Tumgik
#[...]“ krächzte er
nachtkrabb · 5 months
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Obwohl die letzten Töne des Wiegenlieds schon seit wenigen Minuten verstummt waren, konnte sich Chrischa von dem Anblick seines Bruders nicht lösen. Jakob war schon längst ins Traumland entschwunden und sein schwerer, langsamer Atem, war das einzige Geräusch, das im Zimmer zu hören war.
Chrischa stand langsam vom Bettende auf und deckte Jakob zu, damit er nicht fror. Durch ihre kleine Tradition, schlief er nun bei jeder Temperatur bei offenem Fenster und heute zog die Luft besonders kühl ins Zimmer. Die nächste Böe kroch ihm in den Nacken. Ein ungemütlicher Bote, der Chrischa signalisierte, dass es Zeit wurde, zu verschwinden. Bevor ihn jemand sah. Er beugte sich noch einmal zu Jakob hinunter und legte die Lippen an dessen Schläfen. Doch dieser seltene Augenblick von Nähe wurde jäh unterbrochen.
Im Flur schaltete jemand das Licht an – der schwache Schein kroch unter dem Türspalt hindurch. Dann hörte Chrischa Schritte.
Mit schnellen Schritten bewegte er sich zum Fensterbrett, kletterte darauf und setzte die schwarze Vogelmaske auf. Schon im nächsten Moment stürzte er sich in die Tiefe, um dann als Rabe wieder in die Luft empor zu steigen. Weg vom Haus, hin zum Wald, der an das Grundstück angrenzte. Der Rabe rauschte an den ersten Bäumen vorbei, bevor er sich hinter einer Kiefer niederließ, um wieder seine menschliche Gestalt anzunehmen.
Wenn Chrischa hinter dem Baum hervorspähte, konnte er noch das Haus in der Ferne erahnen. Ein paar der Fenster waren erleuchtet. Nun auch das, hinter dem Jakob schlief. Bestimmt erzählte er nun seinen Eltern, dass Romed wieder da gewesen war. Der Nachtkrabb. Nicht sein totgeglaubter Bruder. Er war damals zu klein gewesen, um sich an ihn erinnern zu können.
Chrischa riss die Vogelmaske von seinem Gesicht und rutschte mit dem Rücken am Baum hinab. Die aufkeimenden Gefühle schnürten ihm die Kehle zu, dabei konnte er sie kaum benennen. Wut. Trauer. Verzweiflung. Heimweh. Wahrscheinlich war es alles und nichts davon. Dieses Gefühl konnte man niemandem beschreiben, der es nicht kannte. Sein Blick fiel auf die Maske am Boden, deren leere Augenhöhlen ihn anzustarren schienen. Ein Rabe landete darauf. An seinem Kopf und den Flügeln stachen pure Knochen zwischen dem Gefieder hervor. Kaja. Sie krächzte und krallte sich in die Maske, um sie wieder näher an Chrischa zu rücken.
„Ach, halt doch den Schnabel.“
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blog-aventin-de · 3 months
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Was ist das Leben
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Was ist das Leben · Waldmärchen Schweden · Ewigkeit & Freude 
An einem schönen Sommertag war um die Mittagszeit eine große Stille im Wald eingetreten. Die Vögel steckten ihre Köpfe unter die Flügel und alles ruhte. Da steckte der Buchfink sein Köpfchen hervor und fragte: »Was ist das Leben?« Alle waren betroffen über diese schwierige Frage. Eine Rose entfaltete gerade ihre Knospe und schob behutsam ein Blatt ums andere heraus. Sie sprach: »Das Leben ist eine Entwicklung.« Weniger tief veranlagt war der Schmetterling. Dieser flog lustig von einer Blume zur anderen, naschte da und dort und sagte: »Das Leben ist lauter Freude und Sonnenschein.« Drunten am Boden schleppte sich ein Ameise mit einem Strohhalm herum, zehnmal länger als sie selbst, und sagte: »Das Leben ist nichts als Mühe und Arbeit.« Geschäftig kam ein Biene mit ihrer Tracht von einer Blume zurück und meinte dazu: »Das Leben ist ein Wechsel von Arbeit und Vergnügen.« Wo so weise Reden geführt wurden, steckte auch der Maulwurf seinen Kopf aus der Erde und sagte: »Das Leben ist ein Kampf im Dunkeln.« Die Elster, die selbst nichts weiß und nur vom Spott der anderen lebt, sagte: »Was ihr für weise Reden führt! Man sollte meinen, was ihr für gescheite Leute wohl seid!« Es hätte nun fast einen großen Streit gegeben, wenn nicht ein feiner Regen eingesetzt hätte, der sagte: »Das Leben besteht aus Tränen, nichts als Tränen.« Dann zog er weiter zum Meer. Dort brandeten gerade die Wogen und warfen sich mit aller Gewalt gegen die Felsen, kletterten daran in die Höhe und warfen sich mit gebrochener Kraft wieder ins Meer zurück und stöhnten dabei: »Das Leben ist ein stetes und vergebliches Ringen nach Freiheit.« Hoch über ihnen zog majestätisch ein Adler seine Kreise, der frohlockte: »Das Leben ist ein Streben nach oben!« Nicht weit davon stand eine Weide, die hatte der Sturm schon zur Seite geneigt. Sie sprach: »Das Leben ist ein Sich-Neigen unter eine höhere Macht.« Dann kam die Nacht. In lautlosem Flug glitt ein Uhu durch das Geäst des Waldes und krächzte: »Das Leben heißt, die Gelegenheit nutzen, wenn die anderen schlafen.« Schließlich wurde es wieder ganz still im Wald. Spät nach Mitternacht ging ein Mann durch die menschenleeren Straßen einer Stadt nach Hause. Der kam von einer Lustbarkeit und sagte so vor sich hin: »Das Leben ist ein ständiges Suchen nach Glück und eine Kette von Enttäuschungen.« Da flammte die Morgenröte auf in ihrer vollen Pracht und sprach: »Wie ich, die Morgenröte, der Beginn des kommenden Tages bin, so ist das Leben der Anbruch der Ewigkeit.« Was ist das Leben · Waldmärchen Schweden · Ewigkeit & Freude  Read the full article
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radio-partywelle · 6 months
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Genau heute vor 100 Jahren ging der erste Radio-Sender Deutschlands auf Sendung! Am 29. Oktober 1923 krächzte abends der Satz  "Achtung! Achtung! Hier ist die Sendestelle Berlin im Vox-Haus auf Welle 400!" über die noch wenigen Empfangsgeräte aus den Lautsprechern, nachdem vormittags probeweise ein Konzert ins Berliner Abgeordnetenhaus übertragen wurde. Damals noch wenig beachtet, entdeckte man dann doch ziemlich schnell die vielfältigen Möglichkeiten des "Rundfunks", wie damals der Staatssekretär Hans Bredow das Medium benannte. Dieser Begriff hat sich bis heute manifestiert. [caption id="attachment_2439" align="aligncenter" width="770"] Hans Bredow – Staatsekretär und Befürworter sowie maßgeblicher Förderer des Rundfunks[/caption] Es gab schon zuvor (vor allem im 1. Weltkrieg) einige Versuche, Sprache und Musik per Funk zu übermitteln, um die Soldaten zu erheitern, unterhalten und informieren. Einen regulären Rundfunkbetrieb mit fest zugeteilten Frequenzen gab es allerdings noch nicht. Die Frequenz wurde erst am 29. Oktober 1923 endgültig festgesetzt, um dort dauerhaft für die Allgemeinheit, Informationen, Nachrichten und ein seriöses Unterhaltungsprogramm zu verbreiten. Ansager Friedrich Georg Knöpfe fuhr fort: "Meine Damen und Herren, wir machen Ihnen davon Mitteilung, dass am heutigen Tage der Unterhaltungsrundfunkdienst mit Verbreitung von Musikvorführungen auf drahtlos-telefonischem Wege beginnt. Die Benutzung ist genehmigungspflichtig." So wurde die Technik damals beschrieben: als drahtlose Telefonie. Doch die Zahl der Hörer war überschaubar - der Startschuss für das neue Medium fand öffentlich so wenig Beachtung wie später die Geburtsstunde des Internets. Die Menschen hatten andere Sorgen. "Es war die krisenhafte Zeit der Hyperinflation", sagt der Medienhistoriker Hans-Ulrich Wagner vom Leibniz-Institut für Medienforschung. Das zeigte sich auch an der Gebühr, die man bei der Post für eine Lizenz zum Radiohören zahlen musste: Dieser frühe "Rundfunkbeitrag" kostete schlappe 350 Milliarden Mark. Gesprochenes Wort war im Radio anfangs immer live - auch Hörspiele. Sendungen wurden in den ersten Jahren nicht mitgeschnitten oder gar archiviert. Mit der Zeit entdeckten die Radiomacher aber, welche Möglichkeiten das neue Medium bietet. 