„Verletzt“
Situation: Ich saß nachmittags auf dem Sofa vor ca 2 Jahren und schaute mir die Stories einer Bloggerin an. Sie sagte sinngemäß „Du bist selbst verantwortlich dafür, dass du kein Geld hast, weil du dich klein machst, anstatt meinen Workshop zu buchen und von den Profis zu lernen.“ Es traf mich mitten ins Herz. Ich fühlte mich mies.
Um zu erkennen, was ich wirklich in E. sehe, tat ich das einzige logische: Ich füllte ein „Urteile über deinen nächsten Arbeitsblatt“ aus. So sah es aus:
1 Ich bin verletzt wegen E., weil sie mich beschuldigt, nicht genug Geld zu generieren.
2 Ich will, dass sie mir erlaubt dort zu sein, wo ich bin. Ich will, dass sie verständnisvoll ist.
3 Sie sollte die Leute entscheiden lassen, was für sie die richtige Summe ist.
4 Ich brauche von ihr, dass sie mir sagt, dass ich nicht schuld bin an meiner finanziellen Lage.
5 Sie ist asozial, eine geldgeile, eiskalte bitch, abstoßend, intolerant, nicht hilfreich, vorwurfsvoll, verletzend, übergriffig, einfach eine blöde Kuh.
6 Ich will nie wieder beschuldigt werden. Ich will nie wieder, dass sie mich verantwortlich macht für etwas, wofür ich nichts kann.
Diese Gedanken sind alle Gedanken aus einem Moment der Verletzung heraus. Aus dem Moment, in dem ich nachmittags auf dem Sofa saß und mir ihre Stories angeschaut habe, mit denen E. einen ihrer Workshops gelaunched hat. In einer davon drückte sie sich ungefähr so aus „Wenn du noch keinen sechsstelligen Betrag durch deinen Launch erzielst, dann bist du selbst schuld. Dann gibt es für dich die Möglichkeit, bei mir zu lernen.“ Und ich schreibe hier bewusst „ungefähr“, denn den genauen Wortlaut weiß ich gar nicht mehr, weil ihre Worte für mich eben genau das bedeuteten in dem Moment.
Verletzt - Überzeugung 1
Im nächsten Schritt geht es darum, diese Gedanken, mithilfe der 4 Fragen und der Umkehrungen, zu hinterfragen.
1 Ich bin verletzt wegen E., weil sie mich beschuldigt, nicht genug Geld zu generieren.
Ist das wahr?
Und hier geht es nur darum, hineinzufühlen, ob ein Ja oder ein Nein auftaucht.
- Ja!
Kannst du mit absoluter Sicherheit wissen, dass E. dich beschuldigt?
Wieder einfach nur fühlen.
- Nein
Wie reagierst du, was passiert, wenn du glaubst, E. beschuldigt dich, nicht genug Geld zu generieren?
Ich ließ die Frage auf mich wirken. Ich spürte, wie mein Körperinneres begann, sich zusammenzuziehen, bis ich eine Enge in meiner Kehle und meiner Brust fühlte. Meine Arme waren angespannt. Meine Hände ballten sich zu Fäusten. Dort auf dem Sofa an diesem Nachmittag machte ich mich bereit, gegen einen unsichtbaren Feind zu kämpfen, obwohl ich mich da eigentlich hingesetzt hatte, um für ein paar Minuten zu entspannen.
Ich spürte die seelische Verletzung so deutlich! Mir war nach weinen zumute. Mein Verstand hatte mich in dem Augenblick zurück katapultiert in die fünfte Klasse: ich saß im Klassenzimmer und sah vorne vor der Tafel einen Mann stehen und erzählen. Es war nicht unser Lehrer. Es war ein Mann, der uns einen Sponsorenlauf vorschlug, um Geld zu sammeln für die Straßenkinder in Brasilien. Er zeigte uns Dias von den Kindern, die in Lumpen herumliefen. Sie waren arm. Sie hatten kein Geld, um sich neue Kleidung zu kaufen. Sie hatten teilweise kein Zuhause und schliefen in Pappkartons am Rande der Straße. Ich erinnerte mich sehr gut an mein Mitleid gegenüber diesen Kindern. Sie waren größtenteils so alt wie ich. Doch während ich ein Zuhause hatte, während ich jeden Tag etwas zu Essen hatte, hatten sie es nicht. Ich erinnerte mich so gut an diese Kinder, denn ich hatte eines mit ihnen gemeinsam: Sie hatten mindestens ein Elternteil verloren. Das hatte ich auch. In dem Sommer bevor ich auf die Realschule kam, war mein Vater gestorben. Ich spürte die Angst, dass ich eines Tages so enden könnte wie diese Kinder in Brasilien. Es war diese Angst, die mir die Kehle zuschnürte! Es war blanke Todesangst eines 11 Jahre alten Mädchens! Und ich hatte für einen kurzen Augenblick geglaubt, E. hätte diese Angst in mir ausgelöst. So kann man sich täuschen.
