Tumgik
#Hol mich raus aus diesem Loch
da-sy · 3 years
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Leere. Leere ist das was ich spüre wenn ich aufwache. Leere ist das was ich spüre wenn ich schlafen gehe. Gott, lieber Gott hol mich hier raus, aus diesem endlosen Loch. Was kann ich tun um wieder das zu spüren, was ich vor langer Zeit gefühlt habe. Was kann ich tun um dieses Loch der Leere zu füllen. Gott, lieber Gott, hilf mir und hol mich raus aus diesem Loch.
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crazy-walls · 4 years
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Hi ^^ Für die Angst/Fluff List: Nr. 37 ot3 justus/peter/bob?
Hallöchen :) es hat eine Weile gedauert, weil ich feststellen musste, dass Spannung nicht das einfachste zu schreiben ist aber mir sonst nichts mit angst eingefallen ist (dafür wurde es recht lang) ^^ ich hoffe, es gefällt dir :)
37. “Where were you when I needed you?”
„Sollen wir nicht lieber morgen zurückkommen? Irgendwie ist mir das nicht geheuer.“
„Ach was, Peter. Hier ist garantiert niemand, das Haus steht schon seit Jahren leer.“
„Eben drum“, murmelte Peter und sah sich besorgt um. Er konnte nicht sagen, was es war, aber etwas an diesem verlassenen Gebäude mitten im Nirgendwo beunruhigte ihn unheimlich. Etwas Anderes als die Tatsache, dass es verlassen und mitten im Nirgendwo war. Aber wie üblich hatte Justus seine Bedenken beiseite gewischt und Peter hatte sich mal wieder breitschlagen lassen mitzukommen. Allerdings hatte er sich geweigert, allein herumzuirren, und so schlich er nun Bob hinterher, während Justus zwei Stockwerke unter ihnen begonnen hatte.
„Na komm, je schneller wir alles untersucht haben, desto schneller sind wir wieder weg“, meinte Bob und trat über die Türschwelle in den fensterlosen Raum. Seine Taschenlampe erfasste eine verdreckte Frisierkommode mit zerbrochenem Spiegel, dessen Kante deutlich dunkler aussah als das restliche Holz. Spuren im Staub, erkannte Bob, als er näher trat.
In diesem Moment gaben die morschen Bretter unter seinen Füßen mit einem lauten Knacken nach. Ein Schrei entfuhr Bob und er griff nach den Bohlen, nach irgendetwas, das ihm Halt bieten würde – doch da war nichts.
Peter wirbelte herum. Das letzte, was Bob über die Kante hinweg sah, war sein erschrockener Blick, dann stürzte er in die Tiefe. Das Loch über ihm wurde rasend schnell kleiner, der Schein der Taschenlampe zuckte umher, doch kein Peter tauchte in dem dämmrigen Umriss auf.
Dann schlug er auf.
 Mit einem Stöhnen setzte Bob sich auf. Sein Schädel brummte und er war sicher, dass er kurze Zeit bewusstlos gewesen war. Seine Taschenlampe musste bei dem Sturz zerbrochen sein, denn etwas unter ihm knirschte und als er danach tastete, spürte er einen scharfen Schmerz. Leise fluchend zog er die Hand zurück, über die Finger tropfte warmes Blut.
„Peter?“, rief er und räusperte sich, um seiner Stimme einen festeren Klang zu verleihen. „Peter!“
Vergeblich.
Dabei hatte Peter doch genau beobachtet, wie er hinabgestürzt war!
Bob wusste nicht, wie tief er gefallen war, aber um ihn herum herrschte eiskalte Schwärze. Vorsichtig setzte er sich auf. Sein Rücken schmerzte, seine Schulter pochte, in seinem Kopf hämmerte es und ihm war schwindelig, aber abgesehen von seiner Hand war er unverletzt.
„Peter?“
Behutsam machte er einen Schritt, dann einen zweiten, tastete nach etwas, doch um ihn herum war nichts. Angst machte sich in ihm breit, und dann spürte er es.
Er war nicht allein.
Etwas... existierte, ganz in seiner Nähe. Er hörte kein Atmen, kein einziges Geräusch, roch nichts außer Moder, aber er wusste einfach, dass dort noch etwas war. Er konnte förmlich spüren, wie es seinen nächsten Schritt abwartete, lauerte. Und langsam näherkam, obwohl sich nichts zu rühren schien.
Die Härchen auf seinen Armen und im Nacken stellten sich auf, und Bob starrte angsterfüllt in die absolute Dunkelheit, die um ihn herum pulsierte.
„Bob?!“
Ein schmaler Lichtstrahl fiel auf eine entfernte Wand, und Bob entdeckte ein Loch in der Mauer etwa drei Meter über ihm. Wie gelähmt beobachtete er, wie Justus seinen Kopf hindurch streckte und suchend mit der Taschenlampe umher leuchtete. Dann traf ihn der Lichtstrahl im Gesicht. Geblendet blinzelte er.
„Hol mich hier raus, Justus, hol mich sofort raus!“, zischte er, und ausnahmsweise folgte Justus der Aufforderung sofort. Mit einem Klatschen schlug ein Seil gegen die Wand. Bob zögerte keine Sekunde. Ohne sich umzusehen, rannte er darauf zu. Den stechenden Schmerz in seiner Handfläche ignorierte er, während er sich so schnell wie möglich an dem Seil hochzog. Jeden Moment rechnete er damit, dass das Etwas ihm folgte, nach seinen Füßen schnappte, in zurück in die Dunkelheit zog. Sobald er in Reichweite war, griff Justus nach Bob und hievte ihn über die herausgebrochenen Mauersteine.
„Hey, alles... du blutest ja!“
Aber Bob unterbrach ihn. „Egal, weg hier, bloß weg!“ Drängend zerrte er an Justus Ärmel, der sich viel zu langsam in Bewegung setzte.
„Wo ist Peter?“
„K-Keine Ahnung, hast du ihn nicht gesehen?“
Ein stummes Kopfschütteln war die Anwort.
Erst jetzt bemerkte Bob, dass er am ganzen Körper zitterte. Justus nahm seine Hand und führte ihn aus dem stockdunklen Zimmer. „Lass uns hier erst mal verschwinden.“ Bestimmt zog er Bob mit sich, doch der hatte das leichte Beben in seiner Stimme gehört. Selbst Justus war das Haus inzwischen unheimlich. „Peter ist garantiert schon draußen.“
Bob konnte es nicht fassen; Peter hatte ihn einfach im Stich gelassen.
Hinter Justus stolperte er über das Gerümpel, das im angrenzten Zimmer aufgestapelt war. Aber Bob konzentrierte sich kaum auf seine Umgebung, stattdessen drehte er sich immer wieder um, horchte nach dem kleinsten Geräusch. Justus bemerkte es, und auch er wurde immer unruhiger.
„Wir sollten uns beeilen“, zischte er und drückte Bobs Hand. Da knackte die Wand neben ihnen, so laut, als versuchte etwas, von der anderen Seite zu ihnen zu gelangen.
Ein Blick, dann rannten sie beide los. Gemeinsam hetzten sie den dunklen Flur entlang, rasten um die Ecke – und Bob prallte geradewegs gegen etwas Großes, Warmes. Erschrocken keuchte Justus auf, Bob blieb der Schrei im Hals stecken. Beinahe wäre er zu Boden gegangen, nur eine Hand um seinen Oberarm bewahrte ihn vor einem erneuten Fall.
„Peter!“, rief Justus.
„Bob, Gott sei Dank! Ich dachte schon –“
„Wo zum Teufel bist zu hin?“, fuhr Bob ihn an, die Angst kurzzeitig von aufkeimender Wut verdrängt. „Wo warst du, als ich dich gebraucht hab?!“
Doch anstatt eine Antwort zu geben, krallten sich Peters Finger um sein Handgelenk, die andere Hand in Justus‘ Jacke, und er zerrte seine Freunde durch das muffige Treppenhaus. „Wir müssen hier raus! Sofort!“
Hinter ihnen knarrte es, aber diesmal war es nicht das Geräusch brechender Dielen – es war ein rollendes Stampfen, das nun die ersten Treppenstufen erzittern ließen.
Die Panik in Peters Gesicht hielt selbst Justus davon ab, Fragen zu stellen. Zu dritt polterten sie die Stufen hinab, jede Vorsicht vergessen, während es hinter ihnen immer lauter knackte. Das hohe Kreischen, das im nächsten Moment einsetzte, ließ ihnen das Blut in den Adern gefrieren, doch sie rannten weiter, immer weiter, stießen die Tür so heftig auf, dass sie gegen die Wand knallte, stolperten durch den verwilderten Vorgarten und jagten auf den MG zu. Trotz des Zitterns in seinen Händen schaffte Peter es, den Schlüssel beim ersten Versuch ins Schloss zu stecken, und schon warfen sich die Jungen in den Wagen. Hektisch legte Peter den ersten Gang ein, doch noch bevor das Auto den Waldweg erreicht hatte, sahen Bob und Justus schwarze, wabernde Schemen aus der Tür hervorquellen. Entsetzt sah nun auch Peter im Rückspiegel, wie sie in den Wald zu sickern schienen und über den Boden huschten, dem MG hinterher, immer näher.
Er trat das Gaspedal durch, bis sie auf den Freeway einbogen, und drosselte das Tempo erst, als Justus ihm zum zweiten Mal ermahnte.
„Kollegen, sagt mir, dass es nicht das war, wonach es aussah“, war das erste, das er hervorbrachte.
„Es war bestimmt nicht das, wonach es aussah. Dafür gibt es eine ganz vernünftige Erklärung“, erwiderte Justus, aber er klang alles andere als selbstsicher. „Morgen sehen wir –“
„Nein, Justus, nichts morgen! Zu diesem Horrorhaus kriegen mich keine zehn Pferde mehr!“
„Aber Peter, bei Tageslicht sieht das sicher ganz harmlos aus.“
„Ich geh nie wieder auch nur in die Nähe dieses Hauses! Pah, ich geh nie wieder in diesen verfluchten Wald! Hast du eine Ahnung, was passiert ist, als Bob weg war?!“
Erst jetzt, im Dämmerlicht des Armaturenbretts, bemerkte Justus das feine dunkle Rinnsal, das auf Peters Schläfe getrocknet war.
„Und es ist mir völlig egal, was du sagst oder planst, euch lass ich da auch nicht mehr hin!“
„Aber –“
„Kein aber! Dieses eine, verdammte Mal lässt du die Sache auf sich beruhen. Und wenn ich dich zuhause einsperren muss, es ist mir egal. Du bleibst da weg! Da geht es nicht mit rechten Dingen zu, und ich habe keine Lust, demnächst deiner Beerdigung beizuwohnen.“
Verhalten schaltete sich auch Bob endlich ein. „Just, ich muss Peter recht geben. Da stimmt was ganz und gar nicht.“
„Wir reden morgen darüber, wie wir weiter vorgehen“, sagte Justus bestimmt.
Verbissen konzentrierte Peter sich auf die Straße und schwieg. Seine Hände umklammerten das Lenkrad so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. So konnten Justus und Bob wenigstens nicht sehen, wie sehr sie zitterten. Selbst als sie eine halbe Stunde später das Haus seiner Eltern erreichten, schlug sein Herz noch immer viel zu schnell.
Schweigend stiegen die Jungen aus. Nachdem Peter aufgeschlossen hatte, machten sich alle drei zunächst auf den Weg ins Bad. Zum Glück war Bobs Hand schnell versorgt und Peter sah schlimmer aus, als er war, auch wenn sich schon jetzt eine dicke Beule formte.
„Was war denn eigentlich –?“, setzte Justus an, als er seinen Freunden in Peter Zimmer folgte.
Peter zog sich das verschmutzte Shirt über den Kopf und warf es in die Ecke. „Ich will nicht drüber reden. Nicht jetzt. Ich will einfach nur noch ins Bett.“ Er griff in den Schrank und zog ein sauberes Oberteil heraus, das er Bob in die Hand drückte.
„Und bei dir, Bob?“
Behutsam zog Bob sein Hemd aus. Sein Rücken tat immer noch weh und war morgen sicher schön blau. „Nimm’s mir nicht übel, aber ich glaub auch, dass ich erst recht kein Auge zubekomme, wenn ich da jetzt drüber nachdenke.“ Dankbar schlüpfte er in Peters Shirt, das viel zu groß, aber unheimlich bequem und weich war.
Seufzend gab Justus sich geschlagen und setzte sich auf Peters Bett. Wie immer wartete er, bis Bob seinen Platz an der Wand eingenommen hatte und Peter in die Mitte gerutscht war, dann löschte er das Licht und kuschelte sich zu seinen Freunden. Seine Finger fanden Bobs Hand auf Peters Hüfte, und als der Zweite Detektiv Justus näher zog, atmete er erleichtert aus. Wenn seinen Freunden dort wirklich etwas zugestoßen wäre, wäre das ganz allein seine Schuld gewesen. Dennoch war Justus noch nicht bereit, das Rätsel auf sich beruhen zu lassen. Bevor er einschlief, drückte er Peter einen Kuss auf die Stirn und strich mit den Fingern beruhigend über Bobs Handrücken.
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techno-gestoert · 5 years
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In den letzten Tagen weiss ich einfach nicht was mit mir los ist. Bei jeder Kleinigkeit, die nicht so läuft wie ich es mir vorstelle werde ich sauer. In so vielen Momenten werde ich einfach richtig sauer, als wäre mein Inneres komplett gefüllt mit hass und somit bringe ich es zum Ausdruck. Als würde ich komplett geladen sein um nur darauf zu warten mich endlich wieder zu entladen. Diese ganze Aggression, dieser ganze Hass. Ich weiss nicht wohin damit. Vorallem, wie soll ich es los werden ohne jedem zweiten damit weh zu tun oder es an jedem auszulassen? Früher hätte ich einfach alles an mir selber ausgelassen. Ich hätte mir meine Klinge genommen und hätte mich geschnitten, der ganze Hass wäre aus mir draußen und ich wäre wieder für einige Zeit beruhigt. Aber das geht jetzt nicht mehr, da ich versprochen habe dies nie wieder zu tun. Diese ganzen Dinge die um mich herum passieren, werden einfach zu viel für mich. Mein Kopf ist nur noch Gefüllt mit Dingen die mich aus dem Sonnenschein raus reissen und mich in ein Dunkles Loch werfen. Ein Loch aus dem ich nicht herauskomme, denn je mehr ich darüber nachdenke desto tiefer wird dieses Loch. Immer wieder Menschen denen ich alles geschenkt habe, aber nur lügen zurückbekommen habe. Wie soll ich das nur alles verkraften? Wenn ich in jedem nur das gute sehe aber es alle nur eiskalte Menschen sind die einen FICK darauf gegeben wie ich mich fühle. Ich bin schon immer egal gewesen, zumindest geben mir die Menschen genau dieses Gefühl. Denn wenn ich wichtig wäre, würde man mich nicht immer so gnadenlos zerstören, die Menschen zerstören mich und wollen mir klar machen das sie sie ändern, doch das tun sie nicht. Nein es kommt eine Sache nach der anderen die mich aufs weitere zerstört und trotzdem steh ich immer wieder auf und reiche diesen Menschen meine Hand und hol sie aus ihrem noch tieferen Loch heraus. Das Endresultat ist dann das sie wieder im Sonnenschein stehen und ich in meinem Loch sitze. Bloss es ist niemand da der mich herausholt. Ich werde dort sitzen und mich fragen wofür ich diesen ganzen Menschen meine Kraft gegeben habe.. Ich werde in diesem Loch sitzen und nicht herauskommen, denn jeder Mensch der mich gebrochen hat, hat dafür gesorgt das dieses Loch noch tiefer, noch dunkler, noch trauriger wird. Aber zum Glück gibt es da ein Licht ganz tief in mir, es ist mein Herz. Mein Herz das immer an das gute in Menschen glauben wird und mir immer ein kleines Licht sein wird, egal wie dunkel das Loch auch ist. Doch je mehr Menschen kommen und mich brechen, desto weniger wird dieses Licht leuchten, immer weniger bis ich nichts mehr sehe und blind bin. Blind, keinen Glauben mehr an das gute in Menschen. Irgendwann werde ich es nicht mehr sehen, gestört von allen die mir gezeigt haben wie hässlich Menschen sein können. Irgendwann wird dieses Licht aus sein. Wenn dieses Licht aus ist, ist es auch aus mit mir selbst.
