Tumgik
#danach herrschte kurz unangenehme stille
intellectures · 4 years
Text
Das Lügengebäude einer Katastrophe
Tumblr media
Die fünfteilige Mini-Serie »Chernobyl« von »Breaking Bad«-Regisseur Johan Renck blickt hinter die Kulissen des Atomunfalls von 1986. Angesichts der aktuellen Covid-19-Krise und des vermeintlich reibungslosen Zusammenspiels von Politik und Wissenschaft kann man in der Serie ein unbeabsichtigtes cineastisches Korrektiv für Optimisten sehen. Grünlicher Staub rieselt von der Decke des Kontrollzentrums, als in der Nacht vom 26. April 1986 Reaktor Nummer 4 im Kernkraftwerk Wladimir I. Lenin explodiert ist. Stille herrscht, in Märchen würde man wohl von schockschwerer Not sprechen. Das bedrohliche Sägen eines Cellos legt sich über die Bilder, die Apokalypse kündigt sich an. Die filmische Aufarbeitung des Unfalls im Atomkraftwerk Chernobyl von »Breaking Bad«-Macher Johan Renck wird ganz bewusst als Endzeit-Erzählung gehalten, denn tatsächlich stand die Welt 1986 mehrmals am Rand eines Untergangs. Der Unfall von Chernobyl ist bis heute die größte vom Menschen verursachte Katastrophe, sofern man den Klimawandel nicht als zusammenhängendes Ereignis interpretiert. Johan Renck erzählt in seiner HBO-Serie davon, was in den Tagen, Wochen und Monaten nach dem Reaktorunfall in der Sowjetunion passiert ist. Dabei verbindet er mithilfe der bedrohlichen Klänge von Hildur Guðnadóttirs Cello (die bei Johann Jóhannsson Erfolgsprojekten mit Denis Villeneuve ebenso an Bord war wie zuletzt bei Todd Phillips »Joker«-Verfilmung) klug individuelle Erlebnisse mit der großen politischen Erzählung, indem er die Katastrophe aus der Perspektive verschiedener Figuren erzählt, die entweder in politischer Verantwortung stehen, wissenschaftlich beraten oder zu dem millionenschweren Heer an Menschen gehören, die die Reaktorkatastrophe auf die eine oder andere Art und Weise ausbaden müssen.
Tumblr media
Leonid Toptunov (Robert Emms) und Alexandr Akimov (Sam Troughton) im Kontrollzentrum des Atomktraftwerks kurz vor der Explosion des Reaktors Die überwiegend in Litauen gedrehte Serie hat auf den einschlägigen Review-Datenbanken überwiegend begeistertes Feedback erhalten, in der Filmdatenbank IMDB wird sie derzeit mit 9,4 von 10 Sternen bewertet, bei Rotten Tomatoes mit 96 von 100 Prozent bei den Fachleuten und 98 von 100 Prozent beim Publikum. Das kommt nicht von ungefähr, wenn man im Blick behält, dass es sich um eine fiktional zugespitzte Mini-Serie handelt. Getragen wir die Erzählung von Stellan Skarsgård als sowjetischem Innenminister Boris Shcherbina, Jared Harris als Valery Legasov, führender Kernphysiker des Landes, sowie Jessie Buckley, die die Ehefrau eines der Feuerwehrmänner, die den brennenden Reaktor löschen sollten, spielt. Sie begleitet das elendige Sterben ihres Mannes Vasily, der innerhalb von wenigen Tagen an den Folgen der ausgesetzten Strahlung im wahrsten Sinne des Wortes krepiert (hier hat vor allem die Maske ganze Arbeit geleistet, die den körperlichen Verfall derjenigen, die der tödlichen Strahlung des Reaktors schutzlos ausgeliefert waren, in schockierender Weise nachvollziehbar macht) und steht danach symbolisch für die Langzeitfolgen der Reaktorkatastrophe.
