Südengland 2023 - Tag 5
Ladies and Gentlemen!
Unser Timing hätte für Canterbury nicht besser sein können! Da heute Montag ist und in der Kathedrale keine Gottesdienste statt finden, machen wir uns heute auf die Socken, um besagtes Gotteshaus zu besichtigen.
Was hatten wir mit unserer Unterkunft ein glückliches Händchen, denn auch die Kathedrale können wir locker zu Fuß erreichen und brauchen uns um keine Parkmöglichkeit kümmern. Gerade einmal 700 Meter müssen wir bewältigen. Toll!
Canterbury ist die Wiege des englischen Christentums und seit dem Mittelalter spiritueller Mittelpunkt des Königreiches. Hier befindet sich mit der Kathedrale von Canterbury die älteste Kirche des Landes.
Die Kathedrale von Canterbury gilt als das Rom der Anglikaner und ist gleichzeitig auch ein Pilgerort für Katholiken. Die Kathedrale zählt nicht nur zum UNESCO-Welterbe, sondern ist auch Mutterkirche von weltweit über 70 Millionen Anglikanern.
Die Geschichte der Kathedrale begann mit Augustinus, einem römischen Mönch und Missionar, der im 6. Jahrhundert von Papst Gregor nach England geschickt wurde, um die heidnischen Angelsachsen zum Christentum zu bekehren.
Er wurde der erste Erzbischof von Canterbury und die von ihm für diesen Zweck geweihte Kirche wurde über die nächsten Jahrhunderte durch Anbauten wie ein Kloster und ein Baptisterium erweitert.
Angriffe der Dänen und mehrere Feuer zerstörten die Kirche allerdings, so dass 1067 mit einem neuen Bau begonnen wurde.
Unsere Freunde wurde jedoch etwas getrübt, als wir in die Nähe der Kathedrale kamen: überall waren Absperrung und gar ganze Straßen gesperrt.
Nanu, das war doch gestern, bei unserer Stadtführung, alles noch offen. Was ist denn hier los? Ständig werden die Leute, die zur Kathedrale wollen, in eine andere Richtung geschickt. Gestern liefen wir noch durch die Buchery Lane, heute dürfen wir das nicht mehr.
Es stellt sich heraus: es sind Dreharbeiten im historischen Stadtkern im Gange! So zwischendurch können wir auch mal einen Blick erhaschen und es lässt sich erkennen, dass die Darsteller historische Kleidung tragen.
Kurz vor 11 Uhr erreichen wir endlich das Christ Church Gate. Es ist schon allerhand los. Deswegen entscheiden wir uns, bevor wir zum Ticketschalter gehen, erst einmal eine Runde um die Kathedrale zu drehen - zumindest so weit wir da kommen.
Gesagt, getan. Wir halten uns in östlicher Richtung und erreichen das War Horse Memorial. Anlässlich des 100. Jahrestages des Endes des Ersten Weltkriegs und des Waffenstillstandstages haben Studenten gemeinsam ein großes Holzpferd gebaut.
Es symbolisieren den letzten Masseneinsatz des Pferdes in der modernen Kriegsführung. Das War Horse Memorial ist das erste nationale Denkmal, das den Millionen Pferden, Maultieren und Eseln aus Großbritannien, dem Commonwealth und den Alliierten gewidmet ist, die während des Ersten Weltkriegs verloren gingen. Insgesamt sollen es sage und schreibe 8 Millionen Tiere gewesen sein!
Wir machen mit unserer Umrundung weiter und gelangen zu den Klostergärten. Wir folgen dem Gang und kommen zum Kreuzgang, den wir einmal umrunden.
Auch hier sind unzählige Menschen unter den Steinplatten begraben. Die Körperbestattungen wurden alle von West (Kopf) nach Ost (Füße) ausgerichtet.
Plötzlich stehen wir in der Kathedrale. Irgendwie sind wir durch eine der unzähligen Seiteneingänge unbemerkt in die Kathedrale gelangt und ohne Eintritt zu zahlen.
Da wir keine Zechpreller sind, geht es natürlich sofort zum Ticketschalter und wir entrichten die Gebühr in Höhe von 15,50 £ pro Person. Dazu kommen für uns noch einmal jeweils 5 £ für den Audioguide, der sich als wirklich erstklassig erweist und uns über 4 Stunden beschäftigt.
Wer möchte kann sich auch einer der geführten Touren anschließen. Diese dauern circa eine knappe Stunde und haben verschiedene Themenschwerpunkte. Die Kosten für diese geführten Touren belaufen sich auf 3 £.
Zusätzlich stehen überall ehrenamtliche Helfer parat, die den Besucher helfend zur Seite springen oder Fragen beantworten. Zu erkennen sind sie an ihren Schärpen, die kaum zu übersehen sind.