Selfmade
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tron-cat666 · 3 years
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Ich bin so vereinsamt (Ohne dich)
Hol mich raus aus diesem Loch (Hol mich raus)
Es reicht nur eine Nachricht (Nur eine)
Und meine Welt steht auf dem Kopf
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wtnvgerman · 7 years
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Episode 113 - Nichtchen
(Anhören [ENG])
Guuuuuuten Aaaaabend, gute Bürger. Ich bin euer Abendmoderator diese Woche, hier, um nach dem Sonnenuntergang euch Gesellschaft zu leisteeen.
Willkommen in Night Vale!
Wie ihr Stammzuhörer bereits wisst, habe ich diese Woche die Nachtschichten übernommen, weil ich meine Tage mit einem sehr besonderen Hausgast verbringe. Naja, eher eineinhalb Hausgäste. Meine Lieblingscousine Sabina ist zu Besuch und sie ist mit meiner allerzweiten Nichte im siebten Monat schwanger. Naja, meine allererste Nichte zweiten Grades. Allererste Nichte zweiten Grades? Das ist viel zu lang, also lasst uns… „Nichtchen“ sagen.
Die Tochter meiner Schwester, Janice, ist ein Teenager. Es ist so lange her, dass ich ein Baby in meiner Familie hatte, also, wenn ihr eine bestimmte wissende, onkelhafte Qualität in meiner Stimme hört, dann liegt das daran, dass ihr einem erwartenden Onkel zuhört. Ich lass mir schon ein paar von diesen Lederflicken an die Ellbogen meiner Windjacke nähen.
Sabina und ich haben die ganze Woche Babybücher gelesen und ich bin ein echter Experte an diesem Punkt. Ein Baby im siebten Monat ist so groß wie eine Aubergine. Sie kann schon Schluckauf und Baby-Déjà-Vus haben und hat einen komplett entwickelten Sinn für komödiantisches Timing. Ich halte eine Aubergine hier bei mir in diesem Studio, um zu üben, den Nacken zu stützen. Und auch um sicher zu stellen, dass ich was zu essen habe, wenn ich nach Hause komme. Sabina hat den Kühlschrank ziemlich gründlich ausgeräumt.
Drüben bei mir zu Hause hat Sabina das Radio rund um die Uhr an, damit das Nichtchen weiß, dass der Besitzer dieses wohlklingenden Baritons sie bereits über alles liebt. Hallo, Fast-Nichte!
Da wir zusammen so viel lesen scheint es verrückt zu sein, wie verletzlich wir einfach sind, sobald wir die Welt zu ersten Mal betreten. Wusstet ihr, dass ein Neugeborenes noch keine Kniescheiben hat? Dass es ein Loch oben in seinem Schädel hat, welches abgeklebt werden muss, damit das Neugeborene nicht während der Nacht dadurch entkommt? Es ist erstaunlich, dass wir es überhaupt alle schaffen bis zu den Schamzeremonien zu überleben!
Da wir gerade über Übergangsriten sprechen, die jährliche Night Vale Wissenschaftsmesse ist für diesen Montagabend angesetzt. Von jedem Viertklässler wird erwartet, sich für einen Spaßgefüllten Abend mit kostenlosen Programmen und Live-Vorführungen im Rec Center zu melden. Die Organisatoren sagen, dass die Kids eine Chance haben werden einen Vulkan im 1:1 Maßstab zu bauen, der echte Asche und geschmolzenes Magmagestein spuckt. Sie lernen, wie ein Stapel Pennys in eine Batterie verwandelt werden kann, indem sie diese Pennys einfach zum Walgreens bringen und sie für eine Packung Duracell Doppel A Batterien umtauschen. Sie lernen über Zentripetalkraft, indem sie einen Eimer mit Wasser füllen und dann ein Arbeitsblatt über Zentripetalkraft ausfüllen. Sie werden eine Bohnensprosse in einen Styropor-Becher pflanzen, die nicht zersetzt wird, bis ihre Enkelkinder auf eine Forschungsmission aufbrechen, um einen anderen Planeten zu finden, der Bohnensprossen abbauen kann.
Hmm, was sonst noch so im Gemeindekalender diese Woche sein könnte, fragt ihr? Nun, lasst mich hier drüben in meinem eigenen Tempo arbeiten, okay, Freunde? Wie alle Jobs, die es wert sind, ausgeführt zu werden, benötigt dieser hier Fokus und Geduld. Man kann da nicht einfach durch hetzen. Wie mein Optiker sagt, „zweimal messen, einmal schneiden, dann zum linken Auge.“ Also nehme ich an, dass man eigentlich viermal misst und zweimal schneidet, aber ich habe eine Hornhautverkrümmung, also bin ich am Ende doch nur bei Kontaktlinsen geblieben.
Alsoooo… mal sehen. [Räuspert sich] Die Events für diese Woche. Geht am Dienstagabend rüber zum Band Shell um ein Set von Ouroboros zu hören, die Rockband, die nur Cover von ihren eigenen Songs spielt. Am Mittwoch findet eine Waschung in Fresca statt, um den Start des andorranischen Neujahrs zu feiern. Donnerstag ist Durstiger Donnerstag. Nehmt keine Flüssigkeiten zu euch. Ihr werdet richtig durstig sein! Freitag wurde durch das Wetter in O’Hare auf unbestimmte Zeit verschoben und beantragt jetzt mit einem United Vertreter einen Hotelgutschein, damit es nicht in einem Plastikstuhl in Flughafenhalle C schlafen muss.
Am frühen Samstagmorgen dürfen wir einen seltenen astronomischen Leckerbissen erleben. Die Erde wird die Sonne komplett verfinstern, ihre Lichter vollkommen auslöschen, sodass nur ein Ring feines Blau gegen die Schwärze sichtbar sein wird. Nun, diese Finsternis wird natürlich nicht von der Erde aus sichtbar sein und unseres Wissens nach gibt es keinen Planeten, von dem aus dieses Phänomen beobachtet werden könnte. Es gibt einfach nichts auf diesem bestimmten Vektor im All, aber um 4:13 am Samstagmorgen wird die totale Finsternis stattfinden und der blaue Kranz wird sanft im Dunkeln schimmern, wie ein zarter Rauchkringel. Und dieser schummrige blaue Heiligenschein wird die Gesamtheit von uns repräsentieren. Unsere Dramen, Träume und Enttäuschungen. Die erste Fahrt ohne Stützräder. Unsere Tänze in der achten Klasse. Unseren doppelten Windsorknoten und unsere Schleier, unsere schlaflosen Nächte in wartenden Räumen. Unsere Rush Hour Pendler, unser Wegdösen während Aufführungen bis derjenige, den wir lieben, weiter geht. Unser Weinen im Auto, während derjenige, den wir lieben, das zu Hause verlässt. Nur dieses dünne blaue Filament auf dem wir unseren Frieden führen.
Am Sonntag gibt es dann Tacos und Sicherheit im Umgang mit Schusswaffen mit dem dreiäugigen Bill in der  First Methodist Kirche.
Bleibt dran, kluge Zuhörer, da ich in einem Moment den dreiviertel Wirtschaftsentwicklungsbericht von Night Vale teilen werde. Soviel ich weiß, hatten wir noch nie einen Wirtschaftsentwicklungsbericht für irgendein Viertel, aber die Pressemitteilung sah offiziell aus und wir alle wissen, dass sich jederzeit neue Gemeindearme der Regierung bilden können. Arme, die sich dann zurückziehen, um von der Regierungsschulter, aus der sie gesprossen sind, wieder absorbiert zu werden.
Aber bevor wir diese Zahlen ausrechnen, eine kurze Nachricht vom heutigen Sponsor.
Equinox Gym. Bei Equinox fokussieren wir uns auf den gesamten Körper. Ganz besonders auf die weichen und verletzlichen Teile des Körpers. Kommt heute bei unserem fensterlosen Gebäude vorbei, um euch mit einem Ernährungsberater wegen des diesmonatigen Werbeangebots, der Zima-Reinigung, zu treffen. Oder für noch schnellere Ergebnisse: nichts verbrennt Kalorien so wie unser Kalorienbrenner. Außerdem erhalten neue Mitglieder bei Equinox diese Woche 60 Tage freien Zugang zu unserem beliebten Urteilsbad.
Das war eine Nachricht von unserem Sponsor.
Jetzt die Businessnachrichten. Woah! Klang das gerade unglaublich machtvoll für euch? Ooh, ich hab mich hier ein bisschen selbst überrascht, als hätte ich mir einen Anzug wachsen lassen oder so!
Das Night Vale Wirtschaftsentwicklungsamt, oder NV-wir-ent-A, kurz und umständlich, hat eine Pressemitteilung zur Schlussglocke der Night Vale Aktienbörse gesendet. Die Mitteilung besagt, dass die Zukünfte tief, sehr tief gefallen sind. Die jüngste Vergangenheit verkauft sich jedoch ganz schnell. Als Antwort auf die fallenden Interesseniveaus plant das NV-wir-ent-A Konsumenten zum Kaufen anzureizen. Für den Anfang des morgigen Geschäftstages werden sie eine erbärmliche Spontankampagne über Fremdenfeindlichkeit starten, die als Nationalismus, als Bürgerstolz, als ein 2008 F 150 Ford Laster mit Satellitenradio, klimatisierten Sitzen und einem Schwerlastenhaken bezeichnet wird, um alles, was ihr versucht zu verstecken, wegzuschleppen.
Also plant dieses Wochenende mit euren Händen in der Luft und den Scheckheften in euren Münden zum Gebrauchtwagenhof zu gehen, um euch mit einer Verkaufsperson über Finanzierungsmöglichkeiten zu treffen. Ihr könntet überrascht sein wie viele Jahre von Vertragsknechtschaft man hinter das Lenkrad eines Ford Lasters kriegen kann.
Wisst ihr, woran Autos mich erinnern? Naja, Carlos. Aber ich denke, dass mich alles an Carlos erinnert. Und sein Name ist (auf Englisch lol) ein Anagramm von „Lo cars“. Er ist diese Woche außerhalb der Stadt auf der Erlenmeyer Flask Con und ich vermisse ihn ganz schön doll! Aber was ich sagen wollte, war, dass der Gedanke ein Auto zu kaufen mich an mein Nichtchen erinnert! Es ist außergewöhnlich zu denken, dass sie eines Tages ein Teenager sein wird, ihre Fahrerlaubnis, dann ihren Führerschein, dann ihre Armbrust machen wird – durch all diese Phasen gehen wird, die wir alle durchmachen. Es ist so, als wäre bereits eine Zukunft an sie gebunden. In Sabina ist ein Baby und in diesem Baby platziert ist ein Kleinkind. Und in ihr sind die Entwürfe von einem Mädchen. Und bald wird sie hier draußen sein, lernen, wie man die Sitar spielt und Vegetarismus in Erwägung ziehen, dann wählen und Lotterielose kaufen. Naja, das ist ja fast das Gleiche. Und ich werde Zeuge dieses blühenden Lebens sein. Eines Tages könnte sie sich sogar dafür entscheiden, selbst eine Nichte zu haben.
Oh, okay. Ähm, das ist was im Auge vom jungen Cecil hier. Ooh! Bleibt dran, Team, ich renn nur kurz raus und hol mir ein paar Taschentücher aus der Abstellkammer, um dieses lästige… Okay, Zuhörer, ich muss zugeben, dass ich in einem Zustand besorgter Unruhe bin. Als ich versucht habe, die Tür vom Studio aufzumachen, ist der Griff – in meiner Hand abgefallen und- und- und- und als ich versucht habe, ihn wieder festzumachen, habe ich gesehen, dass das Loch mit weichem, heißen Teer vollgestopft ist, was nicht den Bauvorschriften entsprechen kann. Also befinde ich mich jetzt in einem kleinen, schalldichten, luftdichten Raum mit einem türlosen Griff in meiner linken Hand und einer grifflosen Tür vor mir. Ich bin äh… Hah… Ich- ich bin- ich bin unsicher, wie ich jetzt weitermachen soll, äh, ich kann mir nicht vorstellen, dass hier Sauerstoff für mehr als ein paar Stunden drin sind, selbst wenn der Topffarn des Studios doppelte Arbeit leistet würde, Kohlenstoffdioxid umzuwandeln.
Oh Mann und natürlich hab ich mein Handy in meiner Jeans im andern Raum gelassen, wisst ihr, nachdem ich mich in mein professionelles Radiomoderatorenganzkörpertrikot umgezogen habe. Ich, okay, ich brauch ein bisschen Zeit, um die Situation abzuwägen.
Ich überlasse euch dem Wetter.
(„If We Live“ von Disparition)
Okay. Okay, okay, alles klar, beruhig dich, beruhig dich Cecil, beruhig dich und du kannst das schlagen. Sei wie die geduldige Schlange, die nicht zuschlägt, bis ihre Beute auf sie zu kommt. Sei wie die Gottesanbeterin, dessen Kopf wie ein Plektrum aussieht. Halte deinen Herzschlag niedrig und deinen Fokus stetig und gütiger Gott, setz dich hin, Mann. Spar dir deine Kraft. Atme tief genug ein, um die Luft in dein Gehirn zu kriegen und zu denken. Was würde ein Onkel tun?
Hmmm. Hmmmmmmmmmm. Hummmmmmm, hmmmmmmmmm- hmmmmmmmmmm… Oh! Okay, ich hab’s. Einfach, ich muss nur einen von euch hierher kommen und die Tür öffnen lassen. Okay, hier bin ich, verhalte mich als wäre ich alleine, aber natürlich bin ich nicht alleine, ha ha ha ha ha! Oh, ganz Night Vale hört mir zu. Ooh, das ist eine Erleichterung! Jetzt wo ich daran denke, kann ich mir vorstellen, dass hunderte von euch bereits auf dem Weg hierher sind und ich kann nicht die ganze Stadt auf einmal hierher eilen lassen. Das würde Stau, Hysterie und Frontwind verursachen, der bis zu 60 Knoten weht. Wenn ihr auf dem Weg seid, schießt ein Leuchtsignal in den Himmel, damit jeder weiß, dass ihr auf dem Weg seid. V- viel wichtiger, damit ich weiß, dass ihr auf dem Weg seid.
Leute, es ist gerade mal 20 Uhr, ihr seid noch nicht alle in euren Pyjamas. Ich brauch nur eine Person, die sich auf den Weg macht. Es ist nur eine 8 Minuten Fahrt von eurem Haus entfernt, kommt schon! Hört… hört niemand zu? Ich meine, das Memo vom Management bei der letzten Belegschaftsvollversammlung hat niedrige Einschaltquoten am späten Abend erwähnt, aber – das ist nicht niedrig, das ist in ein Dosentelefon reden, dessen anderes Fadenende an einen Feuerhydranten am Boden des Sees gewickelt ist, das ist äußerste Vergeblichkeit, das ist im Wald hinfallen und niemand ist da, um einen zu hören. Das ist den Cecil vor lauter Bäumen nicht sehen, das ist – Kafka trifft auf Becket und sagt ihm, er solle mit seiner Hand reden. Das ist – Punkt, Schlusspunkt. Cecil. Diese Empörung tut mir überhaupt nicht gut. Verbrennt nur meinen Sauerstoffvorrat, der jetzt schon viel zu niedrig ist. Unter diesen Umständen werde ich niemals überleben bis die Morgenpendler einschalten. Denk einfach nach, Cecil. Denk wie ein Onkel.