Tumblr media
Lyudmilla Ignatenko (Jessie Buckley) begleitet ihren Mann Vasily (Adam Nagaitis) bei seinem grauenvollen Sterben. Shcherbina und Legasov führen den Kampf gegen die Zeit an vorderster Front, vom Geheimdienst überwacht und ständig mit neuen Herausforderungen und willkürlichen politischen Entscheidungen konfrontiert. Unterstützt werden sie von der Kernphysikerin Ulan Khomyuk (Emily Watson), die in den geheimen Archiven der sowjetischen Wissenschaft recherchiert, um herauszufinden, wie es überhaupt zu der Explosion kommen konnte. Denn dass ein Reaktor überhaupt explodieren kann, wusste nicht nur keiner der Verantwortlichen im Kontrollzentrum, sondern auch sonst niemand. Khomyuk ist von einem guten Dutzend Figuren – Feuerwehrmänner, Wissenschaftler, Bergleute, Militärs, Apparatschiks und einfache Bürger –, die die fünfteilige Serie mit ihren individuellen Geschichten schultern. Laut Renck beruhen die in seinem Film erzählten Ereignisse vollständig auf verbürgten Tatsachen. Was schon unter normalen Umständen eine starke Aussage bei einem dramatischen Kunstwerk ist, wirkt bei so einem politisch brisanten Vorfall natürlich doppelt. Zumal Aussagen wie »Jede Lüge, die wir erzählen, geht zu lasten der Wahrheit« die Latte der Erwartungen hoch legen. So ist es kein Wunder, dass sich seit Ausstrahlung der Serie (die im vergangenen Jahr auf dem Bezahlsender Sky gezeigt wurde) die Kritik an dieser Behauptung aufhängt. Dem Film wird dramatische Überhöhung, Effekthascherei und Übertreibung der Unfallfolgen unterstellt. Bedenkt man aber, dass es sich hierbei nicht um einen Dokumentarfilm, sondern um eine fiktionale Verarbeitung der Ereignisse handelt, die Höhepunkte und Cliffhanger produzieren muss, dann relativiert sich diese kritische Einschätzung. Zumal Renck den Fokus nicht auf die wissenschaftliche Aufarbeitung der Ereignisse legt, sondern auf die Folgen des Atomunfalls für die einfachen Menschen. Er zeigt, wie eine Katastrophe von jetzt auf gleich jeden treffen kann, unabhängig von der Stellung in der Nomenklatura der Partei, dem Rang, Beruf, Alter und Geschlecht.
Tumblr media
Valery Legasov (Jared Harris) und Ulana Khomyuk (Emily Watson) im wissenschaftlichen Austausch. Die Serie überzeugt in ihrer erzählerischen Wucht, und das aus zwei Gründen: Zum einen wissen Johan Renck und sein Kameramann Jakob Ihre um die Macht von Bildern. Vor allem in dem besonderen Kontext, als dass sie eine Geschichte erzählen, um deren Bedeutung die Zuschauer wissen, die beteiligten Figuren jedoch nicht. Ob die vor Radioaktivität glimmende Rauchsäule, der auf die schaulustigen Anwohner von Prypyat niedergehende Feinstaub oder der durch die umliegenden Wälder wehende Wind – diese an und für sich symbolischen Aufnahmen haben angesichts der unmittelbaren Bedrohung dieser Katastrophe eine immens starke Wirkung. Zum anderen ist der aufklärerische Aspekt immens. Craig Mazin ist es mit seinem Drehbuch gelungen, die wissenschaftlichen Fakten in begreifbare Bilder zu übersetzen. Insbesondere der letzte Teil der Serie, der von Valery Legasovs Aussage im Strafprozess gegen Chefingenieur Anatoly Dyatlov (Paul Ritter) getragen wird, werden (dem Format geschuldet natürlich auf Kosten wissenschaftlicher Komplexität) nicht nur die Vorgänge innerhalb eines Kernreaktors verständlich, sondern auch das System der Verheimlichung und Vertuschung wissenschaftlicher Forschung, um das Bild der überlegenen Sowjetunion aufrecht zu erhalten. Das propagandistische Lügengebäude von Chernobyl fällt in »Chernobyl« vor unseren Augen in sich zusammen.
