschliche Dummheit. Zumindest dient die Ignoranz und Borniertheit vieler Zeitgenossen als willkommener Vorwand für drastische Einschränkungen bis hin zur Ausgangssperre.
Der Einrichtungsleiter drückt seine Befürchtung aus, dass uns bzw. der Einrichtung das Schlimmste noch bevorsteht, da bis vor Kurzen mannigfache Ansteckungsmöglichkeiten bestanden haben, hausintern nach wie vor bestehen und durch die lange Inkubationszeit noch gar nicht absehbar ist, wer sich alles angesteckt haben könnte.
Die Einrichtung selber hat zwei Quarantäne-Fälle, der Soziale Dienst der Einrichtung besteht mittlerweile nur noch aus mir, da vier Kollegen erkrankt sind (an Grippe, angeblich/hoffentlich bloß). Wir versuchen, einen Minimalbetrieb für die jetzt schon vom Lagerkoller befallen Bewohner aufrecht zu erhalten und hoffen, dass wir die nächste Zeit irgendwie gut überstehen.
Auf dem Rückweg von der Arbeit fahre ich einen Umweg, um dem Geheimtipp einer Kollegin nachzugehen, nach dem in einem NORMA-Markt in einem bestimmten Neusser Stadtviertel noch Toilettenppier käuflich zu erwerben sei. Im Radio höre ich eine Meldung, die zum oben Ausgeführten passt wie Arsch auf Eimer: eine psychologische Studie hat gezeigt, das die Leute umso mehr horten (vor allem Klopapier), je uninformierter sie sind.
Im Klartext: je dümmer, desto scheiße. Ach ja: auch im NORMA gab’s kein Klopapier.
Tumblr media
0 notes
derzaungast · 4 years
Text
Geschichten aus dem Pflegeheim: Zigarettchen und die Sieben Aschenbecher
Eine äußerst schläfrige „Tagesgruppe Demenz“ lässt mich heute an meinen Fähigkeiten zweifeln: die Hälfte schläft oder döst vor sich hin, die anderen beschweren sich über die Kälte im Raum (nachdem morgens zum Lüften ein Fenster offen war: Höchststrafe für stets fröstelnde alte Leute) oder über den Krach beim Tischeindecken. Frau S., die dementeste und gleichzeitig freundlichste der Runde, schläft - direkt nachdem die Pflegekraft sie in den Gruppenraum gebracht hat - schon wieder tief und fest ein und wird nicht einmal wach, als ich versuche, ihr das Frühstück anzureichen.
Hier sind eindeutig drastischere Maßnahmen gefragt, um meine demente Runde wach zu bekommen und ihrer Aufmerksamkeit einen gemeinsamen Fokus zu geben. Wobei auch das kein Selbstzweck ist; manchmal ist es einfach nötig, den Dingen ihren Lauf zu lassen und mit den drei, vier wachen Personen den Vormittag zu gestalten.
Andrerseits lasse ich ungern die Teilnehmer in ihren Sitzen oder Rollstühlen zusammengesackt schlafen - dann hätten sie auch gleich im Bett bleiben können. Hintergrund: Die zwei oder drei Pflegekräfte pro Wohnbereich haben rund 20 Bewohner zu versorgen. Damit alle bis spätestens 9:00 am Frühstückstisch sitzen und die Pflegekräfte selber ihre Pause um 9:30 einhalten können, beginnen sie oft schon ab 7:00 morgens, die Leute zu wecken, aus dem Bett zu holen, „frisch zu machen“ und in den Speiseraum bzw. in unserem Fall in den Tagesgruppen-Raum zu bringen. Klar, dass etliche ziemlich verschlafen zum Frühstück erscheinen und besser im Bett geblieben wären (wofür ich in manchen Fällen umgehend sorge und die Leute schnurstracks wieder in ihre Zimmer bringe oder bringen lassen, wenn ich merke, dass ihnen ein erholsames Ausschlafen im Bett besser täte als ein unbequemer Schlaf im (Roll-)Stuhl).
Heute belasse ich aber alle im Gruppenraum und versuche erstmal mit Musik, die morgendliche Stimmung zu heben. Dank Spotify kann ich auf den gesamten Fundus abendländischer U- und E-Musik zugreifen; heute muss es die Playlist „Wiener Walzer“ richten. Das ist schwungvoll, aber keine Radau-Musik und wirkt in der Regel innerhalb von Minuten. Und richtig, zu den Klängen von Straußens „An der schönen blauen Donau“ kommt Leben in die Runde, einige bewegen sich im Rhythmus der Musik, Frau S. summt mit und die Gesamtlage stellt sich alsbald als deutlich munterer dar.