Ooh! Das ist es! Es gibt mindestens eine Person, die mir zuhört. Babys schlafen nie die Nacht durch, richtig? Also du, Nichtchen, du solltest mich hören können. Obwohl ich mir vorstellen kann, dass die Stimme durch die Decken im Gästebett und Sabinas Unterleibsmuskeln gedämpft sein könnte. Alles klar, Nichtchen, ich brauch dich. Wir müssen einen Weg finden, wie wir Sabina aufwecken können. Du musst für mich treten. Stütz deine kleinen Ellbogen an der weichen Wand hinter dir ab und tritt richtig fest zu! Ziel auf den Punkt unter den Rippen, dem Knochendach über dir. Und nochmal. Tritt! Gut, nochmal! Tritt! Gut, nochmal! Gib ihm diesmal alles, was du hast! Sabina, wach auf! Das ist ein Notruf! Wach a-
Oh. Das Stationstelefon klingelt. Gott, ich hab vergessen, dass ich das hab. Äh, Anrufer, du bist jetzt auf Sendung.
Sabina: Hey, Cecil. Das Baby hat mich wachgehalten, also hab ich die Station angerufen und-
Cecil: Sabina! Oh, Gott sei Dank bist du wach! Nein, nein, das ist keine Masche, hör zu. Ich bin im Studio gefangen und ich brauche jemanden, der mir die Tür von außen öffn-
Sabina: Oh, okay, bin gleich da. Aber ich bin am Verhungern, ich halte vielleicht kurz bei Subway für einen Kartoffelsalat und ein Nutella-Sandwich an.
Cecil: Nein, bitte komm sofort! Wir haben Snacks in der Pausenraumspeisekammer… glaub ich. Ich versorge dich mit etwas Studentenfutter und Gefilte Fisch.
Sabina: Alles klar. Hey, wusstest du, dass hier eine gesichtslose alte Frau bei dir zu Hause wohnt? Sie versucht dauernd Creme auf meinen Bauch zu reiben während ich schlafe.
Cecil: Ja, das tut sie. Hör zu, mein Ersatzbüroschlüssel ist bei der winkenden Katze. Bis gleich und danke, Sabina!
Sabina: Hey, es reicht mit der Creme, Dame!
Cecil: Ooooh und danke dir, Nichtchen! Du hast bereits ein Leben mit minus zwei Monaten gerettet! Und irgendwie hab ich das Gefühl, dass meins nur das erste von vielen sein könnte. Wenn du eines Tages aus der Klemme befreit werden musst, weißt du, wen du rufen musst. Ich bin der Bariton, auf den du dich jederzeit verlassen kannst, Kind, egal ob Tages- oder Nachtschicht.
Aaahhh, Mann! Ich kann’s kaum abwarten, dass die Tür sich öffnet, damit ich eine Lunge voll frischer Luft atmen kann. Oh, es ist lustig, wie klein sich ein Raum anfühlen kann, wenn man ihn nicht verlassen darf. Oh, entschuldige, ich hab für eine Sekunde vergessen, mit wem ich rede. Naja, sobald du hier draußen bist und selbst Luft atmest, werde ich dir ein paar Babystollenschuhe und ein paar Babyschienbeinschoner und auch einen Babyumhang besorgen. Ich kann’s kaum abwarten, dich zu treffen, kleine Heldin eines Nichtchens! Aber erst mach ich deiner Mutter einen Mitternachts-Auberginen-Parmesan.
Bleibt dran für das folgende Geräusch einer sich öffnenden Tür, eines Rauschs sauerstoffreicher Luft und eines keuchenden Jubelns eines überarbeiteten Atmungssystems. Jeeeden Moment. Jeeeeeden Moment. Jeeeeeeeeeden Moment.
Sprichwort des Tages: Folgt eurem Herzen. Ihr braucht es. Wo hat es überhaupt Laufen gelernt?
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officialchrissyreed · 7 years
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7. Kapitel: WIND
Upps, ganz schnell noch mal drübergeguckt und raus mit dem Schmand … :’D Warum sind meine Wochenenden so busy, was ist passiert? Nächstes könnte es auch wieder eng werden, weil mein letzten beiden Blockseminartermine sind (ich bekomme Bauchschmerzen vom drüber nachdenken haha, ich hab gar keine Panik vor meinem Referat oder so) Hier passiert jetzt nicht so mega viel? Characterdevelopment und Bonding, das ist eigentlich alles. (So wie jedes Kapitel) Wieso sage ich überhaupt noch was dazu. :’D Alle sind irgendwie in love mit Haru und Hasret, aber das ist ja allgemein bereits bekannt und auch ich zähle mich in diesem Fall zu ‘alle’. (-: Word Count: 12,1k Warnings: (-: keine Ahnung man, es werden so minimal Worte erwähnt, aber ich glaube nicht, dass ich das taggen muss? Nein wirklich (wenn doch sag an)
Tumblr media
Michael Vihre verengte die dunklen Augen zu Schlitzen und schob sich die Brille viermal hintereinander zurück auf den Nasenrücken, nachdem sie viermal nach vorn gerutscht war, weil er seinen Kopf beim Lesen so schräg hielt. Seine Lippen bewegten sich dabei manchmal nachdenklich wie eine Raupe, die in seinem Bart wohnte, als würde er auf etwas kauen, was besondere Geschmackskenntnisse erforderte. »Ich weiß, es ist kurzfristig«, sagte Hasret leise und fuhr mit den Fingern immer wieder ihren Oberarm auf und ab, wie um sich selbst zu beruhigen. »Aber ist das nicht großartig? Meine Noten waren dieses Jahr so gut, dass sie mich dafür ausgesucht haben.« In ihrer Brust hämmerte ein alarmierendes Gefühl gegen ihre Rippen, es sträubte sich alles in ihr dagegen zu lügen, aber sie hatte keine Wahl. »Muss ich gar nichts unterschreiben?« Seine Stimme klang immer, als wäre er ein Geschichtenerzähler, wenn er mit ihr sprach, weise, gutmütig und voraussichtig. Keine Zustimmung, keine Ablehnung. Nur eine Frage. »Ich glaube nicht.« Sie machte eine Pause. Ihr Hals war trocken und von innen heiß. Hasrets Vater kratzte sich geräuschvoll am Kinn und starrte eine lange Zeit auf den Zettel in seiner Hand, las ihn noch einmal von vorne durch, erst gründlicher, dann überflog er ihn, untersuchte die Bedeutung hinter jedem einzelnen Wort. Schließlich machte er ein langes, summendes Geräusch, sodass man im ersten Augenblick meinen könnte, eine Biene sei ins Hinterzimmer geflogen. »Dann wird Richard wohl wieder ein paar Extraschichten einlegen müssen.« Hasret konnte die kleinen Rädchen hinter seiner Stirn rattern sehen, wie er die Wirtschaft für die kommenden sechs Monate neu verplante, jede Einzelheit einkalkulierte und all die Listen durchging, die in seinem Kopf abgespeichert waren. »Schaffst du das denn alles ohne mich?«, entfuhr es dem Mädchen verunsichert, bevor sie sich wieder hinsetzen und auf die Zunge beißen konnte. Es ging nicht anders, ihre Natur konnte sie einfach nicht davon abhalten sich Sorgen zu machen, es fiel ihr zu schwer, fühlte sich nicht richtig und nicht nach ihr an. Es war auffällig. »Ich kann auch …« Sie stockte, doch die Zügel glitten ihr weiter aus den Händen. »Hierbleiben und dir die zusätzliche Arbeit ersparen.« Sie wusste, dass es keine Option war. Aber sie konnte nicht anders als es zu versprechen. Doch ihr Vater schüttelte nur gemächlich den Kopf. »Um Himmels Willen, Hasret. Traust du deinem alten Herrn etwa nicht zu, das Hotel auch so auf den Beinen zu halten?« Seine Tochter lächelte gequält, aber dennoch irgendwie erleichtert. Nein, das tat sie ganz und gar nicht. »D-doch, natürlich … ich meine nur … bald ist wieder Saison, und Halloween in ein paar Tagen, wir haben mit dem Maislabyrinth noch gar nicht angefangen … bald ist Erntezeit. Gerade jetzt …« »Dann sehen wir das eben als Herausforderung an.« Ihr Vater stemmte die Hände auf seine Knie und stand schwerfällig von seinem Stuhl auf. Hatte sie gerade seine Knochen gehört oder war das Einbildung gewesen? »Ich hab doch noch deine Brüder, Richard, Estella, Colin … wir werden das Kind schon schaukeln. Bitte, Hasret, hab nicht das Gefühl, dass du von mir aufgehalten wirst. Wenn schon Alik und Esra ihren Traum aufgeben mussten, weil ihr alter Vater es nicht hinbekommt, allein ein Hotel zu führen, dann möchte ich wenigstens, dass du einen guten Abschluss bekommst und etwas von der Welt siehst. Du möchtest doch nicht ewig hier in Texas bleiben, oder?« Hasret schluckte das fest entschlossene ›Doch!‹ widerwillig herunter und überspielte ihre Verzweiflung mit einem Lächeln und mehreren Kopfbewegungen. »Sicher nicht …« Ein kleiner Teil von ihr hasste diese kleingeistige, engstirnige Stadt und die rassistischen alten Leute hier, doch die Liebe zu ihrem Zuhause, den Feldern und Sonnenuntergängen war stärker als das. Wenn ihr Vater nur wüsste, dass sie das alles für ihn tat … dass sie niemals freiwillig von hier weggehen würde, wenn es ihre Zukunft nicht in trockene Tücher hüllen würde. »Dann ist ja alles gut. Bring uns ein paar schöne Souvenirs aus Europa mit! Die machen sich sicher gut im Restaurant«, lachte er mit holpriger Stimme und verwahrte den Zettel gut bedacht in einem Ordner auf seinem Schreibtisch. Hier gab es keine Unordnung, alles war an seinem Platz und würde sich nicht so einfach verlieren lassen. »Versprochen. Den größten, kitschigsten Eiffelturm, den sie haben«, versicherte Hasret mit einem erlösten Lächeln und feuchten Augen. »Und vergiss nicht ab und zu anzurufen, wenn du Zeit hast. Du weißt ja, wann ich an der Rezeption bin.« Hastig nickte das Mädchen, schniefte leise, kniff die Augen zu und wischte sich mit den Handballen die Tränen weg, die sich in ihren Augenwinkeln gesammelt hatten. In ihrem Herzen war ein Loch, das mit jeder Minute größer wurde, doch bevor es alles um sich herum konsumieren konnte, musste sie sich daran erinnern, was die Zukunft bringen würde. Sie tat das für ihre Familie, ganz egal, was ihre verwirrten Gefühle ihr sagten. »Ich glaube, ich hol schon mal die Vogelscheuche aus dem Keller … sonst bleibt sie wieder in der Tür stecken, wie letztes Jahr.« ▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬ Hasret hatte ein flaues Gefühl im Magen, als sie aufwachte. Sie war noch nie zuvor mit dem Flugzeug geflogen und in Jackbells Privatjet ließ es sich wirklich leben, es gab sogar einen Kaffeeautomaten, aber gewöhnen würde sie sich sicherlich nie an das Gefühl tausende von Metern über den Wolken dahinzugleiten. Sie hatte sich in ihrem Traum ein letztes Mal von ihrer Heimat verabschiedet, von ihrer Familie, ihren Kollegen, Freunden, den Pferden und der Sonne, die stets wie eine liebevolle Mutter über ihren Köpfen gewacht hatte. Bernhards Plan war aufgegangen, alles hatte funktioniert und niemand hatte Verdacht geschöpft, wie es den Eindruck gemacht hatte. Als sie am Morgen mit Koffern und Taschen aus der Tür getreten war, hatte sie ihren Vater und ihre Brüder noch einmal innig in den Arm genommen und sich mindestens fünfmal unter Tränen verabschiedet, sodass Bernhard schon langsam ungeduldig geworden war. Um zehn waren sie in Houston angekommen, hatten Haruki, Cassy und Eli, die ziemlich zerknautscht aussahen, aus dem miefigen Gasthaus abgeholt, in dem sie für die Nacht einquartiert worden waren, und erst zirka anderthalb Stunden später waren sie in die Lüfte abgehoben. Das ekelhafte Gefühl in ihren Ohren und ihrem Hals würde Hasret so schnell nicht wieder vergessen. Der Flug sollte nach Bernhards eigenen Angaben siebzehn Stunden dauern und gerade deswegen, weil dies ihr erster Flug war, war das nicht gerade eine angenehme Art, sie in die Kunst des Ständig-hin-und-her-Fliegens einzuführen, aber er hatte sich das wahrscheinlich auch nicht ausgesucht. Die ersten paar Stunden hatten die Finals noch damit verbracht sich angeregt zu unterhalten, über ihr vorheriges Leben, ihre Eltern, die Schule und Theorien, ob Jackbell vielleicht ein Außerirdischer war, doch nach ein paar Stunden verging ihnen die Lust am Reden langsam. Cassy war als erste eingeschlafen, dicht gefolgt von Eli, und Hasret selbst war nicht mehr lange genug wach geblieben um Haru einnicken zu sehen. Vermutlich war er ganz aus dem Häuschen, seine Heimat früher als gedacht wiederzusehen, zumindest nahm sie an, dass sein zufriedenes Lächeln so viel wie ›Ich bin aus dem Häuschen‹ in seiner Körpersprache bedeutete. Sie war sehr davon überzeugt, dass dieser Mann unheimlich emotional war, nur sein Äußeres hinderte ihn üblicherweise daran, es so theatralisch auszudrücken wie Cassy. Kaum hatte sich Hasret von ihrem Doppelsitz, auf dem sie die letzten Stunden über ausgebreitet gelegen hatte, aufgerappelt, ertönte eine weibliche Stimme durch die Lautsprecheranlage, die verkündete, dass sie bald landen würden. Erst blickte die Texanerin reflexartig aus dem Fenster und wurde gleich von einem bunten Sternenmeer auf der Erde begrüßt, das energisch die anfallende Dunkelheit des Himmels bekämpfte, dann sah sie in den Gang und erkannte die drei anderen Finals, die bereits wach waren und sie zuversichtlich anlächelten. Erst nach ein paar Sekunden begann Hasret sich zu fragen, wer gerade gesprochen hatte – nach Bernhard hatte das eher weniger geklungen –, bis ihr wieder einfiel, wer am Flughafen in Houston zu ihnen gestoßen war. Jackbells vertrauter Bote hatte ihnen am Airport eine Frau namens Lindy Maheshwar als seine heutige Copilotin präsentiert. Bisher war er die Finals stets allein geflogen, da die Strecke nicht allzu lang gewesen und er sich offenbar für ziemlich selbstständig hielt, auch wenn das alles andere als vorschriftsmäßig war und er dafür schon einige Male von seinem Chef den Hintern gerettet bekommen hatte. Aber siebzehn Stunden am Stück, das konnte man selbst dem Superhelden Bernhard nicht zumuten. Seinem zerknautschten Gesicht zufolge hatte Jackbell ihn wohl buchstäblich dazu zwingen müssen. Lindy, eine großgewachsene und drahtige Frau Mitte vierzig mit langen, schwarzen Haaren, war offensichtlich ebenfalls in die Geheimnisse der Finals eingeweiht, oder zumindest stellte sie keine Fragen, und wirkte im Gegensatz zu ihrem barschen Pilotenkollegen wie eine Kindergärtnerin; motiviert, aufgeweckt und mit einem gutgelaunten Lächeln im Gesicht. Die Landung geschah angenehm und ohne Probleme und wie schon bei ihrer Ankunft in Florida klaubte die Gruppe rasch ihr Gepäck zusammen. Hasret überlegte zweimal, ob sie ihr mitgebrachtes Handgepäck mitschleppen sollte, da das wichtigste ja sowieso in Cassys