Tumblr media
Valery Legasov (Jared Harris) und Boris Shcherbina (Stellan Skarsgård) müssen ihr handeln vor Ort politisch rechtfertigen. Nicht zuletzt veranschaulicht die Mini-Serie wie kaum eine andere das Verhältnis von Politik und Wissenschaften im Katastrophenfall. Das betrachtet man angesichts der weltweiten Corona-Pandemie natürlich mit einem anderen Auge. Die Expertenrolle von Valery Legasov hat in Deutschland aktuell der Berliner Virologe Christian Drosten inne (wenngleich Drosten seine Funktion als Experte in einer demokratischen Gesellschaft deutlich offensiver nach außen tragen kann), die von Boris Shcherbina könnte grob formuliert die von Jens Spahn sein. Anhand des Verhältnisses von Shcherbina und Legasov kann man nun beobachten, was es heißt, wissenschaftliche Erkenntnisse in politische Aussagen zu übersetzen. Kompromiss und die Wahl des zweckmäßigsten Mittels – insbesondere bei fehlenden Alternativen – sind hier die Zauberworte.
Tumblr media
Johan Renck: Chernobyl. Mit Jared Harris, Stellan Skarsgård, Emily Watson, Paul Ritter, Jessie Buckley. Polyband Medien 2019. 312 Minuten. 12,99 Euro (DVDV). 19,99 (Blu-ray) Zudem wird deutlich, dass Wissenschaft – vor allem im Katastrophenfall – nur durch nüchterne Analyse und Kooperation funktioniert. Man kann nur hoffen, dass Drosten – dem die ihm medial unterstellte Heilsbringer-Funktion selbst unangenehm ist – aus seinem fachlichen Umfeld ähnliche Unterstützung erreicht wie Legasov während seines Einsatzes in Chernobyl. Ulana Khomyuk repräsentiert als fiktive Symbolfigur zahlreiche Wissenschaftler, die Legasov nach dem Reaktorunfall berieten. Hätten die ihre Ableitungen und Erkenntnisse in den Tagen und Wochen der Katastrophe nicht geteilt, wären die Ausmaße und Folgen der Reaktorkatastrophe in Chernobyl noch einmal völlig andere gewesen. Menschen wir diesen Wiwssenschaftlern, aber auch den unzähligen namenlosen Personen, die sich – wissend und unwissend – unmittelbar oder auf lange Sicht geopfert haben, setzt dieser Film ein Denkmal.
Tumblr media
Ausgabe 44 des Film- und Medienmagazins CARGO enthält ein umfangreiches Gespräch von Christian Petzold und Simon Rothöhler über »Chernobyl«. Was ist der Preis der Wahrheit? Diese Frage steht am Anfang von Rencks Serie, die damit beginnt, wie Valery Legasov seine Beobachtungen und Erkenntnisse der Ereignisse in Chernobyl auf Tonbänder spricht. Am Ende seiner Aufnahmen, die in der Sowjetunion unter Wissenschaftlern kursierten, fragt er nicht mehr nach dem Preis der Wahrheit, sondern dem der Lüge. »Jede Lüge, die wir erzählen, geht zu Lasten der Wahrheit. Doch die Wahrheit verschwindet deshalb nicht. Der Wahrheit ist egal, was wir wollen oder brauchen. Sie wird für alle Zeiten auf uns lauern«, hört man ihn am Ende von den Bändern sprechen. Johan Rencks »Chernobyl« bringt uns der Wahrheit von Chernobyl ein ziemliches Stück näher. Read the full article
1 note · View note
m00nch1ldfairy-blog · 6 years
Text
Random Late Night Story
Nun lagen wir zusammen auf meinem Bett und starrten jeweils auf verschiedene Blickpunkte. Wenn man das liegen nennen konnte, denn Milo saß bloß mit dem Rücken angelehnt gegen das Bett und ich tat es ihm gleich, bloß musste es bei mir um weiten komischer aussehen, da ich, nicht wie Milo gerade, mit Haltung und, auf unerklärliche Weise, dennoch locker da saß, sondern wie ein eingefallener Sack, der sich bloß mit dem Ellenbogen abzustützen wusste, sofern das noch als Abstützen durchgehen konnte. Es musste lächerlich wirken. Diese perfekte Gestalt neben mir und dann ich. Ich war eine Witzfigur. Und das wurde mir erst jetzt richtig bewusst.
Es verging eine Weile in der wir bloß schwiegen und auf unsere Punkte starrten, doch zugegebenermaßen machte mich diese ewig anhaltende Stille zunehmend nervöser.
Ich war es nicht gewöhnt von so viel Schweigen umhüllt zu werden, weshalb es mir immer schwerer fiel, ruhig zu bleiben und diese unangenehme Ruhe nicht zu unterbrechen.