Nachdem ich nun gesehen hatte, dass diese Angst nicht von E. ausgelöst war, sondern von Bildern aus meiner Vergangenheit, war es Zeit für die nächste Frage der Work:
Wer oder was bist du, ohne diesen Gedanken in dem Moment?
Wieder ließ ich mir Zeit und wartete darauf, welche Antwort in mir hochkommen würde.
Nach einigen Minuten stellte ich fest, dass mir ohne diesen Gedanken bewusst war, dass ich in Sicherheit auf dem Sofa saß. Ich hatte es gemütlich und warm. Mir ging es gut. Ohne diesen Gedanken und den Horrortrip, den mein Verstand mir in dem Augenblick beschert hatte, stelle ich fest, dass ich tiefes Mitgefühl für E. empfand! Da war zum Einen die pure Freue darüber, dass sie es schaffte, so viel Geld für sich zu generieren und und zum anderen fragte ich mich, welche Geschichte aus ihrer Vergangenheit sie wohl dazu trieb, so viel Geld machen zu müssen. Ich fragte mich, was sie damit wohl kompensiert? Ich beschloss, sie irgendwann danach zu fragen, sobald ich den nötigen Mut dazu gesammelt habe. Ich sah ein Bild vor meinen Augen: Ein kleines, blondes Mädchen in einem Alter von ca. 3 Jahren im Kindergarten, mit bunten Bändern an ihren zwei Pferdeschwänzchen. Ein anderes Kind nimmt ihr die Schippe im Sandkasten weg, sie weint bitterlich. Dann beschließt sie aus Rache, irgendwann so viele Schippen zu besitzen, wie sie nur kann, damit ihr nie wieder jemand den Spaß am Spielen verderben kann. Auch dieses Mädchen könnte ich gewesen sein.
Ich fasste für mich zusammen: Wenn ich den Gedanken glaubte, versetzte mich das in Angst und Schrecken und in den Kampfmodus, dort auf dem Sofa. Wenn ich den Gedanken nicht glaubte, empfand ich reine Freude, tiefes Mitgefühl und Verständnis.
Es war Zeit, mir die Umkehrungen anzuschauen.
Umkehrung 1: Ich bin verletzt wegen mir, weil ich mich beschuldige, nicht genug Geld zu generieren.
Könnte das auch sein?
Oh ja! Ich erinnere mich noch sehr gut an das Gefühl, das ich als 11-jähriges Mädchen hatte, nach dem Sponsorenlauf, bei dem ich genau 2 Runden gelaufen war. Ich machte mir die heftigsten Vorwürfe, dass ich es nicht geschafft hatte, mehr als 5 DM zusammen zu bringen! Damit konnte ich doch kein Straßenkind retten! Ich war eine lahme, fette Schnecke! Ein Loser. Eine Versagerin! - Da war mein Vorwurf!
Dieser Vorwurf wohnte ganz vergessen in mir und das seit über 25 Jahren. In Wahrheit war also ich es, die sich diesen Vorwurf machte.
Als Kind war ich nicht reflektiert genug, zu erkennen, dass es gar nicht meine Aufgabe war, die Kinder zu retten. Es war die Aufgabe des Herren, der das Geld sammelte und hin brachte. Meine Aufgabe war es, die 2 DM beizusteuern, die ich beigesteuert hatte. Und dieses Geld kam damals von meiner alleinerziehenden Mutter, der vor einigen Wochen der Ehemann und damit ein ganzes Gehalt weggestorben war. Ich war damals nicht in der Lage zu begreifen, dass sie meiner Schwester und mir damit hätte eine Mahlzeit finanzieren können, damit es uns eben nicht erging, wie den Straßenkindern.
Umkehrung 2: Ich bin verletzt wegen mir, weil ich E. beschuldige, nicht genug Geld zu generieren.
Der Sinn dieser Umkehrung tauchte ganz schnell in mir auf: Insgeheim beschuldigte ich E. nämlich dafür, dass sie mir gezeigt hatte, dass es möglich war, überhaupt so viel zu generieren auf dem Weg, auf dem sie es tat! Ich hatte mich, bis ich E. kannte, zu den Reichen in der Bevölkerung gezählt mit meinem Lehrergehalt. Autsch. Das tat weh! Ich hatte doch so hart dafür gearbeitet, dort zu sein, wo ich jetzt bin. Ich hatte so viele schlaflose Nächte deswegen und es gab so viele andere schöne Dinge, ich ich lieber gemacht hätte, als für diese vielen Prüfungen zu pauken. Glaubte ich jedenfalls. Wie konnte E. etwas sagen, was all das in meinem Kopf einfach zunichte machte? Eine typische Frage des Ego! Und ja, es tut jedes Mal weh, wenn ich so über andere denke. Teste es auch mal für dich aus. Ich verletze mich jedes Mal selbst, wenn ich schlecht über andere denke. Und das, was ich in dem Moment über E. dachte, steht unter Punkt 5 im Fragebogen. Kein Wunder, dass es weh tat! Die Gefühle, die wir scheinbar anderen gegenüber hegen, die finden schließlich alle in unserem eigenen Körper statt!