Tasche verstaut war, und entschied sich letztendlich dagegen. Wie erwartet war Haruki derjenige, der als erstes aus der Maschine stürmte, kaum dass die Treppe zum Betreten bereit war, und blieb gleich darauf unten stehen um die Arme auszubreiten, die Luft seiner Heimat einzuatmen und dann am ganzen Körper einen kalten Regenschauer zu spüren. Ein weiterer Klimaschock nach dem schwülen Florida und dem trockenen Texas. Innerhalb von Sekunden hatte der glückliche Japaner seine Fassung wiedergefunden und wartete nun unten auf seine drei Partner, die mit wackligen Beinen aus dem Flugzeug stiegen und mit zusammengekniffenen Augen versuchten, die Stufen vor sich auszumachen und nicht zu stolpern. Die Luft war kühl und feucht und wehte ihnen um die Nase, in Hasrets wuscheligen Locken setzten sich tausende von kleinen, glitzernden Tröpfchen fest, und Eli, der nun wirklich kein Fleisch auf den Knochen hatte, bebte förmlich, als wäre er in Wirklichkeit ein Presslufthammer in Hemd und Hose. Nach ein paar ziemlich frostigen Minuten kam schließlich auch Bernhard mit gewohnt säuerlicher Miene aus dem Cockpit geschlängelt und reichte ihnen wieder einmal einen seiner sagenumwobenen Zettel. Schweren Herzens und mit dem Wissen, dass sie wohl wieder einmal Elis Dechiffrierungsgabe benötigen würden, steckte Cassy das Papier in ihre Tasche. »Diesmal läuft das Ganze etwas anders ab«, begann der ältere Mann mit rauer Stimme, während sein abstehendes Haar sich auf seinem Kopf wog wie das Maisfeld der Vihres und seine Augen hinter seiner dick beschlagenen Brille schon nicht mehr zu sehen war. Er klang ziemlich danach, als wäre er, wie sie selbst, gerade erst aufgewacht. »Ich bin eine Weile nicht mehr für euch da, die Waffe müsst ihr wieder selber abholen und auch der nächste Flug ist per Passagierflugzeug, alle weiteren Anweisungen erhaltet ihr von Jackbell. Ich stoße im nächsten Land dann wieder zu euch. Bevor ich es vergesse …« Er kramte vier Flugtickets aus seiner Mantelinnentasche, in der es – wie auch in Cassys Umhängetasche – einen unendlichen Negativraum geben musste, und drückte sie Eli in die Hand, der gerade freistand. »Das Datum und die Uhrzeit stehen drauf und es sollte ja nicht allzu lange dauern, Mister Okuis Prototypen abzuholen. Lindy und ich müssen wieder los, Jackbell hat seinen Zeitplan ein wenig umgekrempelt und wir haben noch einiges zu erledigen und vorzubereiten … das dient natürlich alles nur dazu, damit ihr schneller an die restlichen drei Finals herankommt und es weniger Komplikationen gibt. Noch irgendwelche Fragen?« »Wie lange bleiben wir hier?«, sprudelte es aus Haruki heraus, der sich ziemlich schwer damit tat, nicht allzu hoffnungsvoll zu klingen, so als wäre er womöglich gerne zuhause. Bernhard gab ein kehliges Knurren von sich. »Zwei, drei Tage, ich weiß nicht genau, achtet einfach auf die Daten auf den Tickets. Wenn es sonst nichts mehr gibt, macht euch aus dem Staub, die Mechaniker kommen.« Die Vorhersage traf ein und die Maschine wurde, kaum waren seine Worte ausgesprochen, auch schon von allen Seiten inspiziert. Wäre Bernhard so stehengeblieben und hätte sich nicht bewegt, wäre vielleicht auch er auf Defekte und Makel geprüft worden, doch in diesem Moment trat auch Lindy zu ihnen und klopfte ihrem Copiloten brüderlich auf die Schulter. »Beweg dich schon, Bernie, wir haben noch zu tun. Lass die Kinder ihren Auftrag erledigen, die schaffen das schon.« Sie lachte herzhaft und Cassy begann plötzlich zu vermuten, dass sie und Bernhard vor langer Zeit einmal ein und dieselbe Person gewesen waren, die von einem mächtigen Zauberer in eine helle und eine dunkle Seite aufgespalten worden waren. Haru übernahm die Führung der Finals und weil er von allen die längsten Beine hatte, war es ziemlich mühevoll für den Rest ihm auch zu folgen ohne auf dem Flugplatz und anschließend in der überdachten Halle verloren zu gehen. Nach einem befriedigenden Blick auf seine neue Uhr stellte Haruki fest, dass es definitiv nicht fünf Uhr morgens war und wartete auf die nächstbeste Möglichkeit, auf Ortszeit umzustellen, die er auch schnell ausmachen konnte. Sechs Uhr abends, gerade der richtige Zeitpunkt für ein herrliches Dinner, doch er musste sich trotz gewaltigem Kohldampf zurückhalten. Noch waren sie nicht in Kawasaki, dafür musste zunächst ein Taxi gerufen werden. Das dürfte kein Problem sein, er erinnerte sich noch genau an diesen Flughafen, den Haneda Airport in Tokyo, erst vor ein paar Monaten war er selbst allein hier gewesen um seinen Flug nach Vancouver zu erwischen. Von hier waren es nur ein paar Kilometer bis in seine Heimatstadt und wenn sie erst einmal da waren, konnte er seinen Kameraden jeden seiner Lieblingsplätze zeigen und wenn er eigenes Geld dabei gehabt hätte, würde er auch allen großzügig die Spezialitäten seines Lieblingsrestaurants spendieren, so musste jedoch Jackbells Geld herhalten. Die Begeisterung des Ältesten schien nicht unbemerkt zu bleiben. »Ich wusste gar nicht, dass Haruki so enthusiastisch aussehen kann«, flüsterte Hasret atemlos in Cassys Richtung, welche nur angestrengt auflachte. »Ich bin auch erschüttert … immerhin kenne ich ihn von euch am längsten.« Zwei oder drei Tage länger als Eli, aber die hatten ausgereicht, um sich sicher zu sein, dass man dem Japaner sein Leben in die Hände legen konnte. »Wie ein Fisch im Wasser.« Eine halbe Stunde später, in der sie in einem Taxi nach Kawasaki gesessen hatten, standen sie vor einer Bank, in welche Haruki im Eiltempo hineinsprintete um schleunigst Jackbells Dollar in Yen umzutauschen, damit sie den Fahrer bezahlen konnten, der mehr oder weniger ungeduldig, aber ohne jegliche Beschwerden vor dem Gebäude wartete. Ganz so wie die drei ausländischen Finals, die wohl als kurzfristiger Pfand herhalten mussten. Sobald das geschafft war, Haru wieder zu ihnen stieß und Cassys übliche Trinkgeldspende mit übernahm, konnte es für ihn losgehen. Er nahm einen tiefen Atemzug, inhalierte den Sprühregen und spürte wie seine trockene Kehle wieder zum Leben erwachte, wie sie sich über die angenehmen Laute seiner Muttersprache freute. Es war schön wieder etwas anderes als Englisch zu sprechen, denn obwohl er es unheimlich gut beherrschte, Japanisch war noch einmal ein ganz anderes Gefühl auf der Zunge. Allerdings machte ihn das auch zum einzigen Final, der auf dieser Reise mit den Einheimischen sprechen konnte, denn die anderen verstanden offensichtlich kein Wort in diesem Land. »Eli, übersetz uns mal bitte den Hotelnamen …«, begann Cassy und wollte gerade den Zettel aus ihrer Hosentasche fummeln, als ihr ältester Teamkamerad mit einem drängenden Räuspern eine hastig abwinkende Geste machte. »Wollen wir nicht vielleicht vorher etwas essen? Ich kenne ein wirklich grandioses Restaurant in der Nähe, ich verspreche euch, ihr werdet begeistert sein!« »Tja, das hört sich doch nicht schlecht an«, stimmte Hasret höflich lächelnd zu und warf ihren beiden Kollegen einen kurzen Blick zu, doch auch Cassy und Eli schienen nichts dagegen zu haben. Gut, vielleicht war ›nichts‹ ein wenig zu radikal ausgedrückt, Elis Einstellung zu Fisch war bekannt und in der typisch japanischen Küche würde es mit Sicherheit eine Menge davon geben, aber nichts läge ihm ferner, als Haru das Herz zu brechen, also willigte auch er ein. Beinahe beschwingt führte er seine Reisegruppe durch die Innenstadt, wobei diese nicht umhin kam, ab und zu einfach stehenzubleiben um die Faszination der Stadt auf sich einwirken zu lassen. Hasret fühlte sich deutlich unwohl zwischen all den Gebäuden, Straßen und Autos, sie war endlose Weiten und eine Menge Himmel gewohnt, hier jedoch schien es, als stünden die Häuser und Läden im Konkurrenzkampf mit dem Horizont, wer den bestehenden Platz einnehmen durfte. Ähnlich ging es auch Cassy, die von den bunt leuchtenden Werbetafeln, unbekannten Schriftzeichen und der aufdringlichen Werbung an jeder Ecke vollkommen überrumpelt war. Ihre Gedanken rotierten nur so, doch sie hoffte innig, dass sich dieses Gefühl bald legen würde. Möglicherweise war es auch nur die Aufregung nach dem langen Flug. Eli hingegen war schier begeistert von Kawasaki und verspürte vor jedem neuen Geschäft einen großen Drang, hineinzugehen und sich mit Comics und dem dazugehörigen Merchandise einzudecken. Nach einem gewissen Fußmarsch durch die Straßen kamen die Finals letztendlich am Bestimmungsort an, einem gemütlichen, traditionell eingerichteten Restaurant in einer Seitengasse, in dem nicht allzu viel los war. Es war angenehm warm nach diesem ungemütlichen Wetter, die Stimmung war erhaben, überall an den Wänden befanden sich altertümliche Malereien von Sagenhelden und Märchen, wie Cassy schätzte, und sie bekamen einen Platz in einer besonders behaglichen kleinen Ecke. Als Haruki sich wie selbstverständlich eine Speisekarte nahm und nichts weiter sagte, blickten die Übriggebliebenen sich nur hilflos an und warfen ebenfalls ein Auge auf das laminierte Papier, doch klüger wurden sie dadurch nicht. Irgendwann traute Hasret sich, das Problem anzusprechen, dass sie leider überhaupt nichts lesen konnten, sodass Haru sich beschämt lachend entschuldigte und gleich darauf seine Empfehlungen aussprach. Er schien tatsächlich so aufgeregt, dass er ganz vergessen hatten, dass das für ihn selbstverständliche Alphabet für die anderen nur wie ein verschnörkeltes Durcheinander aussehen musste. Wie zu erwarten war bestellte sich der Älteste eine Portion seines Lieblingssushi, die Spezialität des Hauses, Cassy schloss sich ihm an, Hasret gab sich mit Miso-Suppe zufrieden und Eli probierte eine Nudelsuppe. Er hatte einige Mühe damit, die Stäbchen zu bedienen und kämpfte mit jeder einzelnen Nudel, sein Sitzplatz verwandelte sich mit jeder Minute mehr in ein Schlachtfeld, während Cassy sich beinahe schon mit dem rohen Fisch im Seetangmantel anfreunden konnte. Die heimische Küche war ganz ausgezeichnet und schmeckte vor allem Eli besser als dieser zunächst angenommen hatte, und sättigte sie für den Abend voll und ganz. Dazu kam noch, dass ihr japanischer Teamkamerad ein guter Lehrer war, was die Essgewohnheiten und richtige Bedienung des Bestecks anbelangte, geduldig und dennoch unmissverständlich. »Und, wie gefällt es euch bisher?«, fragte Haru irgendwann ohne jeglichen Kontext und schaute neugierig in die Runde, versuchte, ganz genau die Gesichter der anderen zu lesen, sodass diese es nicht wagten, ein negatives Wort über Kawasaki zu verlieren. Sein kindliches Strahlen war wirklich ungewohnt, aber es stand ihm nicht schlecht. »Also, das Essen ist gut«, begann Eli mit einer Antwort, die hoffentlich danach von den Mädchen weitergeführt werden würde, während er möglichst diskret eine Nudel mit spitzen Fingern vom Unterteller fischte und sie zurück in die Schüssel beförderte. Fast schon flehend schielte er aus dem Augenwinkel zu Cassy und Hasret, doch die tauschten nur ihre eigenen Blicke aus und mussten milde lachen. »Es ist nichts für mich«, gestand die Texanerin schließlich mit einem entschuldigenden Blinzeln. »Ich meine die Stadtatmosphäre. Aber es ist wirklich motivierend zu sehen, wie glücklich du bist!« Haruki schien plötzlich seine ganze Fassung zu verlieren, presste die Lippen aufeinander und katapultierte ein Sushiröllchen in seinen Mund, um die Zeit zu schinden, die er sich soeben selbst eingebrockt hatte. Dabei wurden sogar seine kantigen Wangen ein wenig rosa. Jetzt konnte auch Eli sich ein breites Grinsen nicht mehr verkneifen. »Aber dafür musst du dich doch nicht schämen, Haru!«, neckte der Jüngste ihn mit säuselndem Ton und piekte dessen Oberarm mit der Rückseite seiner Stäbchen. »Du bist von uns allen schon am längsten von zuhause weg, es ist nur natürlich, dass du dich freust wieder hier zu sein«, beschwichtigte auch Cassandra ihn mit weicher Miene. Langsam hatte der Älteste den Dreh raus, wie er sich wieder in eine lässige, distanzierte und respekteinflößende Person verwandeln konnte. Er schluckte das letzte Stückchen Seetang herunter und räusperte sich. Seine Miene war wieder abgekühlt. »Langsam wird es spät. Lass doch mal Bernhards Zettel sehen, Cassy«, bat er anschließend in seiner vollkommen ruhigen und gewohnt tiefen Stimme, woraufhin die Kanadierin ihm – noch immer mit einem Schmunzeln auf den Lippen – seinen Wunsch erfüllte. Haruki nahm ihr das Papier ab und tat so, als könnte er die bestürzende Handschrift ihres Mentor lesen, doch selbst wenn das Chaos auf seiner Sprache sein sollte, so half ihm das auch kein bisschen. »Ich übernehme das.« Elis Tonlage war hart und stockernst, er bemühte sich, wie ein Geheimagent mit einem glasklaren Ziel zu wirken, hatte jedoch dieses Mal auch Probleme damit, das Gekrakel zu entschlüsseln, da er nicht sicher war, ob es die Worte auch tatsächlich gab, die er zu sehen glaubte. »Yamasaki Inn?«, las er mit einem Fragezeichen auf der Zunge vor und ließ die Augen dabei fragend zu Haru schweifen, welcher zu seiner Erleichterung jedoch wissend nickte. »Ich weiß, wo das ist. Wir können sogar zu Fuß hin, wenn ihr nichts gegen ein paar Schritte im Regen habt.