Es wäre ja eigentlich kein Problem, doch sah Milo gerade so aus, als hätte er sich in einen seiner vielen Gedanken vertieft und ich wollte ihn nun ungern darin stören. Ich war schon nervtötend genug.
So kam es eben, dass ich minutenlang in meiner Position verharrte, bis ich eine Regung neben mir wahrnahm und aufschaute.
"Du siehst nicht sehr entspannt aus", stellte der Grünhaarige sachlich fest, "ist alles in Ordnung?"
"Ja, wieso sollte es nicht in Ordnung sein?" - "Was sollte nicht nicht in Ordnung sein?" - "Was?"
Seine Mundwinkel zuckten kurz und für den Bruchteil einer Sekunde schien es, als würde er lächeln wollen, doch ehe ich mich versah, war dieses Zucken wieder verebbt.
"Schon okay."
Ich nickte stumm und starrte aus dem Fenster, gegen welches seit einer guten Stunde pausenlos unzählige Regentropfen prasselten. Die Sonne war schon untergegangen, was ziemlich normal zu diesen Zeiten im Winter war, und der Mond war als Sichel aufgegangen, doch wurde er von dunklen Regenwolken verdeckt, sodass nur ein schwacher Schein durch sie hindurch zu sehen war.
"Hat deine Mutter nichts dagegen, dass du so lange bei mir bist?",fragte ich in die Stille hinein, weil ich mich keinesfalls erneut jener aussetzen wollte, egal ob ich nun nervtötend war oder nicht.
"Solange ich außer Haus bin, hat sie gegen nichts Einwende",meinte er ruhig und mit einem bitteren Unterton in der Stimme.
Ich kannte seine Mutter bereits. Sie war ziemlich... naja, aggressiv? Konnte man sie so bezeichnen? Sie war sozusagen das Gegenstück zu ihrem Sohn, der die lebende Ruhe war.
Immer war sie durch den Wind, immer auf Arbeit, immer in Bewegung, was vermutlich an den Unmengen an Ecstasy lag, die sie täglich konsumierte. Milo hatte es damals ziemlich bereut, mir das erzählt zu haben, weil er mich noch nicht gut kannte und total high war, aber ich dachte heute noch, dass das das Fundament unserer tiefen und innigen Freundschaft war, weshalb ich eigentlich sehr glücklich war, es damals erfahren zu haben.
"Ich habe ihren Konsum schon lange nicht mehr unter Kontrolle und sie hatte ihn nie unter Kontrolle", hatte er mir damals erzählt als wir, beide high, ein Lagerfeuer aus BILD-Zeitung und Haarspray auf dem Kinderspielplatz entfacht hatten. Kein großes Feuer, nur ein kleines, bei dem wir uns vergebens erhofft hatten, unsere kalten Herzen aufzuwärmen.
Ja, wir hatten festgestellt, dass unsere Herzen viel zu kalt waren, um zu irgendwas im Stande zu sein, weshalb wir uns, von unseren Freunden getrennt hatten und zu dem Spielplatz geschlichen waren. Das war damals unser erster Kontakt. Und er hatte mir eins seiner größten Geheimnisse anvertraut.
Seitdem unternahmen wir immer öfter etwas zusammen und vor allem alleine. Ich wusste nicht, ob Milo sich zunächst dazu gezwungen hatte, um sicher zu gehen, dass ich ihn nicht verriet, doch wusste ich, dass er es nach den ersten 4 Treffen freiwillig tat, als er mir viel mehr anvertraute, als bloß irgendein mickriges Geheimnis. Nein, damals hatte er mir seine Welt offenbart. Wir hatten stundenlang einfach im Park rumgelegen und über belanglose Dinge geredet, dabei abwechselnd in die Augen des anderen und den Himmel gestarrt. Er hatte auf viele Dinge eine differenzierte und kritische Meinung und konnte sich sehr schnell sehr tief in bestimmte Themen reinsteigern. Er hatte mir Einblicke in seinen Verstand gewährt.
Danach lagen wir mit einer Decke unter uns und einer Decke über uns ausgestattet auf meinem Balkon und Milo hatte mir verschiedene Dinge über die Sternenbilder erzählt und wie er sich vorstellte, was nach unserem Tod passiert.