1929 berichtet Alfred Braun von der Beerdigung von Außenminister Stresemann - die älteste erhaltene Live-Reportage. 1932: das erste Telefon-Interview im Radio. Auch der Sport wird zum Katalysator für Innovationen: Die erste Transatlantik-Live-Reportage war der Boxkampf von Max Schmeling gegen Joe Louis. Kaum hatte Hitler per Ermächtigungsgesetz Deutschland in eine Diktatur verwandelt (und Hans Bredow ins Gefängnis gesteckt), erklärte Propagandaminister Joseph Goebbels den Intendanten klar: "Der Rundfunk gehört uns!" Goebbels macht dabei auch deutlich, dass er im Rundfunk keineswegs durchsichtige politische Propaganda erwartet, sondern die Massen viel subtiler beeinflussen will. "Erstes Gesetz: Nur nicht langweilig werden!" Mit Unterhaltung, so Goebbels‘ Devise, lässt sich die Masse besser vereinnahmen als durch Parolen. Und mit dem von den Nazis eingeführten Volksempfänger wurde das Radio im Deutschen Reich zum Massenmedium. Nach dem Krieg standen die Sender unter Aufsicht der Besatzungsmächte. Die Nachrichten wurden zensiert. Doch am 1. Januar 1948 werden die ersten Sender in Anstalten des öffentlichen Rechts überführt. Und wieder ist es Hans Bredow, der daran maßgeblich mitgewirkt - auch an der föderalen Struktur. Kurz vor der Übergabe im Dezember 1947 erklärt Bredow den Deutschen, was das sein soll, "öffentlich-rechtlicher Rundfunk". [caption id="attachment_2444" align="aligncenter" width="770"] Blick ins Studio des BR in den 50ern[/caption] "Er legte auf die Staatsferne sehr großen Wert", erklärt Medienwissenschaftler Wagner im Podcast SWR2 Wissen. 1947 wurde in "Radio Stuttgart" öffentlich noch darüber diskutiert, ob der Rundfunk staatlich oder unabhängig sein solle, ob er unter die Aufsicht des Landtags gestellt werden solle.
Bredow hielt von solchen Ideen wenig. "Er war einer derjenigen, der sagte: Seid vorsichtig, das ist gefährlich!", so Wagner. Die Entwicklung des Radios ist damit nicht zu Ende: UKW, Kulturprogramme, Stereophonie, Autoradio, Verkehrsservice, Popwellen. 2004 waren die ersten Podcasts zu hören. Anfangs waren sie "Sendungen zum Nachhören", inzwischen boomt der Markt, und viele nutzen Podcasts und Streamingdienste als Alternative zum linearen Radioprogramm. Es hat aber nichts daran geändert: Noch immer erreicht der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland übers Radio mit Abstand die meisten Menschen - genau wie in den Anfängen. [caption id="attachment_2445" align="aligncenter" width="770"] Blick ins derzeit modernste Radio-Studio Europas von RTL-Radio[/caption] Am Sonntag Abend überträgt ARD alpha um 20:15 eine Reportage zum Thema "100 Jahre Radio" (Text-Quelle Auszüge: ARD - https://www.tagesschau.de/wissen/technologie/100-jahre-radio-100.html)
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borispfeiffer · 2 years
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Die Vögel waren in Aufruhr
Die Vögel waren in Aufruhr
von Boris Pfeiffer Bei strahlender Sonne schoss ein Gruppe Krähen in halber Höhe an den Fenstern der Häuser vorbei und zwischen den spärlichen Baumkronen hindurch. Schnurstracks auf den Platz vor der Kirche. Um zu sehen  ob es stimmte: “Er ist in der Stadt, in der Stadt”, krächzte es. Wen sie wohl meinten? Der Verlag Akademie der Abenteuer wurde Ende 2020 gegründet, um in diesem Kinderbücher…
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alexisloghman · 2 years
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Look at me
Aber Jazzy, ich weiß nicht mehr was ich tun soll!", stieß Faye verweifelt aus. Sie ging unruhig in dem Zimmer ihrer besten Freundin auf und ab, rannte ihre rechte Hand durch ihre langen, braunen Haare. Jazzy, Fayes beste Freundin, hingegen saß ganz ruhig auf ihrem Bett und beobachtete die Brünette in ihrem Auf-und-ab-gehen. Sie verstand Fayes Aufregung und Sorge zwar, doch sie fand sie unnötig und das wusste das andere Mädchen auch, doch sie konnte nicht anders, als sich Sorgen zu machen, egal wie oft Jazzy ihr sagte, das das unnötig sei. "Jazzy du musst mir helfen", wimmerte Faye verzweifelt und sah schließlich ihre Freundin an. Jazzy schüttelte den Kopf und lachte etwas, doch nicht, weil sie Faye nicht helfen wollte, sondern, weil sie ihr nur wieder das Gleiche erzählen würde und Faye würde sich einen Tag dran halten und morgen nach der Schule würde sie dann wieder hier in ihrem Zimmer auf und ab laufen und sich wieder die gleichen Gedanken und Sorgen um das selbe gelöste Problem machen. Doch sie wusste, wie sehr sie grade gebraucht wurde, deshalb beschloss sie, auch heute Rat und Tat zu stehen. "Komm her", sagte sie sanft, als sie ihre Freundin erreicht hatte und breitete ihre Arme aus. Sofort ging Faye näher auf das ältere Mädchen zu und warf sich ihr in die Arme. Tränen quollen aus ihren Augen. Ihr Herz schlug schwach vor Trauer und schnell vor Angst. Sie zitterte am ganzen Körper. Und das alles nur schon beim Gedanken daran, über ihr Geheimnis zu reden. "Ich kann das nicht, J. Ich kann einfach nicht", krächzte sie unter Tränen hervor. Jazzy umarmte sie fester und rieb ihr sanft über den Rücken. Sie wusste, ihre Worte, so wahr sie sein würden, würden Faye nun nicht mehr helfen können. Sie halfen die letzten 4 Jahre, doch die Zeit des Wartens war nun vorbei. Faye konnte nicht länger warten. Es fraß sie innerlich auf, sich zu verstellen, ihre Familie anzulügen, sich in der Schule zu verstellen, sich vor Pauli zu verstellen, Pauli zu belügen. Das wusste Jazzy. Sie konnte es Faye ansehen, sie merkte es ja darin, wie ihre Freundin sich grade in ihren Armen die Augen ausweinte. Und das alles wegen einem anderen Mädchen. "Faye!", schrie Pauli und fiel ihrer besten Freundin um den Hals, als sie sie am nächsten Morgen vor der großen Schule stehen sah. Dort, wo sie immer stand und auf sie wartete. Jeden Morgen. Seit sie sich in der 5. Klasse angefreundet hatten. Fayes Herz schlug schneller, als sie Pauli