« Grundsätzlich hatten sie das nicht, aber wenn sie neben ihren Tisch blickten, wo sich die vier Koffer türmten, dann sah das mit der Motivation schon ein wenig anders aus. Trotz der unliebsamen Schlepperei fassten sie jedoch den Entschluss, dass es vermutlich länger dauern würde, auf ein Taxi zu warten, und immerhin konnten sie ja auch schon wieder ins Bett, wenn sie erst einmal angekommen waren. Der Regen war stärker geworden und obwohl die Temperatur wohl kaum noch mehr gesunken sein konnte, fühlte sich die Luft schon richtig eisig an. Ihre Koffer wechselten alle paar Minute die Hände, wenn sie zu schwer wurden, und eigentlich war Haruki der Einzige, der wirklich einen Weg einschlug und zielgerichtet ging, der Rest der Finals folgte ihm nur wie eine Schar Entenküken, die die Trockenheit des Nestes suchten. Aus den versprochenen paar Schritten wurden ein, zwei Kilometer und Hasret hatte irgendwann so viel nasses, schweres Haar im Gesicht, dass ihr nichts anderes mehr übrigblieb als beim Laufen auf den Boden zu starren. Endlich in der warmen, hell erleuchteten Lobby angekommen, stellte Cassy für einen kleinen Moment ihr Gepäck ab, drückte die Wirbelsäule durch und strich sich stöhnend über die Schultern, während der älteste Final an der Rezeption nach den Zimmern fragte, die auf den Namen ›Jackbell‹ reserviert waren. Ihre Umhängetasche war zwar nicht besonders prall gefüllt, aber so lange ein Gewicht an derselben Stelle zu tragen wirkte sich irgendwann doch auf die Gelenke aus. Viel Zeit zum Ausruhen hatte sie jedoch nicht, denn Haru klimperte schon wenige Minuten später mit zwei Schlüsseln in seiner Hand und machte eine Kopfbewegung in Richtung Lift. Ein Glück gab es wenigstens so etwas hier … Kaum im zweiten Stockwerk eingetroffen, blieb der Final plötzlich mitten im Gang stehen und die anderen stießen beinahe gegen Harus Rücken, als dieser ohne Vorwarnung seine Schritte unterbrochen hatte. »Wir haben zwei Zimmer für jeweils zwei Leute. Wie möchtet ihr euch aufteilen?« Diese Frage überforderte die Mannschaft völlig. Verwirrt und mit größtenteils offenen Mündern tauschten sie Blicke aus, man hörte geräuschvolles Einatmen, als wollte jemand etwas sagen, aber schließlich wagte es dann doch niemand einen Vorschlag zu machen. Der Jetlag hatte etwas verspätet, aber dafür besonders erbarmungslos zugeschlagen. »Alles klar …«, seufzte Haruki letztendlich resignierend und strich sich mit der freien Hand durch die nassen Haare. »Ich gehe mit Hasret, Eli mit Cassy. Ist das in Ordnung?« Natürlich hatte niemand etwas einzuwenden, was durch ein gemeinschaftliches Schulterzucken und lustloses Nicken unterstrichen wurde. »Das ist bestimmt auch keine schlechte Möglichkeit, um uns untereinander besser kennenzulernen. Ich meine, wir hängen wahrscheinlich noch eine ganze Weile lang zusammen …« Als Cassy die Schlüssel in die Hand gedrückt bekam, schien sie plötzlich doch aus ihrer Lethargie zu erwachen und blinzelte irritiert, als wäre sie gerade ziemlich grob geweckt worden. »Sollen wir zum Frühstück eine Uhrzeit ausmachen? Dann treffen wir uns morgen im Restaurant und können danach gleich den Tag planen.« Hasret nickte müde. »Das klingt gut. Wie wär’s mit neun?« Das Vorgehen war beschlossene Sache. Die Finals wünschten sich noch eine gute Nacht, dann verschwanden Haruki und Hasret in Zimmer 139 und Cassy und Eli in der 140. Mit einem langgezogenen Stöhnen schob die Kanadierin ihren Koffer vor den Schrank und streifte dann mit minimalem Aufwand ihre Schuhe von den Hacken. Das Gepäckstück auch noch auszuleeren würde sich für die zwei oder drei Tage, die sie hier verbringen würden, nicht lohnen. Andererseits war sie selbst jetzt schon eine Woche unterwegs … der Koffer war zwar kompakt, doch es passte eine ganze Menge hinein und an den letzten beiden Stationen ihrer Reise hatte sie ordentlich geschwitzt, ganz zu schweigen von den miefenden Klamotten, die sie in der Kanalisation ruiniert hatten. Morgen würde sie Haru fragen, ob es hier irgendwo einen Waschsalon gab. Eli verschwand mit einem kleinen Wäschehaufen unter dem Arm wortlos im Bad und kam eine halbe Stunde später frisch geduscht und umgezogen wieder heraus. Ein breites, entrücktes Lächeln lag auf seinen blassen Lippen und er machte einen tiefen Atemzug. »Das hauseigene Shampoo riecht … woah … probier es.« Cassy hatte sich auf das Doppelbett gesetzt, ihr ausgewähltes Nachtgewand auf ihrem Schoß liegen und betrachtete ihren Partner und Zimmergenossen eingehend. Sie würde mit ihrem breiten Hintern vielleicht mehr Platz wegnehmen, aber Eli war ein schmales Klappergerüst, das mit ein paar Zentimetern Matratze auskommen würde, zumindest hoffte sie das für ihn. Wieso hatte sich dieser Satz so angehört, als ob er das Zeug getrunken hätte? »Davon will ich mich auch überzeugen«, murmelte sie erschöpft und trat an seiner Stelle in das neblige Bad. Der Spiegel und die Fliesen waren beschlagen und die Luft war warm und reinigte ihre Atemwege. Als Cassy die Kleidung abstreifte, blieb sie noch ein paar Momente so in der feuchten Wärme stehen und tat so, als stünde sie in einer Sauna, dann huschte auch sie unter die Dusche. Eli sollte recht behalten, die Luft duftete nach Hibiskusblüten und Honig und das schaumige rosa Zeug, das dafür verantwortlich war, verlieh auch ihren Haaren diese Note. Sie fühlte sich fast wie in einer Haarpflegewerbung, in der ein Model mit glänzender Wellenmähne in Zeitlupe den Kopf in den Nacken warf. Ästhetisch. Jetzt überkam sie die Erschöpfung endgültig von allen Seiten, Cassys Lider wurden immer schwerer, der süße, heiße Dampf um sie herum lullte sie zusätzlich ein und existenzielle Gedanken fluteten ihr Gehirn. Was mochten die drei unwissenden Finals wohl gerade tun, die sie noch nicht aufgesammelt hatten, wo waren sie und woran dachten sie gerade? Wo mochte Jackbell sitzen, woher wusste er all die Dinge, die er wusste, und wie war es ihm möglich, ihre Umgebung jedes Mal so gezielt zu manipulieren, dass sie problemlos mitten im Schuljahr verschwinden konnten, ohne dass es jemanden störte? Wie mochten Eli und Hasret ihre Abreise wirklich überstanden haben, vermissten sie ihre Familien schon? Welches Land würden sie als nächstes bereisen und was geschah, wenn alle Teammitglieder beisammen waren? Wer war dieser Original, von dem Bernhard gesprochen hatte, was hatte er vor und wie sollten sie ihn finden? Alles was sie bisher erlebt hatte kam ihr mit einem Mal wie ein Traum vor, der viel zu lange dauerte und einfach keine ihrer Fragen beantwortete. Nur mit Mühe schaffte Cassy es sich fertig zu duschen, die Haare zu trocknen und ein T-Shirt überzustreifen, woraufhin sie wie eine Schnecke aus dem Bad schlurfte und todmüde aufs Bett fiel. Eli, der bereits darauf gelegen hatte, wurde ein paar Zentimeter in die Luft und dann an den Rand katapultiert, wenn auch nicht von ihr getroffen. Die Matratze war weich und man konnte darin versinken, und das half ihr nicht unbedingt beim Wachbleiben. »Du willst wahrscheinlich schlafen, oder?«, analysierte der Rotschopf mit einem ganz kleinen Bisschen Enttäuschung in der Stimme, als Cassy sich langsam in eine einfachere Schlafposition quälte und unter der Decke verschwand. Jetzt noch ein längeres Gespräch mit ihm zu führen, dazu hatte sie tatsächlich im Augenblick wenig Lust. »Eigentlich schon.« Das ›Eigentlich‹ ließ Raum für Diskussionen, die sie gar nicht führen wollte und umgehend bereute sie es, das Wort verwendet zu haben. »Haru ist schon süß, wenn er sich so freut«, begann Eli schließlich doch eine Unterhaltung in fast schon beschämt leisem Ton, als fürchtete er, der erwähnte Haru könnte ihn vielleicht hören. Cassy musste müde schmunzeln und ein wohliges, warmes Gefühl strömte von ihrer Körpermitte aus, als sie sich noch tiefer in die Kissen sinken ließ. »Da muss ich dir wohl recht geben«, seufzte sie und zog ihre Decke höher. »Und wie er erst Luftsprünge machen wird, wenn wir seine Waffe finden … auf einmal ist er ein ganz anderer Mensch.« »Er ist so cool, oder?« Eli war plötzlich wieder so energiegeladen, dass er beinahe aufsprang. »Wie er sich als Tourist ausgegeben und völlig zum Affen gemacht hat um mir aus der Klemme zu helfen, als er sich für seine Ausraster entschuldigt hat und man gesehen hat, dass es ihm wirklich leid tat … Haru ist so ein richtiger Anführer. Wir können froh sein, dass wir ihn haben.« Cassandra nickte abwesend. Es war angenehm zu wissen, dass sie nicht die Einzige war, die Haruki für so einen Helden hielt, doch wie Eli ihn anhimmelte, das war wirklich herzerwärmend. Jetzt wo er längere Zeit ohne seinen Vater auskommen musste, konnte er ein männliches Vorbild sicherlich gut gebrauchen. Ob Haru wohl ein guter Vater wäre? Streng, aber liebevoll, mit Sicherheit. Eli brabbelte noch eine Weile lang und Cassy hatte sich kurzerhand dazu entschlossen, nur noch ab und zu mitfühlend zu nicken, sodass dem Amerikaner erst nach einer ganzen Zeit auffiel, dass sie eingeschlafen war. Auch Haruki und Hasret hatten eine Dusche genommen und sich danach in ihren Betten breitgemacht, die im Gegensatz zu den Schlafstätten ihrer Teamkameraden einzeln daherkamen. Nur noch die Nachttischlampen waren eingeschaltet, warfen helle Flecken an die weißen Wände, sowie den bedrohlichen Schatten von Hasrets in die Luft gestreckten Beinen. Die Texanerin lag auf dem Bauch, das Kinn auf ihre Hände gestützt und lächelte ihren Partner amüsiert an. »Ich dachte, ich platze gleich«, beendete Haru seine Geschichte mit einer resignierenden Handbewegung und schüttelte den Kopf. »Und als dann auch noch Eli plötzlich aufgesprungen und in die Dunkelheit gelaufen ist, dachte ich, es ist vorbei. Zum Glück ist dein Vater so ein entspannter Typ, in seiner Nähe vergisst man gleich, dass man eigentlich sauer war. Ich hab mich sofort aufs Bett geworfen, als ich ins Zimmer gefunden habe. Tja, und das war eigentlich alles, was wir erlebt haben, bevor du dazugekommen bist.« Er nahm einen tiefen Atemzug und seine trockene Zunge machte dabei ein schmatzendes Geräusch, so viel am Stück zu reden war anstrengender als er in Erinnerung hatte, doch das war es wert gewesen. Hasret prustete los, als hätte sie das Lachen die letzten Minuten über zurückgehalten. »Tut mir leid, aber ich komme noch immer nicht über die Stewardess hinweg! Da wäre ich echt gerne dabei gewesen«, schmunzelte sie und wischte sich eine kleine Träne aus dem Augenwinkel. Die anderen Finals fühlten sich nach dieser Geschichte gleich viel vertrauter an, als würde sie sie schon länger kennen und nicht erst seit knapp einer Woche. Es war wirklich großes Glück gewesen, dass solche netten Menschen von nun an an ihrer Seite sein würden, sie kannte genügend Leute, mit denen sie einen Trip wie diesen im Leben nicht ausgehalten hätte. »Ganz ehrlich, manchmal liege ich nachts wegen dieser Frau wach und frage mich, ob sie vielleicht nur ein Traum war! Wenn Eli nicht live dabei gewesen wäre, ich weiß nicht, ob ich meinen gesunden Menschenverstand noch beweisen könnte.« Wieder musste sie lachen und vergrub am Ende das Gesicht im Bettlaken unter ihr. Die Dunkelheit war angenehmer in ihren Augen als sie angenommen hatte. Ihre erste Reise mit einem Flugzeug und sie hatte auch noch den Großteil davon geschlafen … gut, was hätte man sonst auch Großartiges tun sollen? Doch je länger sie sich nicht bewegte, desto mehr musste Hasret zugeben, dass sie sich mehr und mehr ausgelaugt fühlte und ihr Kopf und ihre Glieder zu schmerzen begannen. Wahrscheinlich war das nur ein Nebeneffekt des Fliegens. »Bin ich froh, dass ich morgen bis neun Uhr schlafen kann … angezogen ist man ja schnell und dann können wir gleich runtergehen. So spät bin ich seit Jahren nicht aufgestanden«, murmelte sie, nachdem sie ihr Gesicht wieder an die Luft gelassen hatte. Haruki machte große Augen. »Ernsthaft, seit Jahren? Wie lange schläfst du denn normalerweise?« »An Wochentagen steh ich um sechs auf um zur Schule zu gehen, und am Wochenende um fünf bis sechs, je nachdem, wie viel zu tun ist.« Hasret zuckte nur träge mit einer einzelnen Schulter, doch Haru sah wirklich betroffen aus. »Meine Güte, das klingt hart!«, brachte er anerkennend heraus. »Ihr habt echt eine ganze Menge zu tun, wie es aussieht. Wirklich erstaunlich, dass eure Familie das jeden Tag hinbekommt. Hast du keine freien Tage zwischendurch, wenn es was zu Feiern gibt oder so etwas?« »Na ja, ganz allein sind wir ja auch nicht, es gibt tolle Leute, die bei uns arbeiten und auf die man sich verlassen kann. Und meine Ferien bestehen meist darin, dass ich noch ein bisschen Extraarbeit übernehmen, wenn ich nicht zur Schule muss. Vor allem zur Erntezeit oder in der Feriensaison gibt’s eine Menge zu tun, oder wenn es einen neuen Stallmieter gibt.« So leichtfertig wie Hasret darüber sprach konnte Haru nur schlucken, wenn er sich vorstellte, wie viel es in so einem Hotel zu tun geben musste. Auch er hatte im letzten Jahr einiges aufgelastet bekommen, hatte sich eine Wohnung und einen Job suchen und mächtig für die Uni lernen müssen, da war oft nicht viel Zeit für Partys und Schlafen gewesen, und er war im Gegensatz zu vielen, die er kannte, schon ziemlich diszipliniert, aber Hasret hatte wirklich ordentlich zu schuften. Wenn sie ein kurzärmeliges Shirt trug, konnte man die harte Arbeit deutlich an ihren Armen sehen. »Aber denk jetzt nicht, mein Vater würde mich zwingen so viel zu übernehmen!«, fügte die Texanerin schnell hinzu. »Ganz im Gegenteil, er versucht ständig mich davon abzuhalten, damit ich stattdessen in einen Schulclub gehe oder Zeit für meine Freunde habe, aber es ist meine eigene Entscheidung. Es ist kein leichtes Leben, aber ich liebe es. Ich habe genug zu essen, ein Dach über dem Kopf und eine Familie, die mich liebt, da gibt es Menschen, die es viel schlimmer getroffen hat und ich bin dankbar, dass ich einen solchen Segen erfahren habe.