Umkehrung 3: Ich bin nicht verletzt wegen E., weil sie mich beschuldigt, nicht genug Geld zu generieren.
Nein, ich hatte erkannt, dass es meine eigene Beschuldigung mir gegenüber und E. gegenüber waren, die mir eigentlich weh taten. E. war daran unschuldig.
Wäre es möglich, dass E. mich gar nicht beschuldigte, nicht genug Geld zu generieren? Absolut, denn sie hatte mich persönlich wahrscheinlich gar nicht vor Augen, als sie ihren Text schrieb. Sie schreibt ihre Texte einfach. Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass sie mich nicht beschuldigt, denn ich habe ihr ja absolut nichts getan, wofür sie mich beschuldigen könnte. Außerdem weiß sie ja gar nicht, wie viel Geld ich verdiene, wie kann sie mich dann beschuldigen, zu wenig davon zu generieren? Unmöglich!
Außerdem, wenn ich mich beschuldigen kann, während ich andere beschuldige, wenn ich Schuld empfinden kann, während ich jemand anderen verantwortlich mache für etwas, was in meinem Leben geschieht, dann kann E. das gleiche mit ihren Texten tun, oder? Wenn sie also sinngemäß schreibt „Du machst zu wenig Geld“ dann ist das in erster Linie sehr wahrscheinlich ein Vorwurf, den sie sich selbst macht. Sie spricht genauso mit sich selbst, wie sie mit ihren Followern spricht - und das hat mir mir rein gar nichts zu tun.
Fortsetzung folgt
1 note
·
View note
Gegenseitig Gutes tun
Ambulanter Hospizdienst Bethanien erhält Erlös aus Sponsorenlauf und spendet zwei
Sanitätskoffer an Organisator:innen
Beim 19. Jungbornparklauf, der im vergangenen Jahr erstmals als Sponsorenlauf stattfand,
kamen 5.555 Euro an Spendeneinnahmen zusammen, die 2023 dem Ambulanten
Hospizdienst Bethanien zugutekamen. Als Dankeschön für den erhaltenen Spendenerlös
schenkte die Stiftung Bethanien Moers den Organisator:innen zwei voll ausgestattete
Sanitätskoffer.
Claudia Möller, Leiterin des Ambulanten Hospizdienstes Bethanien, und
Hospizkoordinatorin Mirka Kunze bedankten sich stellvertretend für die großzügige Spende
und übergaben die Sanitätskoffer an Georg Gaidt und Sigrid Langer, Vorstand des VfL 08
Repelen e. V., die ebenfalls in Stellvertretung für alle Organisator:innen vor Ort waren. Zu
den weiteren Organisator:innen des Jungbornparklaufs gehören die Freien Schwimmer
Rheinkamp, Repelen aktiv, der Felke Verein, der TC SG Repelen, das Autohaus Rheims und
die Sparkasse am Niederrhein. Claudia Möller erklärt: „Es ist nur eine Kleinigkeit im
Gegensatz zu dem Guten, was diejenigen, die hinter dem Sponsorenlauf stecken, für uns
getan haben.“ Georg Gaidt betont: „Im Gegenteil. Am Ende sind es die kleinen Gesten, die
zählen. Wir möchten uns herzlich bedanken. Auswärts können wir die Sanitätskoffer sehr
gut gebrauchen – für den Fall, dass doch einmal etwas passiert.“
Der nächste Jungbornparklauf steht ebenfalls schon in den Startlöchern. Am 27.10.2024
heißt es wieder: Bewegende Menschen, bewegen Menschen. Dazu können Kinder,
Jugendliche, Erwachsene, ältere Menschen, Rollstuhlfahrer:innen, körperlich oder geistig
eingeschränkte Menschen oder Eltern mit Kinderwagen gleichermaßen mitwirken. Jede
bzw. jeder Läufer:in spendet automatisch einen Euro oder mehr je 1.000 gelaufene Meter.
Bildzeile:
Claudia Möller, Leiterin des Ambulanten Hospizdienstes Bethanien, (links) und ihre Kollegin
Mirka Kunze, Hospizkoordinatorin, (rechts) übergaben die Sanitätskoffer stellvertretend an
Georg Gaidt und Sigrid Langer vom VfL 08 Repelen e. V.
Read the full article
0 notes