so nahe an sich gedrückt spürte. Sie nahm ihre Hände aus den Taschen ihrer Lederjacke und schlang ihre beiden Arme um die Blondine, drückte sie fester an sich. Am Liebsten wollte sie sie nie wieder gehen lassen, doch sie wusste, dass das nicht ging, also löste sie sich nach wenigen Sekunden wieder und schob das Mädchen sanft ein kleines Stückchen von sich, den Schmerz ignorierend, der sich in ihrem Herzen ausbreitete. "Wie war dein Wochenende?", fragte Pauli aufgeregt, als sie mit ihrer besten Freundin durch das große eiserne Schultor, auf den unteren Schulhof ging. Er war umgeben von großen Mauern und durch mehrere Birken in kleinere Teile geteilt, was die Cliquenbildung der einzelnen Stufen natürlich noch bestärkte. "Gut, deins?", log Faye, hoffend, dass Pauli es nicht gemerkt hatte. Doch auch wenn diese und andere Hoffnungen schon so oft enttäuscht worden waren, erfüllte sie sich diesmal. Pauli fragte nicht weiter nach, sondern erzählte stattdessen von ihrem Wochendende, welches natürlich mal wieder aus Jungs und Feiern bestand: "Super, ich hab mich mit Till getroffen. Naja, also eigentlich bin ich in ihn gelaufen. Naja eigentlich ja er in mich... nein, warte... doch... ne, ich glaub Sophy hatte ihn mit zur Feier gebracht, oder? Also naja auf jeden Fall waren wir auf der Party, also Sophy und ich und Till war auch da und wir haben getanzt – also Till und ich – und dann hat er mich geküsst! Kannst du das glauben, Faye?" Faye zwang sich mit aller Kraft ein akzeptables Lächeln aufzusetzen, um der Frage, warum sie sich nicht für Pauli freue, zu entgehen. Erfolgreicherweise. Pauli erzählte weiter von ihrem Wochenende und dem Date mit Till, das auf den Tag der Feier folgte, während Faye versuchte, den Inhalt ihrer Worte auszublenden und sich nur auf den Klang ihrer Stimme zu konzentrieren. Bei dem Gedanken daran, dass jemand anderes Pauli küsste. Dass jemand anderes sie seine feste Freundin nennen durfte und nicht Faye. Der Gedanke, dass sie wohl nie haben könnte, wonach sie sich seit 5 Jahren schon sehnte, stach Messer in ihr Herz. Tausende kleiner Messer, scharf wie die Zähne eines Haifisches, tödlich wie eine Natter. Inzwischen kannte Faye schon das Gefühl dieser endlosen Leere. Sie hatte sich darangewöhnt. Das Gefühl sterbender Schmetterlinge war ihr nur zu vertraut. Die Hoffnungslosigkeit und Ausweglosigkeit, Angst und Sorge ihre ständigen Begleiter. "Faye?" Sofort hob Faye wieder ihren Kopf und sah ihrer anderen besten Freundin in die Augen. Sie war zu vertieft in ihre Gedanken gewesen, hatte zu sehr auf ihre Stimme gelauscht, um zu hören, was Pauli tatsächlich am erzählen war. Doch ihr in die Augen zu sehen war ebenfalls ein Fehler. Sie hielten sie gefangen, umarmten sie sanft, wie es Pauli tat – bei ihren festen Freunden. Sie waren ein perfektes warmes blau, durchsetzt von wenigen, kleinen weißen Tropfen. Blond, blauäugig, schlank, 1,70.Das war Pauli. Einfach traumhaft – leider. Jeder mochte sie. Jeder Junge wollte sie. Und Pauli liebte es zu spielen. "Faye?", hörte Faye erneut und errötete, als sie erkannte, dass sie Pauli schon zum zweiten Mal nicht zugehört hatte. "Was ist los mit dir?", fragte Pauli erneut und ging einen Schritt auf Faye zu, da sie das Gefühl hatte, zu weit von ihrer besten Freundin entfernt zu sein. "Nichts", versuchte Faye ihr weiß zu machen, doch dieses Mal klappte es nicht." Faye, ich kenne dich seit der 5. Wir haben die letzten 6 Jahrelang fast jede freie Minute mit einander verbracht. Du kannst mir nichts vormachen", konnterte Pauli. In Faye stieg eine endlose Panik hoch. Sie konnte Pauli nichts vormachen? Wusste sie etwa Bescheid? Erzählte sie ihr etwa deshalb immer von den Jungs? Um klar zu machen, dass sie hetero war und Faye keine Chance hatte? "Du bist verliebt", fügte Pauli zu Fayes Entsetzen noch an. Nein nein nein. Das durfte nicht sein. Bitte, oh Himmel, bitte nicht. Faye wurde rot. Am liebsten hätte sie sich dafür geschlagen. Das war doch mehr als eineindeutiges Eingeständnis. Und jetzt müsste sie Pauli alles erzählen und dann würde sie sie verlieren und ihr Leben wäre vorbei und sie- Ihre Gedanken wurden wieder von Pauli unterbrochen: "Faye. Ich denke wir müssen reden." Entsetzt starrte Faye Pauli an, ihre Augen wurden groß, ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Doch sie konnte nicht Nein sagen. Sie hatte keine Ausrede, der Unterricht began erst in 10 Minuten und es war... nun es war Pauli. Wie könnte sie zu Pauli je nein sagen? Also nickte sie verängstigt und Pauli zog sie mit sich durch den schmalen, grauen Gang in einen noch leeren weißen Klassenraum. Er war ausgestattet mit einer großen grünen Tafel an der vorderen Wand und vielen Tischen und Stühlen im Raum, angeordnet in Reihen. Pauli setzte sich auf einender Stühle und wies Faye mit einer Handbewegung an, den Stuhl ihr gegenüber zu nehmen. Langsam ging Faye auf den Platz zu. Ihre Knie fingen an zu zittern, gaben fast nach. In ihren Augen stiegen bereits Tränen auf, als sie in ihrem Kopf die ganzen Szenarien durchging, wie es enden könnte. Sie könnte Pauli anlügen, erzählen, dass es einen Jungen gäbe, den sie möge, doch dann würde der Schmerz nie aufhören. Die Qualen würden nie enden. Sie könnte Pauli ihre Gefühle gestehen und sie verlieren. Oder gewinnen. Doch letzteres war zu unwahrscheinlich. Pauli traf sich nur mit Jungs, sie war mehr als hetero, da war keine Chance für Faye. Nichts desto trotz beschloss sie nach mehreren langen tiefen Atemzügen Paulis bereits vor Minuten gestellte Frage "Wer ist es?" wahrhaftsgemäß zu beantworten. Sie starrte auf den Boden. Ihr Herz hämmerte wild gegen ihr Brustbein. Ihre Gedanken rasten. Sie hatte Angst, endlose Angst. Doch sie musste sich zusammenreißen. Sie musste es ihr sagen. Langsam hob sie ihre Augen und begegnete dem warmen Meer aus blauen Federn in Paulis. Nach einem letzten tiefen Atemzug sprach sie endlich aus, was sie seit 5 Jahren für sich behalten hatte: "Ich habe mich in dich verliebt, Pauli." Faye war wieder in Jazzys Zimmer. Diesmal saß sie auf ihrem Bett. Diesmal lief Jazzy auf und ab, verstand die ganze Situation vorne und hinten nicht mehr. Doch Faye hatte sie nur zu gut verstanden, hatte die Abweisung nur zu gut wahrgenommen. Und nun war ihr Leben so sinnlos, wie es hätte sein können. Nachdem sie endlich die Wahrheit ausgesprochen hatte, fielen unglaubliche Lasten von ihren Schultern und für den Funken einer Sekunde sah sie ein winziges Lächeln an Paulis Lippen spielen und sie konnte ihr eigenes nicht zurückhalten, doch dann verschwand diese letzte freundliche Geste von Paulis Gesicht. Sie stand auf und verlies den Klassenraum in schnellem Schritt. Lies eine verletzte, zerbrochene Faye zurück. "Nein nein nein. Das kann doch nicht sein. Ich war mir so sicher... ich dachte... aber die Art, wie sie dich