« Haruki nickte langsam und respektvoll. Jemanden wie Hasret konnten sie auf ihrer Reise sicherlich gut gebrauchen, und dazu war sie auch noch so freundlich und herzensgut, dass man in ihrer Gegenwart einfach nicht anders konnte als zu lächeln. Aber dennoch betrübte ihn etwas. »Wenn ich das so höre, dann tut es mir echt leid, dass wir dich einfach so aus deinem Alltag gerissen haben … du hängst ja wirklich an deiner Heimat und man scheint dort ziemlich auf dich angewiesen zu sein. Stattdessen musst du jetzt mit uns durch die Welt gurken und dich mit Jackbells Anrufen rumschlagen …« Hasret lächelte beruhigend. »Ihr habt damit ja gar nichts zu tun, dir muss das nicht leidtun. Und wir müssen stets mit der Zukunft im Hinterkopf handeln, vielleicht erschwere ich meiner Familie gerade jetzt im Moment das Leben, aber wenn das alles vorbei ist, werden wir genügend Geld haben um uns nie mehr Sorgen um unser Land zu machen. Mein Vater wird einen sicheren Ruhestand genießen können, meine Brüder können studieren und ich vielleicht auch, mal sehen. Obwohl ich glaube, dass ich meinen Platz mit dem Hotel und den Pferden schon gefunden habe.« Mit einem Seufzen streckte sich der Final und krabbelte dann unter ihre Decke. Haruki hatte irgendwie keine Worte für all das. Er bewunderte Hasret für ihre Stärke und Einstellung, sie war so nobel, dass sie ihr altes Leben dafür aufgab, ihrer Familie die Tage zu erleichtern, und hatte auch noch eine Menge Vertrauen in ihren Auftraggeber. Er hingegen wollte nur selbst über die Runden kommen und gerade jetzt fiel ihm auf, dass er noch nicht ein einziges Mal an seine Eltern gedacht hatte, seit er zurück in Japan war. Die wohnten irgendwo hier und es konnte theoretisch geschehen, dass er ihnen morgen beim Einkaufen in der Stadt über den Weg lief. Er war ein unabhängiger Mensch, kein Einzelgänger, doch nach der Schule hatte er es gar nicht abwarten können, sich sein eigenes Leben aufzubauen, zu tun was er wollte, einen Job anzunehmen und vielleicht eines Tages eine Frau zu finden, mit der er eine Familie gründen könnte. Sein perfektes Leben bestand aus den klassischen Klischees, aber für ihn war dieser Gedanke Vollkommenheit. »Was ist mit dir?«, hörte er Hasret aus der Ferne fragen, als er zurück in die Wirklichkeit kam. Das Licht war ausgeschaltet, beide lagen unter ihren Decken und waren bereit, um von diesem Tag Abschied zu nehmen. »Wie ist deine Familie so?« »Ich wohne schon länger nicht mehr bei meinen Eltern«, antwortete Haruki, nachdem er eine Zeit lang überlegt hatte, wie er es ausformulieren sollte ohne herzlos zu wirken. »Ich hab mich schon damit abgefunden, unabhängig von ihnen zu sein und sie nicht so oft zu sehen. Meine Wohnung ist in Tokio, einige Kilometer weit weg von hier. Aber ich war nie so eng mit ihnen verbunden wie du mit deinem Vater, schätze ich.« »Ich glaube, das bin ich auch nicht«, kam es aus der Dunkelheit vom Fenster. Plötzlich war es so still im Zimmer, es wurde direkt unheimlich. »Abhängig, meine ich. Ich weiß zwar nicht, wie lange ich ohne meine Familie aushalte, bis ich Heimweh oder so bekomme … aber ich weiß, dass alles, was ich tue für sie ist. Ich kann es selber schaffen, wenn ich ein Ziel vor Augen habe. Sie sind diejenigen, die von mir abhängig sind.« Darauf wusste Haru keine Antwort. Sein Blick lag noch eine ganze Weile auf Hasret, stirnrunzelnd, bis er schließlich nur ein zustimmendes Brummen von sich gab und die Augen schloss. Er hatte keine Ahnung wie er das Gespräch weiterführen sollte und es schien ihm klüger es einfach zu beenden. Es war spät und morgen würden sie sich auf die Suche nach seiner Waffe machen … dafür musste er fit wie ein Turnschuh sein. ▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬ Cassy hätte ruhig noch ein paar Stunden weiterschlafen können, doch ganz offensichtlich hatte Eli ein besseres Zeitgefühl als sie und weckte sie pünktlich um viertel vor neun. Er selbst war zu dieser Stunde schon frisch angezogen, gewaschen und grinste sie breit an. Kaum hatte die Kanadierin überhaupt die Möglichkeit bekommen, ihre Augen an das Licht zu gewöhnen und mit der Tatsache klarzukommen, dass sie nun aufstehen musste, da hatte sich ihr Zimmergenosse schon verabschiedet und war aus der Tür verschwunden. Schlaftrunken und mit zerknittertem Gesicht erhob sich der Vampir namens Cassy aus seinem Sarg und blieb ein paar Sekunden lang auf der Bettkante sitzen, bevor sie nach passender Kleidung suchen und sich die Müdigkeit aus dem Gesicht waschen konnte. Sie durfte doch nicht allzu spät eingeschlafen sein, ging es ihr durch den Kopf, aber wahrscheinlich musste sie einfach ein paar Minuten in der Welt der Lebenden verbringen um sich wieder daran zu gewöhnen. Eli war indessen ins Zimmer von Haruki und Hasret verschwunden, beziehungsweise hineingeplatzt, womit er den beiden einen ganz schönen Schrecken eingejagt hatte. Zum Glück waren die zwei Finals schon wach gewesen, doch Haru ließ es sich dennoch nicht nehmen, eine mahnende Standpauke zu halten, während Hasret im Hintergrund kicherte. Die beiden hatten offenbar ebenfalls gut geschlafen, die Texanerin war schon seit einigen Stunden wach, da ihre innere Uhr noch immer auf Arbeit und Schule eingestellt war, und hatte eine ganze Zeit lang tatenlos herumgelegen, was sie überhaupt nicht gewohnt war. Wenig später fanden die vier im Restaurant wieder zueinander und setzten sich gemeinsam an einen Tisch. Glücklicherweise war Haruki bei ihnen um der Kellnerin die Zimmernummern zu verraten und es entstanden keine peinlichen Situationen. Das Frühstück sah nicht nur wunderschön und bunt aus, es schmeckte auch wunderbar. Neben dem kontinentalen Standardangebot wie Brot und Butter, das auch jedem westlichen Besucher schmecken würde, fand sich eine Reihe von regionalen Köstlichkeiten wieder, die Haru begeistert genoss. Er wirkte so entrückt und verträumt, dass seine Teammitglieder sich währenddessen schon wieder kaum trauten etwas zu sagen und ihn womöglich aus seiner Fantasie zu reißen. »Was für ein Gefühl das heute morgen war, einfach mal nichts zu tun und im Bett liegen zu bleiben«, schwärmte Hasret mit einem Seufzen und biss schmunzelnd von einer Scheibe Brot ab. »Ist wirklich Ewigkeiten her.« »Ab und zu mussten wir auch schon früher aufstehen«, beschwerte sich Eli mit einem undeutlichen Murmeln und schielte aus dem Augenwinkel zu Haru und Cassy herüber, als wollte er sich bestätigen lassen. »Aber sicher nicht so früh wie Hasret«, kam es von Cassy. »Und dafür hatten wir auch immer einige Stunden wettgemachte Schlafzeit auf den Flügen.« »Apropos Flüge!«, riss sich Haru selbst aus seiner Frühstückstraumwelt und hatte sofort wieder in Sekundenschnelle ein ernstes Gesicht aufgesetzt. Mittlerweile konnte er damit aber keinen seiner Freunde mehr täuschen. »Ich hab vorhin mal einen Blick auf die Tickets von Bernhard geworfen. Wenn ich richtig gelesen habe, ist unsere nächste Haltestelle Russland und der Flug geht heute Nacht um vier. Das heißt also, heute schleunigst unsere Arbeit erledigen und dann früh ins Bett gehen.« Der Großteil der Finals stöhnte erschöpft auf. Jackbell schickte sie ganz schön herum, einen weiteren Tag hätte er ihnen ruhig noch gönnen dürfen … »Russland«, wiederholte Hasret mit einem sanften Lächeln auf den Lippen. »Das wird sicher kalt um diese Jahreszeit. Hoffentlich hat die Person, die unsere Koffer gepackt hat, auch an ein paar warme Pullover gedacht.« »Hat sie«, bestätigte Eli kurzerhand und dann, als er nur überraschte Blicke zugeworfen bekam, fügte er hinzu: »Ich hab zwischendurch mal ein bisschen drin rumgewühlt, mir war langweilig …« Cassandra verzerrte das Gesicht beim Gedanken an die Kälte, die sie in Russland begrüßen würde, sie war froh gewesen, aus ihrer Heimat vorerst an ein paar wärmere Orte geschickt worden zu sein, aber diese Zeit war wohl vorbei. Ab jetzt ging es nur noch bergab mit der Temperatur. Und wie musste sich das erst auf Eli und Hasret auswirken, die zwei lebten ja praktisch schon auf der Sonne. »Wo wir gerade von Koffern und Pullovern sprechen«, fiel der Kanadierin dann wieder ein und sie wandte sich an Haruki. »Gibt es hier in der Nähe zufällig einen Waschsalon oder so etwas? Wir haben mittlerweile alle, glaube ich, ein bisschen Schmutzwäsche angehäuft und wir beide haben auch noch immer unsere stinkenden Sachen von letzter Woche …« Der Japaner nickte langsam. »Du hast recht, keine schlechte Idee. Es gibt einen ein paar Straßen weiter. Sollen wir jemanden bestimmen, der den Haushalt für uns erledigt?« Er schmunzelte. »Ganz alleine als Amerikaner in Kawasaki?« Eli kniff ein Auge zu und zog eine unglückliche Grimasse. »Andererseits, wenn du gehst, können wir indessen auch nirgendwo hin.« »Immerhin müssen wir niemanden mehr suchen«, merkte Cassy mit bedeckter Stimme an. »Das wäre ja ein schöner Mist gewesen, wenn wir mit unserem Englisch noch einen Japaner hätten auftreiben müssen …« »Ich versuche mich zu beeilen«, versprach Haruki. »Bleibt währenddessen einfach im Zimmer und lasst euch von Jackbell die nächsten Anweisungen geben, seht auf Bernhards Zettel nach, oder was auch immer. Vielleicht gibt es an der Rezeption ja Stadtpläne, dann könnt ihr euch schon mal schlau machen, wohin wir später müssen.« Mit dem Plan waren alle soweit einverstanden und nachdem das Frühstück verspeist war, Haru sämtliche schmutzige Wäsche in die Hand gedrückt bekommen hatte und verschwunden war, sammelten sich die restlichen Finals in Zimmer 140 um das Vorgehen zu planen. Cassy fischte das Handy aus ihrer Tasche und starrte es eine Zeit lang tatenlos an. »Hasret, möchtest du vielleicht mal …?«, fragte sie nach einer Zeit und wandte sich mit zerknautschter Miene an ihre Partnerin, ihre schwarzen Pupillen waren um ein paar Größen geschrumpft, doch Hasret nickte nur grinsend und nahm bereitwillig die Last von Cassys Schultern. Vielleicht würde es sich ja anfühlen, als wäre sie der Präsident, der einen höchst geheimen Auftrag ausführen lassen musste. »Jackbell, wir sind bereit für die nächste Aufgabe!«, grüßte sie ihren Auftraggeber voller Elan und erhielt als Antwort vorerst nur ein bescheidenes Husten. »Miss Vihre, Sie habe ich ja nicht erwartet«, kam ein paar Sekunden darauf die Entgegnung. Auch Jackbell klang beinahe gutgelaunt, obwohl man ihm das nie so richtig anmerken konnte, er war immerhin eine frei schwebende Stimme im Orbit. »Natürlich, die nächste Waffe, Mister Okui … Sie werden sie wie auch zuvor bei einer Privatperson der Stadt abholen können. Der Name der Aufbewahrerin ist Kaori Fujiwara, sie wohnt nicht weit von Ihrem Hotel entfernt und Sie sollten zu Fuß ganz einfach hinkommen. Die Adresse sollte Bernhard Ihnen eigentlich gegeben haben, oder irre ich mich da?« Hasret drehte den Kopf hastig hinter sich und suchte Antwort bei ihren Teamkameraden. Eli, der den besagten Zettel bereits in der Hand hielt, nickte bestätigend. Ganz sicher war er sich zwar nicht, ob er die Buchstaben richtig entziffert hatte, aber Haru würden ihnen später sicher dabei helfen können. »Ja, wir haben die Adresse«, stellte sie klar. »Irgendetwas, was wir beachten müssen? In Rhodesville musste Bernhard eine Sicherheitsfrage beantworten, damit wir die Waffe bekommen haben. Das soll eine Anweisung von Ihnen gewesen sein, die selbst Bernhard nicht kannte, wenn es dieses Mal also wieder so etwas gibt, wäre es vielleicht besser, uns die Antwort jetzt zu verraten.« Jackbell hustete einsichtig. »Ja richtig, das hätte ich beinahe vergessen, gut dass Sie fragen. Halten Sie etwas zum Schreiben bereit.« Eli im Hintergrund hatte schon Kugelschreiber und Notizbuch zur Hand und wartete mit ausgestrecktem Hals auf die Antwort wie ein Vogelküken auf sein Mittagessen. »Die Antwort lautet ›Henrietta‹. Nicht allzu lang.« »Henrietta«, wiederholte Hasret, damit ihr Partner das Wort auch mitschreiben konnte. Sie war gespannt, auf welche Frage dies die Antwort war, wollte aber genauso wenig nachfragen. Sie würde es ja später sowieso erfahren. »Danke, ich glaube, das war alles.« Jackbell verabschiedete sich noch begleitet von einem letzten Husten, dann legte er auf und Hasret stieß einen langgezogenen Seufzer aus. »Mich würde interessieren, wieso er diese Sicherheitsfragen überhaupt so plötzlich eingeführt hat. Hat er vor irgendetwas Angst?« »Könnte wegen Bernadette Sparks aus Florida gewesen sein«, mutmaßte Cassy. »Dieser Einbruch hat ihn verständlicherweise aus dem Konzept gerissen und ich kann mir kaum vorstellen, wie das für jemanden sein muss, der sonst immer alles so perfekt durchplant. Da fällt mir ein, wir hätten auch noch mal nach der alten Frau fragen können …« »Bestimmt informiert er uns schon, wenn er was rausgefunden hat«, überlegte Eli laut und widerstand endgültig dem Drang, das Notizbuch durchzublättern um einen Blick auf den mysteriösen russischen Final zu werfen, indem er es zuklappte. Anschließend ließ er sich rücklings auf das Bett hinter sich fallen und betrachtete die Deckenlampe. Das Hotelzimmer war lange nicht so rustikal und gemütlich wie in Texas, aber auch nicht so luxuriös und pompös eingerichtet wie er erwartet hatte, es war ein einfacher, nüchterner Stil, aber ziemlich modern und designermäßig. »Ich frage mich, wie Harus Waffe aussehen wird. Was meint ihr, was würde zu ihm passen? Und wie wird das Ding heißen?«, murmelte der Rotschopf mit abwesendem Gesichtsausdruck und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Cassy und Hasret tauschten ein paar Blicke aus. »Keine Ahnung, vielleicht ein mächtiger Runenstab«, schmunzelte Cassandra, doch Eli hob den Kopf nur kurz und formte die Augen gekränkt zu Schlitzen. »Ich meine es ernst … der Bogen zum Beispiel passt meiner Meinung nach perfekt zu Hasret. Was ich mit meinen Waffen anfangen soll, das weiß ich noch nicht so recht, aber auf jeden Fall sehen sie cool aus. Haru ist groß und stark, ich wette, er könnte jemandem mit bloßen Händen die Arme ausreißen.