"Du kennst ja bestimmt diese ganzen belanglosen Religionen und Irrglauben von Wiedergeburt oder Leben in Himmel oder Hölle. Schlag dir das bitte für einen kurzen Moment aus dem Kopf und konzentrier dich bloß auf meine Vorstellung. Also.
Seit deiner Geburt wirst du von verschiedenen Erfahrungen und Eindrücken in verschiedensten Bereichen deines Lebens geprägt. Sowohl positiv als auch negativ. Bei mir wären die Bereiche... ähm ... Familie, Freunde, Schule, Gesellschaft, Erde, Natur, Tiere, Kunst - egal welche Art von Kunst - , Musik, Philosophie, Drogen, Liebe und Hass. Und wenn ich jetzt sterben würde, dann würde ich all diese Erfahrungen und Eindrücke in meiner Seele mitnehmen und meine Seele würde mich für immer verschiedene Szenarien, entstanden durch diese Erinnerungen, träumen lassen, angefangen bei dem Traum, wo dein ganzes erbärmliches Menschenleben nochmal an dir vorbeiziehen wird und du das letzte Mal in dem Zustand sein wirst, wo du realisieren kannst, dass du tot bist. Danach wirst du für immer Szenarien träumen, die deinen Erinnerungen nachempfunden sind, entschuldige, ich wiederhole mich. Die Seele ist dann übrigens nur noch bloße Energie, wie sie auch in deinem Körper vorhanden war. Man kann sie weder sehen, noch anfassen, fühlen oder hören. Eine träumende Energie also. Ist das nicht cool? Ich meine, es wäre für mich auf jeden Fall erträglicher, ewig zu träumen, als wiedergeboren zu werden oder so. Ich meine, stell dir vor du begehst Suizid und wirst wiedergeboren. Alles umsonst. Du lebst dann ja wieder. Klar, du lebst anders, aber der Grundgedanke zählt. Und wenn du ein Geist wirst, musst du trotzdem den ganzen Shit, der sich hier so zuträgt - wegen dem du dich vielleicht sogar umgebracht hast -, mitansehen und kannst einfach noch weniger machen, als zu Lebzeiten. Du kannst wörtlich einfach nur zuschauen. Ziemlich whack, nicht wahr? Und wenn du dieser ekelhaften Religion namens Christentum Glauben schenken solltest, wirst du in den Himmel kommen und was tust du da? Richtig, nichts. Das wird nämlich nie erzählt. Ich finde meine Version am schönsten von allen möglichen",hatte er ausformuliert erklärt.
Und ich hatte ihm zugehört. Ich hatte ihm immer zugehört, denn es war interessant, seine Sicht der Dinge zu erfahren, vor allem, da erzählt wurde, dass er ein ziemlich verschlossener Kerl sein sollte.
Aber das reicht, ich erzählte hier nun schon viel zu viel von der Vergangenheit.
Ich nickte abermals stumm und schaute ihn von der Seite an. Er schaute stur aus dem Fenster mit einer Art unterdrücktem traurigen Blick. Nun fühlte ich mich schlecht.
"Tut mir leid, wenn die Frage falsch war",entschuldigte ich mich vorsichtig und Milo drehte sich ruckartig mit dem Gesicht zu mir, sodass seine grünen Haare, die, beiläufig erwähnt, eigentlich nur ausgewaschenes Blau waren und deshalb nun grün aussahen, ein wenig auf und ab wippten.
"Es gibt keine falschen Fragen, Tids. Nur Fragen, die zum falschen Zeitpunkt gestellt werden",antwortete er verständnisvoll und lächelte leicht. Ich seufzte. Tids. Den Spitznamen hatte er mir gegeben. Ob man es noch Spitznamen nennen konnte, fand ich mehr als bloß fragwürdig, da Milo mich immer so nannte. Niemals nannte er mich bei meinem richtigen Namen, Tida. Er hatte es nie begründet, aber ich fand es auch nicht schlimm, dass er mich so nannte, im Gegenteil. Ich fand das sogar ziemlich nice. Aus dem einfachen Grund, weil ich noch nie jemandem ansatzweise wichtig genug gewesen war, dass er mir einen Spitznamen gab.