ansieht... das...", Jazzy rannte ihre Finger durch ihre Haare, zog an diesen, fluchte leise vor sich hin. Doch Faye merkte davon nicht viel. Sie starrte auf den Boden vor sich. Sie fühlte sich taub, als habe sie jede Emotion verloren. Jeden Sinn. Jede Hoffnung. Langsam schlich sich ein Gedanke in ihren Kopf. Ein Gedanke an Paulis wunderschönes Gesicht,an ihr Lachen, an das kleine Lächeln, dass sie zu sehen geglaubt hatte. Tränen stiegen ihr in die Augen und sie schüttelte stur den Kopf. Tote Schmetterlinge lagen in ihrem Bauch, ihr Herz schlug schwach und langsam. Alles war vorbei. Am nächsten Morgen in die Schule zu kommen, ohne dass Faye auf sie wartete, war eine Qual für Pauli. Sie ging zum Gebäude und als sie sah, dass Faye nicht da war, stiegen Tränen in ihre Augen und sie fing an sich innerlich zu beschimpfen, sich innerlich Vorwürfe zu machen. Zu Recht. Sie hatte falsch reagiert. Sie hätte nicht gehen dürfen. Natürlich dachte Faye nun Pauli sei angewidert und erwiedere ihre Gefühle nicht und das hatte Pauli selbst auch gedacht gehabt, doch als sie zuhause angekommen war, noch immer geschockt von dem Geständnis ihrer besten Freundin, denn sie hatte mit dem Namen eines Jungen gerechnet gehabt und erst Recht nicht mit diesem Geständnis, war ihr das erste Mal bewusst geworden, dass sie der Idee, mit Faye zusammen zu sein, gar nicht so abgeneigt war. Und nun, als sie das Fehlen von Faye bemerkte, erkannte sie, dass sie doch mehr als eine Freundin für sie war, auch wenn sie das schwer akzeptieren konnte. Und das musste sie ihr sagen, sie musste Faye wissen lassen, dass ihre Gefühle auf keinen Fall einseitig waren und dass Pauli gerne eine Beziehung versuchen würde, sobald sie vertrauter mit diesen neuen Gefühlen, mit der neuen Erkenntnis über sich selbst war. Sie musste zu Faye und es ihr sagen. Also ging sie in schnellem Schritt los, zum Klassenraum, in dem Faye in 15 Minuten Unterricht haben würde. Faye saß in ihrem Stuhl, malte mit einem Bleistift auf ihren Tisch und hoffte, dass er Tag einfach nur schnell vorbeiziehen würde, wie auch der Rest ihres Lebens. Doch vor allem hoffte sie, Pauli nicht zu begegnen, doch genau in dem Moment, in dem sie diesen Gedanken dachte hörte sie die Stimme, die sie bis in ihre Träume verfolgte und beschützte: "Faye,es tut mir Leid." Faye starrte weiter auf ihren Pult. Sie konnte es nicht wagen aufzusehen. Sie durfte nicht. Sie musste- "Bitte sieh mich an."Gegen Paulis Worte war sie machtlos und langsam hob sie ihren Kopf, sah ihre große Liebe voller Angst an. Paulis Herz zog sich zusammen, als sie den Schmerz in den Augen des Mädchens sah, alsotat sie das einzige von dem sie hoffte, es würde Faye noch retten: Sie ging in großen Schritten auf sie zu und küsste sie sanft.   Ende.
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Gestern fiel mir zum ersten Mal das Antiquariat am Ende der Strasse auf. Um ehrlich zu sein hatte ich das Gefühl, das ganze Gebäude zum ersten Mal wahrzunehmen aber schob die Sache mit dem Antiquariat darauf, dass es ziemlich verlassen aussah.
Ich wollte nur meinen Schuh binden, als die Tür aufging und mich ein Mann mittleren Alters fragte, ob ich etwas kaufen wolle. Sein Akzent irritierte mich, oder vielleicht auch, das sein Gesicht jünger aussah, als sich die Stimme anhörte. Weil ich mich auf eine unangenehme Art überrumpelt fühlte, sagte ich nein und betrat gleichzeitig den Laden. Da zum einen die Dielen unter meinen Füßen bei jedem Schritt ächzten, zum anderen der Besitzer mich ansah, als wäre ich der erste Kunde jemals gewesen, warf ich die Mission den Laden nach wenigen Minuten zu verlassen, direkt über Bord. Das Ausklügeln einer Exit-Strategie wurde durch ein Pfeifen im Nebenraum unterbrochen. "Teekessel" murmelte der Herr und verschwand hinter einer dunklen Holztür. Ich betrachtete alte Landkarten, Koffer, Kerzenständer, ein Akkorden, Porzelangeschirr, Puppen, kleine Schatullen, Weinkaraffen. "Zucker" tönte es aus dem Nebenraum und kurz dachte ich, der Mensch rede mit sich selbst. "Zucker" donnerte die Stimme erneut, er musste mit mir sprechen. "Gut?" krächzte ich unsicher und dann erschien ein ausgestreckter Arm hinter der schweren Holztür und hielt mir eine Tasse Tee entgegen. Obwohl ich überhaupt keinen Durst hatte, griff ich nach der kleinen, gold verzierten Tasse. "Sehen Sie sich ruhig alles in Ruhe an" brummte mein Gegenüber und ich bezweifelte, dass ich es hätte eilig haben sollen, wo ich eindeutig der einzige Kunde seit langer Zeit war. Tee trinkend betrachtete ich Portraits aus den Jahren 1914. Die Blicke der Portraitierten haben immer etwas tief schmerzliches. In meinem Kopf lachen Menschen auf Bildern irgendwie erst ab den 2000ern. "Stört es Sie"? fragte der Besitzer hinter meinem Rücken, aber als ich mich ihm zuwandte hatte er bereits den ersten Zug der Pfeife inhaliert. Ich sah ihm dabei zu, wie er sich durch den Laden bewegte und nach und nach alle Globen anschaltete. "Sie besitzen wirklich viele davon" gab ich beeindruckt von mir und mein Gegenüber schien in Stolz zu zerfliessen. "Bin eben ein Mann von Welt". Fast wäre mir "und von knappen Sätzen" ergänzend raus gerutscht. "Wo wollen Sie hin?" fragte er und hielt mir einen Globus vor die Nase. "Russland" sagte ich und er drehte den Kreisel, bis Russland vor mir lag. "Und nun?" Ich überlegte. "Die Mongolei". Zu jedem von mir genannten Ort sagte er einen Reim auf. "Die Mongolei riss mir das Herz in zwei." Als ich meine Teetasse leer getrunken hatte und mich zum gehen wenden wollte, sagte er mit hervor geschobener Unterlippe und der Tonlage eines bockigen Kindes "ein letztes Mal noch". Ich stand schon an der Tür, als ich sagte "Wien". Er drehte den Kreisel und wir sahen beide auf die Stelle, auf die er den Finger legte. Ich wartete auf den Reim, aber er blieb aus. Stattdessen sagte er interessiert "warum Wien?" und ich erzählte ihm von dem Jungen im 15. Bezirk, der eine Pfeffermühle klaute und sich von nun an sorgt, es könne jemand durch seine Strasse ziehen und ihm auflauern, weil er die Pfeffermühle zurück haben wolle. Als ich schon mit einem Fuss aus der Tür war, harkte er erneut nach. "Und warum sind sie nicht bei dem Jungen, jetzt?" Ich musste verlegen lachen und schaute ihn dann unbeholfen an. "Vielleicht weil ich keine Pfeffermühle besitze" sagte ich und er schenkte mir zum Abschied das ehrlichste Lachen, das ich seit langem gesehen hatte.
Als ich heute auf dem Weg zur Bahn an seinem Laden vorbei kam, war das Schaufenster hell erleuchtet mit allen Globen die reingepasst hatten und ganz vorne in der ersten Reihe stand ein Gegenstand, von dem ich mich erst fragte, was das sei und im selben Moment die Antwort schon spürte. Eine riesig große, bronzefarbene Pfeffermühle. Neben ihr stand mit korkeliger Handschrift auf ein Stück Papier geschrieben: Zu verschenken.