« Hasret machte ein Geräusch, das halb erschrocken, halb lachend klang, und hielt sich die Hand vor den Mund. »Sicher könnte er das, aber dafür ist er viel zu nett.« »Er kann auch ganz schön wütend werden«, murmelte Cassy kaum hörbar, ihre Partnerin fuhr jedoch fort. »Vielleicht so etwas wie Schlagringe? Offenbar ist ja alles Mögliche dabei, und so etwas könnte er sicherlich gut bedienen.« »Hört sich super an! Wenn auch unkonventionell«, bestätigte Eli mit einem breiten Grinsen. »Die Planeten, die noch fehlen, sind … lass mal sehen … Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun und Pluto. Hm, Jupiter würde passen, oder? Er ist der Größte von uns und so etwas wie der Anführer, darauf haben wir uns wohl alle geeinigt.« »Du weißt eine ganze Menge Zeug, Eli«, fiel Hasret auf und sie lächelte anerkennend. »Mal sehen, ob sich deine Vorhersehungen bestätigen.« »Pluto ist doch der Hund von Mickey Maus …«, war schon der zweite abwesende Kommentar von Cassy in diesem Gespräch und dieses Mal musste Hasret laut auflachen. Der passiv-aggressive Humor und die stets beschämte und irgendwie zurückhaltende Art des blauhaarigen Mädchens machten sie ihr mit jedem Tag sympathischer. Sie versuchte immer, wie eine Mutter an der Seite von Gruppenvater Haruki – oder Göttervater, wie Eli sagen würde – zu wirken, doch sie verlor stattdessen immer wieder selbst den Boden unter den Füßen, ohne dass es dabei schlimm wäre. Hasret hatte ihre neuen Partner wirklich schon lieb gewonnen, und Cassy mochte sie ganz besonders. Vielleicht, weil sie die einzigen Mädchen bisher waren, vielleicht auch, weil es so viel Spaß machte, sich mit ihr zu unterhalten. Einige Zeit später kehrte auch Haruki zu ihnen zurück, in den Armen eine Tüte voll frisch gewaschener und gut duftender Kleidung, die er wie der Nikolaus unter seinen Freunden verteilte. Kurz darauf wurde ihm von dem Gespräch mit Jackbell und den dabei entstandenen Erkenntnissen berichtet. »Kaori Fujiwara, das sagt mir irgendwas … ich glaube, ich war mit ihr auf der Schule«, überlegte er und warf einen Blick auf den hilfreichen Zettel, doch ohne Elis Hilfe konnte er darauf nur Kauderwelsch erkennen. Der Amerikaner kam ihm gleich darauf zur Hilfe und ließ sich die Worte bestätigen, die er schon eifrig übersetzt hatte. »Das überrascht mich ehrlich gesagt nicht«, murmelte Cassandra stirnrunzelnd und verschränkte die Arme. »Bisher hatte jeder der Aufbewahrer eine Verbindung mit dem zur Waffe gehörigen Final, wenn auch nur eine sehr lose. Ich kann mir gut vorstellen, dass Jackbell diese Leute gezielt aussucht, damit man vielleicht nicht so großes Misstrauen gegenüber dem anderen hat.« »Die Adresse ist hier um die Ecke«, fand Haru letztendlich mithilfe seines stolzen Partners heraus. »Auf alle Fälle können wir wieder zu Fuß hingehen.« »Dann lasst uns gleich los!« Hasret sprang voller Tatendrang auf und stand schon beinahe in der Zimmertür. »Ich hole unsere Jacken und dann, auf geht’s!« »Ich hoffe, die Waffe ist nicht so groß wie Terra, ansonsten könnte es schwierig werden, sie ohne Aufsehen zu erregen zurück zum Hotel zu bringen«, dachte Cassy laut nach, während sie sich feste Schuhe über die Füße streifte und nach ihrer Jacke griff. »Aber das hätte uns Jackbell ja gesagt, oder? Oder Bernhard wäre jetzt hier.« »Das glaube ich auch.« Haruki nickte zunächst, blieb dann aber abrupt in der Bewegung stehen und verzerrte stattdessen das Gesicht. »Andererseits hat Bernhard auch vergessen, was Terra überhaupt war, bis er den Bogen wieder gesehen hat.« »Dann hoffen wir eben auf das Beste. Was anderes bleibt uns wohl nicht übrig.« Kaum hatte Eli den Satz beendet, kam Hasret zurück ins Zimmer gestürmt und warf dem Japaner voller Enthusiasmus seine Jacke zu. Mit Cassys Umhängetasche im Schlepptau und abgeschlossenen Türen hinter sich marschierten die Finals die Treppe herunter in den Eingangsbereich und vor das Hotel, wo die gesamte Motivation plötzlich in feuchtem, kaltem Nieselregen ertränkt wurde. Das Wetter war kaum besser als am Abend zuvor, außer dass der Regen nicht mehr allzu stark war. Wie auch zuvor übernahm Haruki die Führung und dirigierte seine Teamkameraden, die wie Entenkinder hinter ihm her dackelten, durch alle möglichen Straßen. Dabei verlief er sich kurzfristig sogar einmal, was ihm aber niemand übel nahm, denn die verwirrenden Symbole auf den Straßenschildern hätten sie selbst nicht viel besser interpretieren können. Immer noch hatte Eli große Lust, sich in dieser Stadt einem Kaufrausch hinzugeben, etwas zu Lesen zu besorgen wäre bestimmt auch keine dumme Idee, wenn man bedachte, wie oft sie noch mit dem Flugzeug unterwegs sein würden. Das Problem war nur, dass er kein Japanisch verstand, und schon gar nicht lesen konnte. Ganz im Gegensatz zu Bernhards Handschrift. Und alles andere würde vermutlich lange nicht zum Einsatz kommen, wenn die nachfolgenden Monate tatsächlich so stressig werden würden wie Jackbell es ihnen versprochen hatte. Vielleicht konnte er ja mit dem verdienten Geld eines Tages wieder nach Japan fliegen und Haru besuchen, wenn all das vorbei war, und nebenbei einen Großeinkauf hier oder in Tokio machen. Eli wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen, als die Gruppe vor einem Mehrfamilienhaus angekommen war. Es war hell gestrichen und sah eng aus, die Fenster standen dicht nebeneinander wie in einem Bus, schön konnte es sich hier nicht wohnen lassen, wie der erste Eindruck vermuten ließ. »Das muss es sein«, verkündete Haruki das Ende ihrer kurzen Reise und suchte die Klingelschilder nach dem entsprechenden Namen ab. Ein Knopfdruck und Abwarten, dann meldete sich aus der Gegensprechanlage eine männliche Stimme, die vermutlich nach dem Besucher fragte. Die Finals tauschten vielsagende Blicke aus, sollte hier nicht eine Frau wohnen? Nun ja, immerhin war irgendwer zuhause und offenbar stand die Wohnung auch nicht verwüstet leer. Haru hatte sich indessen an einer Antwort versucht, mit der er wohl irgendwie erklärte, was sie hier wollten und nach einer Zeit erklang tatsächlich ein schrilles Geräusch, welches das Öffnen der Tür ankündigte. Auf dem Weg nach oben waren die Besucher jeder auf seine Art fasziniert davon, wie schnell und einfach es klang, wenn Haru Japanisch sprach, schon wenn er Englisch redete, war es erstaunlich fließend und akzentfrei, aber hier in Kawasaki war er voll in seinem Element. Cassy, Eli und Hasret waren so begeistert davon, dass sie sich nicht einmal fragten, was die Worte wohl zu bedeuten hatten. An der entsprechenden Tür angekommen öffnete ihnen ein junger Mann mit ziemlich verwirrtem Gesichtsausdruck. Er war um einiges kleiner und schmächtiger als Haruki und sah ziemlich eingeschüchtert von dessen Präsens aus. Der Bewohner stellte eine Frage, woraufhin ihr Anführer einen lockeren Wortschwall entfesselte, der überhaupt nicht gezwungen klang und eher so, als wäre das alles hier ganz selbstverständlich. Als Kaoris Name fiel, ging der Mann – wohl unwillkürlich – in eine Defensivhaltung, nickte aber langsam. Cassy schätzte, dass es sich bei Harus Gesprächspartner um den Freund der Gesuchten handelte, oder zumindest einen Freund oder Bruder, auf alle Fälle schien er sich von dem muskulösen Kerl, der nach seiner Mitbewohnerin fragte, eindeutig bedroht zu fühlen. Nicht ganz unverständlich, dachte sich Cassy. Irgendwann zwischen seinen Worten hatte der Mann auch einen Blick an Haruki vorbei auf seine Anhängsel geworfen, die er fast noch bestürzter beäugte. Sie sahen zwar nicht gerade wie die typischen Japaner aus, aber das war ja kein Grund gleich so angewidert dreinzublicken … Letztendlich, nach einer kurzen Diskussion, wurden sie doch hereingebeten und angehalten, im Flur zu warten. Tatsächlich war die Wohnung ziemlich klein und vier Leute auf einmal hatten kaum Platz im schmalen Durchgang, vor allem, weil etliche Paar Schuhe sich mit ihnen den Boden teilten. Mit einem Flüstern bedeutete Haruki seinen Freunden aus dem Westen, ihre Schuhe ebenfalls auszuziehen, was hier wohl zum guten Ton gehörte, wenn man jemanden besuchte. Eli war noch immer mit seinen Schnürsenkeln beschäftigt, da kam aus einem der Nebenräume eine junge Frau geschlichen, mit langem, glattem, schwarzem Haar, einer schmalen, gestreckten Figur und feinen Gesichtszügen. Mit angespannt gefalteten Händen und ihren braunen Augen blickte sie vorerst misstrauisch drein, schien Haruki aber dann zu erkennen und widmete ihm ein Lächeln und eine Begrüßung. Dieser erwiderte beides und stellte dann auch ohne Umschweife die restlichen Finals vor, die nur geknickt lächeln konnten. Nachdem Cassy mit einer vorsichtigen Verbeugung begonnen hatte, taten es auch Eli und Hasret ihr nach. Haru erklärte indessen den Grund ihres Besuches, zumindest wurde das vermutet, und Kaori schien zu verstehen worum es ging, auch wenn sie noch immer ein wenig ängstlich wirkte. Vielleicht war das ja auch einfach ihre Art. Gut, sie waren immerhin bei der richtigen Person angekommen, die halbe Miete war bezahlt. So langsam begann auch Harukis lässige Fassade zu bröckeln, er fing an zu schwitzen und verhaspelte sich ab und zu, schließlich musste er ganz alleine diese Aufgabe erledigen und konnte nicht auf die Hilfe der anderen hoffen. Kaori schluckte und setzte einen tapferen Blick auf. Haru hingegen drehte sich zu den anderen um und hielt sich, eher aus Gewohnheit, die Hand vor den Mund, damit sein Geflüster nicht belauscht werden konnte. »Sie weiß bescheid über Jackbell und den Koffer, den sie bekommen hat. Es gibt allerdings eine Sicherheitsfrage, die wir vorher beantworten müssen, um ranzukommen. Hat unser Anrufer da irgendetwas erwähnt?« Eli nickte hastig, das war sein Stichwort. »Die Antwort ist ›Henrietta‹!«, zischte er dem Japaner zuversichtlich zu und dieser schob die Augenbrauen zusammen, holte sich mit einem kurzen Blick an die Mädchen eine Bestätigung und wandte sich dann wieder der Aufbewahrerin zu. Sie schien nicht wirklich ein behagliches Gefühl dabei zu haben, den Koffer bei sich zuhause liegen zu haben und nun kamen ein riesiger Kerl und seine verrückt aussehende Truppe in ihre Wohnung und wollten das geheimnisvolle Gepäckstück abholen. Allerdings schien sie mit der Antwort auf die Sicherheitsfrage zufrieden zu sein und bedeutete Haruki mit einer zaghaften Handbewegung, ihm zu folgen. Die restlichen Finals wollten ebenfalls mitkommen, doch der Älteste hielt sie zurück. Er wollte die zerbrechliche junge Frau nicht noch mehr aufregen und die beiden verschwanden in einem der Zimmer. Kaoris Freund tauchte im selben Moment wieder im Türrahmen auf und musterte die übrige Gruppe mit einem höchstargwöhnischen Blick, als hätte er Angst, sie würden das Haus auf den Kopf stellen, sobald er sie aus den Augen ließ. Cassy, Eli und Hasret blieb wohl nichts anderes übrig, als stocksteif im Flur stehenzubleiben und zu hoffen, dass Haru bald zurückkehrte. Dieser stand mittlerweile im Schlafzimmer der beiden Bewohner, das gerade genug Platz für ein Doppelbett zu haben schien, und beobachtete Kaori dabei, wie sie zur Hälfte im Wandschrank steckte und in den Tiefen ihrer Kleidung nach etwas suchte. »Du siehst gut aus, Haruki«, hörte er sie irgendwann in seiner Sprache sagen und sie klang bei den Worten fast etwas traurig. »Ich hab gehört, du studierst in Tokio. Das muss schön sein …« »Es ist anstrengend«, murmelte Haru abwesend und versuchte, sich auf die Einrichtung des Zimmers zu konzentrieren. Dass er gerade auf geheimer Mission unterwegs war um eine gefährliche Waffe aus ihrem Schrank abzuholen, das verschwieg er lieber. »Tut mir leid, dass Satoru so unfreundlich ist, er vertraut selten Leuten, die er nicht kennt, vor allem, wenn sie nach mir suchen. Er ist ein bisschen besitzergreifend, das ist nicht immer einfach.« »Übel kann ich es ihm nicht nehmen. Ist er dein Freund?« Kaori lachte leise und streckte den Kopf wieder aus dem Schrank. Dieses Mal hatte sie einen schwarzen Aktenkoffer in der Hand, der den ersten beiden zum Verwechseln ähnlich sah. »Ja, ich hab ihn auf der Arbeit kennengelernt. Wir wohnen erst seit ein paar Monaten zusammen.« »Er scheint nett zu sein.« Kaori schüttelte mit einem beschämten Lächeln den Kopf, setzte sich aufs Bett und legte den Koffer auf ihren Schoß. »Was hat es mit diesem Koffer auf sich? Er kam mit der Post, begleitet von einem Anruf von einem Kerl, der wollte, dass ich ihn für viel Geld aufbewahre. Uns fehlt noch eine Menge Einrichtung und wir konnten es wirklich gebrauchen, also habe ich den Auftrag angenommen, ohne dass Satoru etwas davon wusste. Ich habe nicht gewusst, dass gerade du kommen würdest, um ihn zu holen.« Sie sah Haruki kurz an, wandten den Blick dann aber schnell wieder zum Koffer auf ihrem Schoß und eine dunkle Wolke erschien vor ihrer Stirn. »Es ist aber nichts Gefährliches darin, oder? Drogen oder Diebesgut … oder eine Bombe oder so etwas. Was sind das für Leute, die du mitgebracht hast? Ich will dir wirklich nicht misstrauen, aber ich bin einfach so verwirrt …« Mit einem sanften Lächeln, aber bestimmter Gestik nahm Haru den Koffer und bedachte Kaori mit einem beruhigenden Blick. Auch wenn sein neutrales Gesicht immer irgendwie angespannt aussah, schaffte er es manchmal, nicht wie ein Fels in der Brandung auszusehen. »Glaub mir, es ist nichts Gefährliches darin.