Zum Ende der üblichen Frühstückszeit, das flexibel zwischen 9:00 und 9:30 liegt, sitzt Frau C. noch immer vor ihrer Kaffeetasse und einem ihrer beiden Milchbrötchenhälften mit Marmelade. Meine heutige Assistentin, eine Pflegehelferin ohne viel Einfühlungsvermögen und Erfahrung im Umgang mit Demenz, müht sich, Frau C. mit lautem und grenzwertig jovialem Zureden zum Verzehr ihres Frühstücks zu bringen. Frau C. lässt sich aber nichts erzählen und wehrt alle Versuche ab. Mir scheint es so, als hätte sie einfach keinen Hunger mehr. 
Um die aufkommende Hektik und das etwas paternalistische Gehabe der Kollegin - die Frau C. (und die anderen Gruppenteilnehmer) für meinen Geschmack zu sehr wie unmündige Kinder behandelt - zu unterbinden, greife ich mir Flipchart und Zeichenstifte und skizziere schnell eine Szenerie, in der Frau C. vor einem Tisch sitzt, auf dem sich alle Gegenstände ihres Frühstücks auf und davon machen. 
Damit ist schon für Heiterkeit in der Runde gesorgt, und als die Tasse zum Milchbrötchen sagt: „Etwas Besseres als den Tod finden wir überall!“, ist der weitere Kurs durch den Vormittag schon sichtbar: das Märchen muss her, in dem dieser Satz fällt! Bis wir gemeinsam das Märchen erraten haben, in dem so gesprochen wird, vergeht eine Weile, aber schließlich erinnert sich die Mehrheit an „Die Bremer Stadtmusikanten“ und ist sehr erfreut, als ich das dicke Märchenbuch aufschlage und die Geschichte noch einmal vorlese.
Das Thema Märchen gibt im Prinzip unendlich viel Stoff her. Erstens die Geschichten selber. Dann die damit verknüpften meist frühkindlichen Erinnerungen; ein Gedächtnisbereich, auf den auch demente Menschen in der Regel noch zugreifen können. Außerdem gibt es eine Reihe von Volksliedern, die Märchen der Brüder Grimm zum Thema haben usw. 
Wir machen also eine Runde Märchen-Raten; um meinen Leuten das Raten zu erleichtern, schreibe ich die Titel unter Auslassung einiger Buchstaben an das Flipchart. Bei dem Wort SCHNEEWITTCHEN versteht Frau H., unsere Raucherin, „Zigarettchen“, was mich sogleich auf ein verschollen geglaubtes, soeben entdecktes  Märchen der Brüder Grimm bringt: Zigarettchen und die Sieben Aschenbecher.
Die Kurzfassung dieser erstaunlichen Geschichte geht so: ZIgarettchen steigt morgens aus einem Bettchen und brennt so vor sich hin. Als es Zeit zum Ab-Aschen ist, streiten sich sieben Aschenbecher um die Gunst des Ascheabstreifens und stellen Zigaretten damit vor eine schwierige ethisch-moralische Frage. Schließlich löst Zigaretten die Frage aber, indem es JEDEM der sechs „normalen“ Aschenbecher gleiche Teile Asche gibt und zum Schluß in den dicken Drücke-Aschenbecher springt um sich selbst zu entsorgen. 
So können alle Freunde bleiben und keiner kommt zu kurz, was voll und ganz dem Gerechtigkeitsempfinden meiner Schützlinge entspricht.

Das Ende von Zigarettchen ist kein absolutes, denn lauter neue Zigaretten stehen schon bereit, seinen Platz einzunehmen. An dieser Stelle meldet sich wieder Raucherin Frau H. Und fragt: „Woher kommen die denn jetzt?“. 
„Aus der Zigarettenschachtel in deiner Handtasche!“, antworte ich ihr. Dieses Phänomen ist Frau H. tatsächlich bekannt, denn immer wieder dematerialisieren sich ihre Zigaretten auf mysteriöse Weise. Ich selber wurde vor wenigen Tagen Zeuge dieses Vorganges, als sie mir morgens gegen 10:00 zwei volle Zigarettenschachteln zeigte und mittags, keine zwei Stunden später, eine davon bis auf 4 oder 5 Zigaretten leer war (sie hatte in der Zwischenzeit meines Wissens nach den Raum nicht verlassen). 
Insofern habe ich den Eindruck, dass meine Märchenversion Frau H. nicht weniger einleuchtet als ihre eigenen Berichte von in ihrem Zimmer plündernden „Russen“, verstorbenen Verwandten oder diebischen Pflegekräften oder völlig Unbekannten, die sie sonst für das Verschwinden von Gegenständen verantwortlich macht.
Schon naht die Mittagszeit, die uns heute Hausmanns-Sülze mit Remoulade und Bratkartoffeln beschert, nachdem mein Gesülze für die geistige und emotionale Nahrung gesorgt hat.
Tumblr media Tumblr media
0 notes