#Me
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ticiie · 2 years
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i translated @niemernuet ‘s latest prompt because 1) i am super stuck with my own wips and 2) because i love it so much and i believe it deserves a translation. all credits to the wonderful and extremly talented @niemernuet , i hope you like it and don’t hate me for doing this  ❤️ 🙈 
Mit einer raschen Bewegung zog Gino die Vorhänge zurück und der strahlende Sonnenschein flutete das Zimmer. Ein Zischlaut drang aus dem zerwühlten Bett hervor, wo unter der Decke ein formloser Haufen kauerte und sich in einen noch formloseren Haufen zusammenrollte.
«Es ist schon spät», erklärte Gino und öffnete das Fenster. «Steh auf!»
«An einem freien Tag ist es nie spät.», krächzte Marcos gedämpfte Stimme von einem Ende des Bettes hervor. Er schob die Bettdecke zurück bis das zerzauste blonde Haar zum Vorschein kam und er mit einem Auge hervorlinste und Gino mit einem vorwurfsvollen Blick anstarrte.
«Kalt!»
Gino zeigte noch immer kein Mitgefühl. Er war bereits angezogen und bereit für den Tag, ganz anders als sein Freund, der sich noch immer an die Decke klammerte, die Gino wegzuziehen versuchte.
«Komm schon!», sagte Gino mit angestrengter Stimme. «So wirst du den Jetlag nie los.»
«Nein!», jammerte Marco. «Noch eine Stunde, bitte! Wie spät ist es überhaupt?»
«Es ist halb zehn. Jetzt steh auf! Woah!» Mit einem überraschten Schrei stolperte Gino rückwärts, weil Marco plötzlich die Decke losgelassen hatte.
«Dann ist es für mich noch mitten in der Nacht!», rief Marco. Er rollte sich zu einer Kugel zusammen, um der Kälte weniger Angriffsfläche zu bieten. Gino legte die Decke weg und setzte sich an die Bettkante. «Für mich doch auch», erinnerte er Marco und küsste seine Schläfe. «Du weisst, dass du nicht hierbleiben solltest. Lass uns spazieren gehen, das weckt uns beide auf.»
«Du bist schon einen Tag länger hier, dir geht’s gut.», grummelte Marco. Gino verdrehte die Augen.
«Und ich war die ganze Nacht wach. Ich fühl’ mich, als wär’ ich gerade erst eingeschlafen.»
«Das musst du mir nicht sagen, ich dachte schon, ich liege neben einem Grillhähnchen.»
Marco grummelte noch ein wenig mehr, aber die frische Luft von draussen erfüllte ihren Zweck und weckte ihn mehr und mehr auf. Gino vergrub seine Nase in Marcos noch bettwarmem Haar.
«Wie wär’s mit Frühstück?»
«Ich kann um drei Uhr nachts nichts essen. Ausser es ist ein Döner. Und ich bin betrunken.»
«In der Bäckerei gibt’s Croissants und Kaffee.»
«Mhmm, Croissants…»
«Aber zuerst ein Spaziergang um den See.»
Marco drehte sich auf den Rücken und lächelte Gino an, die Arme um dessen Hals gelegt.
«Darf ich deine Schäfchenjacke anziehen?», fragte er und zog ihn näher an sich, um ihn zu küssen.
«Es ist keine Schäfchenjacke.», antwortete Gino. «Und du hast Mundgeruch.» Marco grinste.
«Du nicht.»
«Weil ich mir auch die Zähne geputzt hab, du Faultier.», belehrte Gino, küsste ihn aber trotzdem nochmal.
«Dann darf ich sie anziehen?»
Gino zuckte mit den Schultern. «Kommt drauf an.»
«Worauf?»
«Ob du schneller bist, als ich.»
-
Der Winter war rechtzeitig auf der Lenzerheide angekommen und Schnee in derselben Farbe wie Ginos Fleecejacke bedeckte die gesamte Ebene. Auf allen Hängen bereiteten die Pistenfahrzeuge den Untergrund auf, während an den Gondeln und Skiliften die letzten Vorkehrungen für den Saisonbeginn am Ende der Woche getroffen wurden. Die Langlaufstecken sowie die Wanderwege lagen beinahe unberührt vor ihnen. Bald würde das Tal von Touristen überrannt und sich bis in den April hinein in das reinste Irrenhaus verwandeln, aber jetzt gerade war alles friedlich und leer. Marco schloss die Augen und reckte die Nase in die frische Luft, die vom See her zu ihnen wehte. Hoch oben, über den höchsten Gipfeln, rauschten dunkelgraue Wolken über den Himmel, welche die Sonne nur dann und wann zu durchdringen vermochte. Seine Hand war zusammen mit Ginos in dessen Jackentasche vergraben und nichts störte die Stille, ausser dem Knirschen des Schnees unter ihren Füssen.
«Ich bin gerne wieder zu Hause.», sagte Marco nach einer Weile. «Aber ich hasse es, nach Hause zurückzukommen, besonders aus Übersee.»
Gino lächelte ihn an. Er trug den Hut mit der breiten Krempe, den er sich in Kanada gekauft hatte. In seiner Tasche streichelte er mit dem Daumen über Marcos Hand. «Es ist nicht so schlimm. Wenigstens müssen wir nicht sofort wieder mit dem Training anfangen.»
Der Staudamm über dem See zog eine scharfe Biegung und führte sie zurück auf die Strasse. Morgen würden sie ihre Taschen wieder packen und nach Courchevel weiterreisen, wo sie sich auf die Rennen in Val d’Isère vorbereiteten. Doch gerade waren sie noch zu Hause und nicht in der Stimmung, über die Arbeit zu sprechen.
Marco wechselte das Thema: «Weisst du, es ist wirklich nicht fair.» Durch den kahlen Wald stand ihnen der Blick auf die Hausdächer am Rande des Dorfes frei. Ein einsamer Langläufer schob sich in gemächlichem Tempo am Seeufer entlang. Gino grinste. «Ich war schneller als du.»
«Du hast gemogelt und hattest einen Vorsprung.»
«Sie passt dir ohnehin nicht.»
«Natürlich, sie lässt sich dehnen.»
Gino gab einen protestierenden Laut von sich. Er zog die Jacke reflexartig enger um sich. «Du würdest sie nur ausleiern mit deinen Riesenschultern.» Er rollte die Augen und lächelte sanft als Marco sich in seiner vollen Grösse vor ihn stellte und auf ihn hinabgrinste. Sie liessen den See hinter sich und bogen auf die Hauptstrasse ab, welche sie direkt zur Bäckerei führte.
«Darf ich sie wenigstens dann haben, wenn ich beim Abfahrtstraining bin?»
«Klar, warum nicht?» Der Sarkasmus in Ginos Stimme nicht zu überhören. «Ist ja nicht so, dass du sowieso die Hälfte meiner Klamotten klaust, bevor du in diese Lager fährst. Es ist ein Wunder, dass ich überhaupt noch was zum Anziehen hab’.»
Marcos Grinsen wurde noch breiter. Ganz offensichtlich genoss er die Vorstellung davon.
-
«Mein Gott, mir ist so langweilig.» Justin liess sich mit einem Seufzen zurück aufs Sofa fallen und bedeckte dabei seine Augen wie die zur Ohnmacht neigende Heldin in altenglischen Romanen. «Wann ist noch gleich Essenszeit?»
«In eineinhalb Stunden.», antwortete Loïc, ohne von seinem Laptop aufzusehen, Justins Jammern gekonnt ignorierend.
«Willst du noch eine Runde spielen?», frage Tom und deutete auf das Brettspiel, welches auf dem Tisch lag.
«Dieses bescheuerte Spiel will ich im Leben nicht mehr ansehen!»
«Hey!», mahnte Loïc.