« Was für eine Lüge, vermutlich. »Aber ich kann dir leider nicht sagen, was das Ganze zu bedeuten hat, zum einen, weil es eine Anweisung ist und zum anderen, weil ich mir selbst nicht ganz sicher bin. Ich weiß nur, dass du dir absolut keine Sorgen machen musst, ich bin sicher und du bist es auch. Danke, dass du darauf aufgepasst hast.« »Kannst du mir wirklich nicht sagen, was drin ist?« Sie klang alles andere als überzeugt von seinen Worten, ging aber nicht weiter darauf ein. Das war sein Glück. Haruki schüttelte bedauernd den Kopf und klemmte den Koffer unter den Arm. Er wollte am liebsten jetzt sofort hineinsehen, die Neugier auf seine Waffe war so brennend, aber er musste wohl oder übel warten, bis sie aus der Wohnung raus waren, ansonsten bestand die Gefahr, dass Kaori etwas mitbekam. Er bedankte sich stattdessen noch einmal eindringlich und beide verließen betreten schweigend den Raum. Draußen im Flur standen die noch immer eingefrorenen Finals unter dem strengen Blick von Satoru, der jedoch nachließ, als er seine Freundin und den mysteriösen, gutaussehenden Mann unversehrt aus dem Zimmer kommen sah. »Wir können gehen«, murmelte Haru seinen Freunden zu und zeigte auf den Koffer unter seinem Arm, woraufhin diese große Augen machten und selbst ein wenig ungeduldig wurden, die Schatztruhe zu öffnen. Schuhe wurden wieder angezogen, es wurde sich höflich verabschiedet und Kaori sah tatsächlich ein wenig betrübt aus, ließ es sich aber nicht zu sehr anmerken. Haru warf ihr noch einen letzten Blick zu, als sie wieder durch die Tür gingen und ein Stockwerk nach unten hasteten, bevor die Finals ihren Anführer dazu drängten, den Koffer zu öffnen, als sie in einer unbeobachteten Ecke standen. »Ihr ward mal zusammen, oder? Von wegen ›Ich glaube, die kenne ich‹.« Cassys Lächeln war enttarnend und hatte etwas Teuflisches. Haruki machte nur mehrere, nichtssagende Schulterbewegungen und verzog als Antwort das Gesicht in verschiedene Richtungen, während er am Zahlenschloss des Koffers herumhantierte. »War das so offensichtlich?« »Dafür muss man kein Japanisch können.« Obwohl für sie die Geschichte glasklar zu sein schien, waren Eli und Hasret völlig überrascht von dieser Enthüllung. Vielleicht mussten sie noch ein wenig an ihrer Auffassungsgabe schrauben. Letztendlich knackte Haru den Code und mit einem Klicken öffnete sich der Deckel des Aktenkoffers. Alle vier hielten die Luft an und beugten sich über die Offenbarung, um ja nichts von der neuen Waffe zu verpassen. Haruki entfernte noch rasch und mit wissendem Blick den falschen Boden, unter dem auch schon Venus und Mercury versteckt gewesen waren, bevor das Geheimnis gelüftet werden konnte. Es waren nicht nur eine, sondern sieben. Kurze, gerade Messer, behutsam nebeneinander platziert, mit heller, fast weißer Klinge, und die festen, handlichen Griffe waren, wie auch Cassys Venus, mit größter Vorsicht und Ordentlichkeit bemalt worden. Ein Morgenhimmel mit kleinen, schwarzen Vögeln und bauschigen Wolken war auf jedem einzelnen Dolch zu erkennen, auf allen sieben Griffen anders und jedes Mal voller Sorgfalt. Jemand hatte sich wirklich Mühe damit gegeben. Harus Augen strahlten förmlich, er hatte nicht die leiseste Ahnung, wie die Messer im Kampf zu gebrauchen waren, wenn der Opponent eine Pistole besaß, aber ihre Schönheit raubte ihm buchstäblich den Atem. »Uranus«, las Eli mit leiser, enttäuschter Stimme von den Klingen vor. »Schade, falsch getippt …« »Die sehen echt toll aus«, bestätigte Hasret atemlos und konnte ebenso wenig wie Haru ihre Augen von den künstlerischen Messern nehmen. »Ich frage mich, wer sich so viel Mühe mit dem Design gegeben hat. Vielleicht ist Jackbell ja heimlich ein Künstler.« Sie musste bei dem Gedanken kichern, dass ein gesichtsloser, alter Mann in seiner Küche saß und summend bei einer Tasse Tee Keramikgeschirr bemalte. »Nicht ganz was ich mir vorgestellt hatte.« Haruki warf noch einen letzten Blick auf Uranus, dann schloss er den Koffer wieder und nahm den Griff lässig in die Hand, als würde er ganz gewöhnlich ein paar Akten und Papiere mit sich herumtragen. »Andererseits kann ich auch nicht sagen, was ich mir tatsächlich dabei erhofft habe. Vielleicht eine Bombe oder ein Scharfschützengewehr.« Er schmunzelte und trat den Weg nach unten an. »Also hätten wir das auch geschafft.« »Was mich noch interessiert«, begann Cassy, als sie wieder draußen auf der Straße standen und erleichtert bemerkten, dass der Regen aufgehört hatte. Die Luft begann allerdings nach Gewitter zu riechen. »Auf welche Frage war ›Henrietta‹ die Antwort? Muss ja irgendetwas mit Jackbells Leben zu tun gehabt haben.« »Ich vermute eher Schreibers Leben.« Haru sah sie nicht an und sein Blick galt eher der wertvollen Fracht in seiner Hand. »Die Frage lautete ›Wie war der Zweitname meiner Mutter, so wie mein Vater sie gerne nannte?‹« Die Gruppe beschloss Jackbells Empfehlung zu folgen und den Tag früh ausklingen zu lassen. In der Zwischenzeit zeigte Haruki seinen amerikanischen Freunden ein paar seiner Lieblingsplätze in der Stadt, seine alte Schule, seine Lieblingsgeschäfte, die Parks und ein paar weitere Sehenswürdigkeiten, bis es irgendwann wieder stärker zu regnen begann und sie gezwungen waren, ins Hotel zurückzukehren. Dort wurde am Abend noch einmal fürstlich gespeist – Haru genoss die letzte, gute Portion Sushi für die kommenden Monate – und die Koffer größtenteils gepackt, damit es in der Nacht leichter fiel, für den Flug aufzustehen. Der Auftraggeber wurde ebenfalls benachrichtigt, dass Uranus ohne Komplikationen gefunden worden waren und Jackbell erklärte sich bereit, um zwei Uhr anzurufen, um die Finals zur passenden Zeit zu wecken. Diese Nacht tauschten sie auch ihre Zimmergenossen aus, sodass Hasret in 140 bei Cassy einzog und Eli in der 139 bei Haruki. Die beiden Jungs philosophierten noch eine Weile über das Leben, die Welt und Harukis Exfreundin, von der er allerdings nun wirklich keine besonderen Geschichten erzählen wollte, und so begaben sie sich relativ schnell in Schlafposition, auch wenn es noch ziemlich früh war. Eli konnte lange Zeit nicht einschlafen, weil ihm so viel durch den Kopf ging, das bisher Erlebte, die Waffen, Jackbell, Bernhard und Lindy und all die Leute, die sie auf ihrer Reise noch treffen würden. Was mochte der Russe oder die Russin für ein Mensch sein? Es war jedes Mal so aufregend, wenn ein neuer Final hinzukam und erst einmal überzeugt werden musste sie zu begleiten. Wie konnte sich Jackbell so sicher sein, dass es immer wieder klappen würde, auch wenn es sich kompliziert gestaltete? Hatte er all das auch mit eingeplant, und wenn ja, wie bloß? Letztendlich war von Haruki nur noch ein Schnarchen zu hören, und auch Eli brach irgendwann mitten in seinem Gedankennetz ab und versank stattdessen in einem Traum voller Sushi und Maisfelder. In Cassys und Hasrets Zimmer hingegen herrschte noch eine Weile reger Betrieb und Gelächter lag in der Luft. Die beiden Finals verstanden sich bereits so gut, es wirkte fast wie ein Mädelsabend am Wochenende nach einer langen Schulwoche, wo man sich über alles mögliche lustig machen und tratschen konnte. »Ich war echt überrascht, dass Eli nicht mal ein kleines bisschen gekichert hat, als er den Name von Harus Waffe gesehen hat. Immerhin ist er ein Teenager.« Cassy grinste schelmisch und beobachtete in Hasrets Gesicht, wie sie langsam den Witz hinter der Sache verstand. Prompt begann sie selbst zu lachen. Dass sie selbst nur knapp zwei Jahre älter war, schien sie bewusst zu ignorieren, aber gut, immerhin war der Rotschopf keine eins fünfundsechzig groß, da konnte man sein tatsächliches Alter auch schon mal vergessen. »Daran hab ich erst gar nicht gedacht! Aber jetzt, wo du es erwähnst.« »Nein, das ist nicht witzig, nur kleine Jungs lachen über so etwas!« Mit gespielter Empörung rüttelte die Kanadierin an der Schulter ihrer Zimmergenossin, die aber nur noch weiterkichern musste. Ihr Lachen war so ansteckend und füllte einen mit zischend aufsprudelnder Wohligkeit, dass Cassy nicht anders konnte, als irgendwann mitzumachen. Ihre Mundwinkel hoben sich gegen ihren Willen. Sie war so gerne mit Hasret zusammen und es hatte sich wirklich gelohnt, dass sie so viel aufgebracht hatten um sie letztendlich zu überzeugen. Sie konnte sich kaum erklären, wie die Texanerin es fertig brachte, einem immer wieder mit ihrer bloßen Anwesendheit neuen Mut zu geben. »Man, das muss ganz schön unangenehm für Haru gewesen sein, als er Kaori heute wieder getroffen hat«, murmelte Hasret, als sie sich wieder beruhigt hatte und betrachtete ihre Hände auf der Decke, unter welcher der Rest von ihr verschwunden war. Sie waren lange nicht mehr so sauber gewesen und sie vermisste den Staub ein wenig. »Und dann musste er auch noch ihrem neuen Freund erklären, dass er sie allein sprechen muss. Bei jemandem der so gut aussieht wie er kann man da schon misstrauisch werden.« Cassys Gesicht entgleiste und sie musste schlucken. Die Unterhaltung hatte plötzlich eine rasante Wendung in die Richtung genommen, die sie normalerweise vermied, und das waren Gespräche über Jungs. Wer sah gut aus, wer war angesagt, wer hatte eine Freundin. Und dass Hasret Spaß an so etwas hatte, damit hätte sie nicht gerechnet. »Ja … schon.« »Aber er scheint mir nicht die Art von Mann zu sein, der anderen die Freundin ausspannt, auf jeden Fall nicht, wenn man ihn kennenlernt.« »Haru geht sehr respektvoll mit Frauen um!«, schoss es aus Cassy heraus, als wollte sie ihn vor bösen Worten verteidigen, die niemand ihm angehängt hatte. Hasret musste unwillkürlich schmunzeln. »Mich mit ihm durch die Kanalisation zu kämpfen war das Beste, was mir hätte passieren können. Äh, also, dass ich dabei ihn als Partner erwischt hab und niemand anderen. Und auch als wir später im Motel gelandet sind, hatte ich überhaupt keine Bedenken. Jemanden wie ihn findet man kein zweites Mal.« Das Grinsen auf Hasrets Gesicht wurde exponentiell breiter. »Bist du vielleicht verknallt oder so etwas?« Cassy schaffte es tatsächlich, nicht ein bisschen rot zu werden. Sie schüttelte nur nichtssagend den Kopf und wandte den Blick angestrengt nach vorn auf ihre Füße am anderen Ende des Bettes. Vielleicht war sie das ja tatsächlich. Aber nicht so, wie Hasret vielleicht glaubte. »Eli ist genauso süß«, wechselte ihre Zimmergenossin das Thema, als sie bemerkte, dass Cassy die Sache nicht so behagte. »Er versucht immer zu helfen und dafür, dass er so kopflos ist, hat er die Sache wirklich gut im Griff. Kein Gequengel und kein Babysitting, das hätte ich echt nicht erwartet!« Cassy hatte ebenfalls wieder ein Lächeln auf den Lippen, war aber noch nicht vollkommen von ihren Gedanken befreit. »Eli ist ganz schön tapfer für seine Verhältnisse. Er musste seinen Vater ganz alleine zurücklassen, ich glaube nicht, dass viele das geschafft hätten. Aber du kennst das ja selbst.« Mit einem Mal fühlte sie sich unglaublich verantwortlich für all die schweren Entscheidungen, die ihre Freunde bereits hatten treffen müssen. »Ich hab in meinem Leben schon so viele furchtbare Männer kennengelernt, die man alle in die Tonne treten konnte, aber die beiden sind wirklich anders. Ich glaube, wenn man Haru oder einen älteren Eli als Freund hätte, müsste man sich um nichts mehr Sorgen machen.« In Hasrets Brust machte ihr Herz einen Sprung und ihre sommersprossigen Wangen wurden noch dunkler. »Das glaube ich auch …« »Bei dir ist es dasselbe.« Der Satz war draußen. Cassy versuchte, so wenig wie möglich auf den überraschten Blick ihrer Zimmergenossin zu reagieren und keine Miene zu verziehen. »Ich spreche wahrscheinlich für alle, wenn ich gestehe, dass man mit dir als Freundin um nichts mehr Angst haben müsste. Du bist eine richtige Beschützerin und würdest einen verdammten Drachen töten, wenn er die Leute bedroht, die du liebst … davon gehe ich aus. Bei jemandem wie dir fühlt man sich einfach sicher.« Mit jedem Wort versank Cassy ein wenig mehr unter ihrer Decke und knipste am Ende des Satzes demonstrativ das Licht aus. So musste sie nicht mehr mit ansehen, wie Hasrets erstauntes Gesicht noch dunkler wurde. »D-danke … das hab ich gar nicht so eingeschätzt«, murmelte die Texanerin in die Dunkelheit hinein. »Das ist wirklich süß von dir …« »Schlaf gut, Has …« Cassandra hatte sich mit einem Ruck auf die Seite gedreht und die Decke bis zu den Ohren hochgezogen. Sie wollte nicht weiter nachdenken und bald würden sie wieder aufstehen und aufbrechen müssen. Alles was gesagt werden musste, war gesagt worden, und sie hatte eine große Last von ihrem Herzen geschubst. »Du auch, Cassy«, hörte sie nur noch gedämpft, aber sanft von der anderen Seite des Bettes und erst in diesem Augenblick fiel ihr auf, dass sie schon wieder einen Spitznamen vergeben hatte, ohne vorher gefragt zu haben. Es schien Hasret aber nicht zu stören, sonst hätte sie es erwähnt, oder? Mit einem wohligen Gefühl im Magen schloss auch diese die Augen und umklammerte ihr Kissen mit beiden Armen. Sie konnte nicht sagen warum, aber sie war so aufgeregt, das Land wieder zu verlassen und ein anderes zu besuchen, mit den anderen Finals, mit ihren Freunden. Den Menschen, die sie in so kurzer Zeit so lieb gewonnen hatte. Der Regen aus der Luft befand sich noch immer in den Lungen der Mädchen und ließ rasch sie innerhalb weniger Minuten einschlafen.
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pleasloveme · 7 years
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Hol mich raus aus diesem Loch
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