Die Kathedrale, die neben Westminster Abbey in London als schönster sakraler Bau Großbritanniens gilt, war Bestandteil vieler historischer Ereignisse. Sie war Zeuge am Mord eines Erzbischofs, denn hier rebellierte Thomas Becket gegen seinen König Heinrich II.
In der Welt des mittelalterlichen England war Becket ein Aufsteiger. Der Sohn eines normannischen Kaufmanns aus London verdankte es dem Vermögen seiner Familie, dass er auf guten Schulen und der Universität von Paris eine exzellente Ausbildung erhielt.
Als Archidiakon an der Kathedrale von Canterbury und Propst von Beverley stand ihm eine kirchliche Karriere offen, die durch einen Zufall einen ungemeinen Schub erhielt.
1154 war mit Heinrich II. ein neuer König auf den Thron von England gelangt. Gerade einmal 22 Jahre alt, will er mit eiserner Hand ein Reich der Ordnung und Stabilität in England errichten, ein straffes Verwaltungs- und Rechtssystem aufbauen und die Machtblöcke Kirche und Staat vereinen.
Eine Notwendigkeit, denn Unruhen und Thronwirren haben aus dem Erbe Wilhelms des Eroberers einen Scherbenhaufen gemacht. Dafür brauchte er loyale Verbündete.
Trotz oder vermutlich gerade wegen des Altersunterschieds von 15 Jahren entwickelte sich zwischen beiden Männern bald ein tiefes Vertrauensverhältnis. Thomas wurde zum verlässlichen Gehilfen des Königs bei dem Versuch, seine Rechte gegenüber Adel, Kirche und Städten durchzusetzen und auszuweiten.
Heinrich II. ist Herr über ein Riesenreich. Auf dem Festland gehören ihm die Normandie und die Grafschaft Anjou; seine Heirat mit der ehemaligen französischen Königin Eleonore von Aquitanien bringt ihm zusätzlich noch weitere Besitzungen ein. So erstreckt sich sein Herrschaftsgebiet von Schottland bis an die Pyrenäen. Nie zuvor hat ein englischer Monarch über ein so großes Territorium geherrscht.
Dennoch gab es noch einen bedrohlichen Machtfaktor im Reich: die Kirche. Zwar war ihr Hauptsitz in Canterbury, doch ihre Loyalität gehörte Rom. Und Heinrich hegte ein tiefsitzendes Misstrauen gegenüber den mächtigen englischen Bischöfen.
1162 bot sich eine günstige Gelegenheit: Der Erzbischof von Canterbury war gestorben und so war der zweitwichtigste Posten im Reich vakant – der des Oberhauptes der englischen Kirche.
Es lag es auf der Hand, dass Heinrich auf die Idee verfiel, Becket zum Nachfolger in Canterbury zu machen. Das folgte der königlichen Linie, stärkeren Einfluss auf die Kirche zu nehmen.
Doch auf einmal verweigerte sich Thomas dem Ansinnen Heinrichs, sein williger Anwalt zu sein. Stattdessen übernahm er unvermutet einen geistlichen Lebensstil und begann, dem Herrscher zu widersprechen.
Fanatisch stellt er sich in den Dienst der Kirche, tritt unerbittlich und mit kompromissloser Entschlossenheit für ihre Rechte ein, macht unmissverständlich deutlich, dass seine Loyalität nicht mehr länger der Krone, sondern der Kirche gilt. Mit verbissener Entschlossenheit fordert er die Rechte der Kirche bei König und Adel ein.
Das königliche Gericht verurteilte Becket daraufhin wegen Hochverrats, worauf üblicherweise Hängen, Ausweiden und Vierteilen stand. Thomas floh 1164 nach Frankreich, wo man ihm gern Asyl gewährte.
Sechs Jahre bleibt der Erzbischof im französischen Exil. Als er wieder zurückkommt, scheinen die Wogen sich geglättet zu haben. Doch die Ruhe trügt.
Vier Ritter – Reginald FitzUrse, Hugh de Moreville, William de Tracy und Richard Brito – machten sich auf nach Canterbury. Sie fanden Thomas Becket am Altar. Dann begannen die Bewaffneten mit ihren Schwertern auf ihn einzuschlagen. Schließlich spaltete ein Hieb den Schädel des Erzbischofs.
Umgehend wurden dem Toten und seinen Reliquien wundertätige Dinge zugeschrieben. Bereits im Februar 1173 wurde er vom Papst heiliggesprochen. Die Reaktionen in ganz Europa waren enorm.
Sein Tod entfachte einen regelrechten Reliquienkult in Canterbury und machte die Stadt zum Wallfahrtsort. Das Heiligtum von St. Thomas Becket wurde später auf Befehl Heinrichs VIII. zerstört und die Reliquien gingen verloren.