«Wir könnten einen Spaziergang machen?», schlug Marco vor. Er sass neben Gino auf dem Sessel. «Wir können den anderen aus dem Weg gehen, wenn wir draussen sind.»
Justin dachte einen Moment nach. «Okay.», stimmte er schliesslich zu.
«Super!» Marco lachte und löste sich aus Ginos Umarmung. «Ich muss nur meine Jacke holen!»
Ginos liebevoller Ausdruck fiel in sich zusammen, kaum das er das Grinsen auf Marcos Gesicht erkannte.
«Warte, du hast doch nicht-»
Marco hechtete über das Sofa, schob Justin und Loïc aus dem Weg und rannte so schnell weg wie irgendwie möglich. «Sorry, hab’s eilig!»
«Du hast sie nicht mitgenommen!», brüllte Gino und lief ihm nach. Er erreichte ihn erst in ihrem Zimmer, genau in der Sekunde, in der Marco den Reissverschluss bis zum Kinn hochzog. Mit einem triumphierenden Grinsen drehte er sich um und streckte die Arme aus.
«Ich hab’ doch gesagt, dass sie passt.»
Gino konnte sich vor lachen kaum auf den Beinen halten. Die weisse Fleecejacke spannte sich über Marcos Brust, endete nur einige Zentimeter unter seinem Nabel und bedeckte dabei kaum die Hälfte seiner Unterarme.
«Und?», fragte Marco.
Gino holte tief Luft, durchquerte den Raum und zog Marco in einen Kuss. «Ich hab’ noch nie jemanden gesehen, der so süss und gleichzeitig so lächerlich aussieht.», sagte er schliesslich. Marco lächelte ihn an. «Danke dir.»
 Das übrige Team wartete in der Lobby, selbst Loïc, den sie doch noch von seinen Fotografien hatten wegziehen können. Allen entglitten die Gesichtszüge, als sie Marcos Outfit sahen.
«Wisst ihr was?», murmelte Tom und drehte sich weg Richtung Ausgang. «Ich frag’ gar nicht erst. Und ich will’s auch nicht wissen.»
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auxiliarydetective · 3 years
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Writer's Month - Day 19: movie
Bob sah missmutig durchs Teleskop. “Andryusha, egal wie lange du nach draußen schaust, davon wird der Regen auch nicht weniger”, kommentierte Jelena beiläufig. Sie saß vor Justus’ Schreibtisch und spielte gegen ihn Schach - schon die fünfte Runde in Folge. Peter saß neben ihr und sah dem Spiel aufmerksam zu. Er selbst war kein besonders guter Spieler, aber von Justus und Jelena konnte man wirklich noch so einige Dinge lernen. Jelenas Unterlippe glänzte dunkelrot. Sie hatte die Angewohnheit, ihre Unterlippe zwischen ihren Zähnen festzubeißen, wenn sie besonders konzentriert nachdachte, oder angespannt war. Davon wurde ihre Lippe nach einiger Zeit wund. So konnte man ihr beispielsweise auch noch eine ganze Weile später ansehen, wenn sie sich Sorgen um einen gemacht hatte, auch wenn sie es selbst natürlich vehement abstritt. Peter sah amüsiert zwischen Justus und Jelena hin und her. Es sah schon irgendwie lustig aus, wie Jelena auf ihre Unterlippe biss und Justus an seiner zupfte. Die beiden waren sich viel ähnlicher, als man auf den ersten Blick vielleicht dachte und als sie selbst zugeben würden. Endlich schnappte sich Jelena ihren Springer und machte ihren Zug. “Schach”, sagte sie angespannt. Ihre Augen waren wie am Schachbrett festgeklebt. Für Peter sah es fast so aus, als würden sie hinter ihrer tiefblauen Iris alle möglichen Ausgänge von diesem Zug zum fünften Mal durchgehen und überprüfen. Justus’ Augen wanderten langsam von einer seiner Figuren zur nächsten. Auf einmal stöhnte er auf. “Was ist?”, fragte Peter verwirrt. Auch Bob drehte sich um. “Hat er verloren?”, fragte er mit einem leichten schmunzeln. “Nein”, sagte Peter. Er schien die gesamte Welt nicht mehr zu verstehen. “Er kann weg. - Gibst du auf, Just?” Justus und Jelena schüttelten beide langsam den Kopf. Ihre Augen klebten noch immer am Spielbrett. “Я смущен…”, murrte Jelena. Sie ließ sich in ihrem Stuhl zurückfallen. “Hast du gesehen, was ich gesehen habe?”, fragte Justus. Er fuhr sich durch die Haare und lehnte sich mit einem leichten Schmunzeln ebenfalls zurück. Jelena kicherte leise. “Ein Patt”, seufzte sie. “Ein Patt”, wiederholte Justus. Bob lachte. “Das Schicksal will wohl wirklich nicht, dass einer von euch beiden gewinnt.” “Das ist so erniedrigend”, seufzte Jelena. Sie versank halb unter den Tisch. “So eine Schande...” Justus schüttelte den Kopf. “Irgendwann musste es ja dazu kommen.” Peter sah verwirrt zwischen seinen Kollegen hin und her. “Kann mir mal einer verraten, was hier los ist?”, fragte er hilflos. “Spielen wir’s aus?”, fragte Justus. Jelena ächzte. “Zieh mich hoch.” Peter stand auf und zog sie an den Armen wieder in eine aufrechte Position. Er sah ihr erwartungsvoll über die Schulter. “Also, Petya, pass mal auf. Justus, wenn du die Schande vollkommen machen würdest.” Justus seufzte, lehnte sich nach vorne und versetzte seinen König. “So”, sagte Jelena. “Das war das einzige Feld, auf das Justus seinen коро̀ль noch setzen konnte.” “Meinen König.” “Mir egal, wie du das Teil nennst.” “Du kannst es nur nicht aussprechen.” “Молчи. - В любом случае, er steht jetzt zwar nicht mehr im Schach. So. Mein Zug ist das hier.” Sie nahm ihren Läufer und schlug damit Justus’ Turm. Justus seufzte und schmunzelte. “Das ist wirklich der einzig sinnvolle Zug.” “Damit kann Justus nicht mehr ziehen, ohne in Schach zu laufen.” “Kann denn keine andere Figur sich noch bewegen?”, fragte Peter verdutzt. “Das sind alles Bauern, Petyusha. Die laufen nur nach vorne und schlagen nur diagonal. Beides geht hier nicht.” “Und wenn der andere Spieler nicht ziehen kann… aber auch nicht im Schach steht… dann ist das Patt?”, fragte Peter. “Точно.” “Ist das nicht einfach nur unentschieden?” “Patt ist eine besondere Variante von Remis”, erklärte Justus. “Und was ist das?” “Unentschieden, Peter”, sagte Bob aus dem Abseits. Er kam zu seinen Kollegen herüber. “Wie wär’s denn, wenn ihr es für heute sein lasst und wir stattdessen einen Film schauen?”, schlug er vor. Jelena seufzte. “Was sagst du, lassen wir’s gut sein?” Justus nickte. “Unentschieden?” Jelena nickte und hielt ihm die