"Dann möchte ich mich dafür entschuldigen, dass ich diese Frage zum falschen Zeitpunkt gestellt habe",setzte ich erneut an und Milo lachte leise, ehe er mir sanft über meinen kopf strich, als wäre ich ein Hund oder seine feste Freundin, was natürlich nicht der Fall war. Er und ich machten das andauernd. Es war so ein Ding zwischen uns. Und es hatte bei uns beiden die selbe Wirkung: Wir beruhigten uns.
"Schon gut, ich glaube kaum, dass es für diese Frage jemals einen richtigen Zeitpunkt geben wird",er seufzte einmal und nun war ich es die ihm einmal sanft durch die weichen Haare wuschelte, woraufhin sich ein genießerisches Lächeln auf seinen Lippen formte und er entspannt die Augen schloss.
Er wirkte auf Außenstehende sicher erschöpft. Wie ein kleiner streunender Welpe, der jeden Tag aufs Neue ums Überleben kämpfte und nach einer geschlagenen Ewigkeit das erste Mal entspannen kann und gestreichelt wird. Doch es war keine Erschöpfung. Es war Ruhe. Sowas wusste man, wenn man kein Außenstehender mehr war. Und ich war sozusagen mitten im Zentrum seines Verstandes verankert. Er war einfach bloß die Ruhe selbst.
"Wie schaffst du das, Milo? An deiner Stelle wäre ich sicher schon längst ausgerastet, hätte den Verstand verloren oder in Depressionen versunken. Wie schaffst du es immernoch, trotz der Aggressionen deiner Mutter und allem anderen, so ruhig zu bleiben?!", platzte es dann letztendlich aus mir heraus und erschrocken schlug ich mir die Hände auf meinen Mund, als ich erkannte, was ich da gerade über seine Mutter gesagt hatte.
Zunächst herrschte eisige Stille und von meinem besten Freund war keine Bewegung wahrzunehmen, bis er sich kurz räusperte, weshalb ich schreckhaft zusammenzuckte und leicht grinsend anfing zu reden:"Für Außenstehende mag es wie Aggressionen aussehen, die meine Mutter gegenüber allem und jedem hegt, ja. Und ja, vielleicht sind es sogar Aggressionen, aber sie werden doch nur durch diese starke Unausgeglichenheit in ihrer Seele hervorgerufen." Verwirrt starrte ich ihn an. "Inwiefern?"
"Sieh es wie eine Art Waage. Eine Waage wo jedes Messschälchen für eine Emotion, ein Gefühl steht. Und Ausgeglichenheit zeugt davon, dass von allem gleich viel vorhanden ist, verstehst du?",erklärte er und ich nickte, was er als Anlass sah, fortzufahren. "Meine Mutter hat das nicht. Besser gesagt hatte sie es noch nie. Sie hatte immer zu viel von einem und zu wenig von allem anderen. Dann hat sie versucht, ihre überwiegenden Emotionen mit Drogen auszugleichen, aber das hat bloß die anderen Emotionen zum Überwiegen gebracht und da sie abhängig von dem Übergewicht ist, ist sie nicht in der Lage, jemals wieder irgendwas auszugleichen. Die Drogen drücken auf das Wutschälchen. Deshalb ist sie immer so aggressiv. Stempel nicht gleich alles ab, ohne es genauer betrachtet zu haben."
Wie jedes Mal wenn er erzählte und erklärte hörte ich ihm aufmerksam zu und wie immer war ich überwältigt von dem, was er mir offenbarte. "Verstehe. Tut mir leid",murmelte ich in Gedanken.
"Hör auf, dich immer für alle Sachen zu entschuldigen, für die du im Grunde genommen nichts kannst",flüsterte er leise und strich noch einmal durch meine Haare.
"Und du hast auf jedem dieser Schälchen die selbe Menge?",fragte ich dann interessiert und er nickte.
"Es ist eigentlich ganz einfach, du musst nur darauf achten, dass du ausgeglichen bleibst. Das heißt aber nicht, dass du Situationen entfließt oder so. Du musst lernen, sie richtig zu verarbeiten, jedes einzelne Stück Erfahrung und jeden Eindruck daraus mitzunehmen. So bleibst du auch ausgeglichen."
Ich nickte summend und rutschte dann mit meinem Kopf auf seine Brust, wo er anfing meinen Kopf zu kraulen.
"Ich habe dich lieb, Tids."
"Ich dich auch, Milo."
0 notes