Hand hin. Da grinste Justus. “Du musst es erst sagen, sonst akzeptiere ich das Ergebnis nicht”, verkündete er. Jelena stöhnte auf. Sie schüttelte genervt den Kopf. Peter und Bob sahen sich kichernd an. “Ничья”, sagte sie trotzig. “Russisch zählt nicht”, entgegnete Justus, vor Freude grinsend. Er liebte es, sich über Jelena lustig zu machen, wenn sie etwas nicht aussprechen konnte. Jelena rollte mit den Augen. “Хорошо, aber nur dieses eine Mal: Unencyeden.” Die drei Jungs grinsten und kicherten leise. Justus nahm ihre Hand, woraufhin Jelena sofort darauf abzielte, ihm als Rache einen Finger auszukugeln. Nur leider hatte Justus mittlerweile Übung und es klappte nicht. Bob suchte währenddessen einen Film aus und Peter hatte sich schon auf dem Sofa breit gemacht. Justus strich Jelena im Vorbeigehen durch die Haare und setzte sich neben ihn. Jelena war knallrot. Sie drehte sich hektisch um. “Peter!”, hisste sie. “Das ist mein Platz!” “Mein Platz! Mein Platz”, krächzte da Blacky in seinem Käfig. “Заткнись, Bleski! - Peter, beweg dich! Und sei still! Ich sag’s nur einmal!” Peter unterdrückte ein Lachen und kicherte nur leise. “Jelena, ich kann gerade absolut keine Angst vor dir haben, auch wenn ich es will”, sagte er mit einem breiten Grinsen. “Du bist gerade einfach zu niedlich.” “Ich bin nicht niyedlikh!”, sagte Jelena empört, wobei ihr russischer Akzent sich wieder einschlich und nur dafür sorgte, dass sie noch röter im Gesicht wurde. Peter wurde mindestens genauso rot, weil er zwanghaft versuchte, nicht zu lachen. Dafür grinste er umso breiter. “Komm her”, sagte er kichernd und weitete seine Arme aus. “Bevor du dich noch mehr aufregst.” Jelena verzog beleidigt das Gesicht. Mit verschränkten Armen ließ sie sich auf seinen Schoß fallen. Bob schüttelte schmunzelnd den Kopf und legte den Film ein. Jelena konnte noch so lange behaupten, dass sie ihre Kollegen eigentlich hasste, ihr Verhalten sagte etwas ganz Anderes. Mit einer theatralischen Verbeugung überreichte er ihr die Fernbedienung. “Du würdest sie sowieso an dich reißen”, meinte er lächelnd. Danach lief er zur kleinen Küchenecke. “Wer will Snacks?” Er wartete die Antwort kaum ab und warf Justus eine Tafel Schokolade zu. Kurz darauf kam er mit einer Schüssel Popcorn und einigen Flaschen Cola und Limonade zurück. Justus klemmte sich den Riegel, den er sich von der Schokoladentafel abgebrochen hatte, zwischen die Zähne und öffnete sich eine Colaflasche. Da leuchteten Jelenas Augen listig auf. “Jushka”, sagte sie unschuldig. Justus drehte sich fragend um. Da biss Jelena ihm einfach das hintere Stück von seinem Riegel ab. “Hey!”, sagte Justus entrüstet, musste aber gleich darauf lachen. Er nahm den abgebrochenen Riegel unter die Lupe. “Tja, Erster, das hast du davon, wenn du dir gleich einen ganzen Riegel abbrichst”, meinte Bob schmunzelnd und brach sich auch ein Stück von dem Riegel ab. Augenblicklich aß Justus das vierte und letzte Stück selbst, damit Peter nicht ankam und es ihm klaute. Allerdings hatte er falsch geplant, denn Jelena hatte sich im selben Moment die Tafel geschnappt und sie Peter gegeben. “Das kommt davon, wenn man Jelena ärgert, Just”, sagte Peter triumphierend. “Du hast mitgemacht”, erinnerte Justus ihn mahnend. “Ich nicht”, sagte Bob mit einem zufriedenen Lächeln. Jelena lächelte. “Sehr freundlich von dir, Robya”, sagte sie und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
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mcyt-techno-chan · 3 years
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Labor Z
Part III
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Mit einem scheppernden Geräusch fiel schließlich das Gitter zu Boden. Aus vor Schreck geweiteten Augen, beobachtete George, wie ein Körper aus dem Schacht zum Vorschein kam und dumpf zu Boden fiel. Worte wie Gefahr und Flucht überfluteten seine Sinne, doch alles, was er in diesem Moment zustande brachte, war, zu starren. Der Körper des Infizierten richtete sich auf. Gleich würde er sich auf ihn stürzen und ihn bei lebendigem Leibe fressen! Verängstigt kniff George seine Augen zusammen. Er hoffte zu träumen. Genau! Das alles war ein schlechter Albtraum und Sapnap oder Karl würden ihn jeden Moment aus seinem unruhigen Schlaf aufwecken! Dann würden sie wenig später wieder gemeinsam frühstücken, sich den Untersuchungen unterziehen und in den Unterricht gehen. Es gab immerhin keine Infizierten in Labor Z! Etwas berührte seine Schulter. George riss seine Augen auf, erwartete die entstellte Fratze eines Infizierten und blickte stattdessen in menschliche Augen. Sein Kopf zuckte zurück, doch sein erschrockener Aufschrei wurde durch die Hand des Jungen vor ihm, die sich rasch auf seine Lippen legte, verstummt. Perplex blinzelte George ein paar Mal. "Nicht schreien", forderte ihn der Junge mit ruhiger Stimme auf, als er seine Hand von Georges Mund entfernte. George nickte nur stumm, da er in diesem Moment nicht in der Lage war, zu sprechen. Der Junge vor ihm blickte zurück in den Gang, aus dem George gekommen war. Dann blickte er zum Lüftungsschacht und schließlich blieb sein Blick an George hängen, der, vor Schreck leicht zitternd, noch immer auf dem Boden saß.
Der Fremde schien einen inneren Monolog zu führen, der George genügend Zeit gab, sein Gegenüber kurz zu mustern. Er trug einen grünen Hoodie und hatte sich die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Zusätzlich verdeckten dunkelblonde Strähnen sein Gesicht und ein Schal bedeckte seinen Mund und seine Nase. George konnte gerade so die Augen seines Gegenübers erspähen. Trotz des vermummten Anblicks schien keine Gefahr von dem Jungen auszugehen. Auch schien er unbewaffnet zu sein. "Wer bist du?", krächzte George schließlich und räusperte sich schnell wegen des schiefen Klangs seiner Stimme. Er hatte leiser gesprochen als erwartet, dennoch erreichte er sein Gegenüber. Von der Stimme zurück in die Realität geholt, wandte sich der Fremde ihm wieder zu. "Dream", sagte dieser knapp. "Was?", machte George einen verwirrten Blick. "Dream?" Der blonde Junge nickte. "Was, ähm... Was machst du hier, Dream?", fragte George vorsichtig und versuchte den großen Jungen einzuschätzen. Auch, wenn dieser im Moment nicht sonderlich gefährlich wirkte, wusste George nicht, ob er Dream als Bedrohung ansehen sollte, schließlich war es äußerst suspekt einfach aus einem Lüftungsschacht zu fallen. "Wie meinst du das?", fragte Dream jedoch. George bemerkte, dass der Fremde ihn nicht direkt ansah. Sein Blick huschte nahezu nervös über den Flur und fixierte alles außer ihn, George. "Na, du bist.... du weißt schon", George deutete nach oben zum Schacht. "Du bist da rausgefallen.... wieso?", stammelte er sich eine Frage zusammen. Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke, dann wandte Dream sich ab. "Ich will nach draußen, aber weiter reichen die Schächte nicht. Dort–" "Nach draußen!", George Augen weiteten sich fassungslos und er rappelte sich auf. "Psst!", zischte Dream, "Hast du etwa was dagegen, dass ich raus will?" "Dort ist es nicht sicher!", sprudelte es aus George, "Du musst verrückt sein! Wir können da draußen nicht überleben. Die Infizierten–" "Sagt wer?", verlangte Dream zu wissen. "Wie bitte?" "Dass wir draußen nicht überleben können. Wer sagt das?" "Na, die Wissenschaftler. Dieses Gebäude befindet sich in einer grünen Zone. Wir sind nur hier drin sicher. Das musst du doch wissen...?", wurde George zum Ende stetig leiser. Dream antwortete nicht. Stattdessen schritt er auf die gesicherte Tür zu, die zum großen Tor führte. Er blickte eine Zeit lang hindurch. George fragte sich, was der große Junge auf der anderen Seite der Scheibe wohl sehen mochte.
Wärter, die bewaffnet vor dem Tor patrouillierten? Infizierte? Die dunkle Einöde, die sie außerhalb Labor Z erwartete? Dann fragte Dream: "Du, wie heißt du?" "Ähm, George." "George...", wiederholte Dream langsam den Namen. Dann griff er in die Tasche seines Hoodies und zog einen dünnen Gegenstand hervor. "Was ist das?", verlangte George zu wissen. "Ein Ausweis", antwortete Dream leise und hielt die schmucklose Karte vor das Lesegerät. "Ein Ausweis? Wessen Ausweis?" "Von einem der Wissenschaftler. Habe ich mir ausgeliehen." "Du hast einen Wissenschaftler beklaut?", George schüttelte fassungslos den Kopf. "Nein, er hat sie mir geliehen", beharrte Dream, dann hielt er die Karte vor das Lesegerät. "Hör zu, George", begann er. "Ich weiß nicht, was du von diesem Ort hältst. Aber glaube mir, wenn ich dir sage, dass sie euch anlügen. Du solltest lieber fliehen, bevor es zu spät ist. Hier drin wirst du keine Zukunft haben..." "Was geht denn hier vor sich!? Weißt du wo Nik–...weißt du wo die verschwundenen Kinder sind!?", wollte George wissen und wagte sich einige Schritte auf Dream zu. "George...", wiederholte Dream stattdessen langsam seinen Namen und schien die weiteren Fragen gar nicht mehr mitzubekommen. Der Hoodieträger zupfte nachdenklich an einer dunkelblonden Strähne, die vor seinen Augen hing, dann nickte er bedächtig vor sich hin. George hob verwirrt über dieses Verhalten eine Augenbraue. "...Dream? Alles in Ordnung? Was ist mit den Anderen geschehen?" "Dasselbe wie mir." Ein Piepen ertönte und die Stahltür öffnete sich langsam. Was soll denn das bedeuten, fragte sich George. Was war mit Dream geschehen, dass er sich so kryptisch über den Verbleib der Anderen austauschte? "Was soll denn das bedeuten?", fragte George daraufhin und machte ein besorgtes Gesicht. Dream hüllte sich in Schweigen, also stellte George eine weitere Frage, die hoffentlich eine Reaktion bei dem Fremden erzeugte: "Wer bist du?" "Das sagte ich doch, ich bin–" "Das meine ich nicht. Ich habe dich noch nie hier gesehen und dabei bin ich schon länger hier. Also, wer bist du?" Für einen kurzen Moment schien der blonde Junge über die Frage nachzudenken, dann wandte er sich halb zu George um und antwortete: "Ich bin Dream." George beobachtete, wie Dream den nächsten Sektor betrat und auf das große Tor zutrat. Er fühlte sich an einen Tag vor drei oder vier Jahren erinnert. Damals hatte ein Junge verlangt, sie, die Bewohner, nicht länger in Labor Z einzusperren, sondern nach draußen zu lassen. Nach langem hin und her hatten die Wissenschaftler schließlich dem Jungen als Einzigem erlaubt das große Tor in die Freiheit zu passieren. Nur wenige Tage später kam dieser wieder, stark verwundet und infiziert. Das Labor Z hatte den Jungen, George meinte sich zu erinnern, dass sein Name Philza gewesen sei, erfolgreich als Abschreckung vor der Welt da draußen für die restlichen Bewohner nutzen können. Seither stand es diesen frei zu gehen oder zu bleiben, doch nach den Ereignissen um Philza hatte es keiner mehr gewagt an die Welt um sie herum zu denken. Doch nun wollte Dream nach draußen! Er wäre der Erste seit vier Jahren, den es nach draußen zog! George trat an die kleine Glasscheibe heran. Der Junge mit dem grünen Pullover schlenderte seelenruhig auf das große Tor zu. George erwartete, dass eine magische Kraft Dream jeden Moment einfach nach draußen ziehen und verschlingen würde. Wie Philza zuvor, würde er als Infizierter zurückkehren! Die Spannung nicht mehr aushaltend, wandte George sich ab und schritt langsam den Gang zurück. Dream, dachte er. Dream war ihm vorher noch nie aufgefallen. In welche Klasse ging er? Definitiv nicht in Karls Klasse, auch nicht in seine. Er musste in die dritte Klasse gehen! Aber niemand hatte den großen Jungen mit Namen Dream jemals erwähnt... Auf einmal fiel das Licht aus und ein stetiges, rotes Blitzen ersetzte das warme Licht der Leuchtstoffröhren. Die Lichter im Gang wurden rot und tauchten alles in ein schauriges Licht. Erschrocken und zugleich neugierig, was den Stromausfall ausgelöst hatte,
rannte er zurück zu der kleinen Scheibe und spähte hindurch. Sein Blick zuckte durch den dahinterliegenden Raum, doch er entdeckte weder Dream noch die Ursache für den Lichtwechsel. Eine Bewegung erregte seine Aufmerksamkeit. Da! Dream! Er hatte es irgendwie geschafft, das Tor zu passieren, doch Wachen hatten sich auf ihn gestürzt und zerrten ihn nun zurück ins Labor. Fassungslos sah George auf die Szene und duckte sich erschrocken weg, als einer der Wärter in seine Richtung sah. Schnell huschte er durch die nächstliegende Tür, hinter der sich ein Abstellraum befand und kauerte sich zwischen zwei Regalen auf den Boden. "Ihr solltet alle nicht hier sein!", ertönte es plötzlich aus dem Flur. George atmete flach und presste sich dichter gegen die kühlen Fliesen. "Sie essen euer Blut! Sie lassen euch nie wieder gehen!" George erkannte Dreams Stimme, begleitet von schweren Stiefeln, die sich schnell entfernten und mit ihnen Dream. Weitere Minuten verharrte George auf dem Boden zwischen den Regalen und wagte es nicht, auch nur einen Muskel zu bewegen. Erst als das Licht auf dem Flur zu seiner normalen Farbe zurückkehrte, bemerkte er, wie angespannt er war und atmete angestrengt aus. Sein Oberteil war schweißnass und klebte an seinem Körper. Nach geschätzt einer halben Stunde, in der sich die Lage scheinbar wieder beruhigt hatte, öffnete George die Tür zum Zimmer und kletterte zurück in sein Bett. Er fühlte sich erschöpft, wie schon lange nicht mehr. Was um alles in der Welt war geschehen?, weitere Fragen kreisten in seinem Kopf. Was hatte Dream gesagt? Den Verschwundenen sei dasselbe passiert wie ihm? Aber was war dem Blonden passiert? Und wo kam er her? Weshalb wollte er nach draußen – weshalb sollte irgendwer nach draußen wollen, wenn es dort vor Infizierten nur so wimmelte? Und was sollte sein Gerede von Blut?! Dream ließ die Wissenschaftler klingen als seien sie Vampire, gar Verrückte! Der Blonde war aus dem Lüftungsschacht gefallen. Es musste also einen Sektor geben, einen, den George zuvor nicht bemerkt hatte, in dem er Dream finden würde und mit ihm vielleicht auch Nikki und Skeppy – vorausgesetzt er ging nicht doch in Klasse-III. Womöglich hatten ihn Fundy und Bad durch ihre Rumfragerei mit Neugierde angesteckt, doch nun wollte George unbedingt wissen, was mit den anderen Klassenkameraden geschehen war. George wollte Antworten, doch er war auch müde. Seine Augen wurden schwer und seine Lider senkten sich langsam. Beim Einschlafen dachte er: Dream, was für ein schöner Name...
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opheliagreif · 4 years
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Force of Nature
„Bist du betrunken? Wenn ja, dann lass mich in Ruhe, Day. Ich bin fertig mit dir.“ „Es gab einen Autounfall.“ Die Art, wie der andere Junge das Wort betonte, ließ in Jean alle Alarmglocken schrillen. Ein Autounfall? War den Foxes etwas passiert? Minyard etwa? Josten? Jean schluckte. „Wer?“, krächzte er und die darauffolgende Stille zerrte und zerrte an seinen Nerven. Es war jemand, der ihm etwas bedeutete, das spürte er instinktiv. Oh nein. Oh nein.
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