Seit Heinrich VIII. in der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts mit dem Papst und der römisch-katholischen Kirche brach, ist der Erzbischof von Canterbury das Oberhaupt der anglikanischen Kirche. Er allein hat das Recht, Monarchen zu krönen und damit deren Herrschaftsanspruch zu legitimeren. Zuletzt geschehen am 6. Mai, als der Erzbischof König Charles III. in der Westminster Abbey krönte.
Die Canterbury Cathedral beeindruckt zunächst durch ihre schiere Größe: der Bell Harry-Turm ist 72 m hoch, das Gebäude selbst 160 m lang. Im Inneren versetzen den Besucher filigrane, mittelalterliche Buntglasfenster und das dekorative Fächergewölbe ins Staunen. Die Kirche besitzt 21 Glocken, 14 davon im Glockenspiel, deren Guss teilweise 700 Jahre zurückliegt.
In dem beeindruckenden Innenraum befinden sich die Grabmäler einiger bedeutender Persönlichkeiten, wie z.B. von Heinrich IV., Johanna von Navarra und dem "Schwarzen Prinzen" Edward Plantagenet.
Die meisten Statuen, die derzeit die Westfront der Kathedrale schmücken, wurden in den 1860er Jahren bei der Renovierung der Südveranda aufgestellt.
Zu dieser Zeit waren die Nischen frei und der Dekan der Kathedrale dachte, dass das Erscheinungsbild der Kathedrale verbessert werden würde, wenn sie gefüllt würden. Der viktorianische Bildhauer Theodore Pfyffers wurde beauftragt, die Statuen zu schaffen. Die meisten davon wurden Ende der 1860er Jahre installiert.
Derzeit gibt es 53 Statuen, die verschiedene Persönlichkeiten repräsentieren, die das Leben der Kathedrale und der englischen Kirche beeinflusst haben, darunter Geistliche, Mitglieder der königlichen Familie, Heilige und Theologen.
Noch heute ist die Kirche ein beliebtestes Ziel für Gläubige aus aller Welt und mehrere Gottesdienste täglich kommen diesem Andrang entgegen. Auftritte der verschiedenen Chöre der Kathedrale gehören zu den Höhepunkten im Gotteshaus; der Jungenchor singt an sechs Tagen die Woche und ist mit seiner 1.400 Jahre alten Tradition einer der am längsten bestehenden Chöre weltweit.
Heute hatten wir das Glück einem Gast-Chor aus South Carolina zuhören zu dürfen, die ein gut einstündiges Konzert gaben. Die Akustik ist macht einfach nur Gänsehaut, wenn 60 Stimmen singen.
Insgesamt dauerte unser Besuch in der Kathedrale knapp 5 Stunden. Um dieses verwinkelte Gotteshaus komplett zu erfassen, reicht ein Menschenleben nicht aus.
Während unseres Besuches wuselte die Filmcrew auch eifrig umher. Ständig wurden neue Dinge herbei geschafft: hier ein riesiges, frisches Blumenbouquet herein getragen, dort mit der Sackkarre Kisten hin geschoben.
Morgen ist die Kathedrale übrigens geschlossen, dann finden hier weitere Dreharbeiten statt. Im Außenbereich laufen die Vorbereitungen dafür ebenfalls schon auf Hochtouren.
Wir verlassen das Gelände und wollen noch ein Stück die High Street hinauf schlendern, allerdings ist dort ebenfalls wegen der Filmerei gesperrt.
Na gut, dann folgen wir einfach noch dem Tipp, den uns Kerstin gestern noch mit auf den Weg gab und wir gehen noch bis zu den Dane John Gardens. Dabei hat der Name überhaupt nichts mit “Dänen” zu tun.
Der Name Dane John ist eine Verballhornung des normannischen Wortes „Donjon“, was „befestigter Hügel“ bedeutet. Noch heute befindet sich innerhalb des Gartens ein Hügel.
Die Römer bauten die Stadtmauer unter Einbeziehung eines antiken Hügels. Später bauten die Normannen ihre erste Burg auf dem Hügel, die jedoch bald durch die heutige normannische Burg im Westen ersetzt wurde. Das Gebiet scheint danach nicht mehr bebaut worden zu sein und blieb offenes Gelände.
Vor den Gärten wurden schöne Häuser gebaut, wie man sie noch heute sehen kann. Auf der Ostseite befindet sich eine Häuserzeile mit Mansarddächern, typisch für das späte 18. Jahrhundert und auf der Westseite eine Häuserreihe aus dem frühen 19. Jahrhundert.
Ein Kriegsdenkmal aus kornischem Stein „Polyphant“ wurde 1903 zum Gedenken an die vielen Mitglieder des örtlichen Regiments „The Buffs“ errichtet, die im Burenkrieg, in Südafrika, ihr Leben verloren.
Am Ende befindet sich das Canterbury Castle, das der normanischen Zeit zugeschrieben wird. Leider ist es wegen Baufälligkeit gesperrt und kann leider nicht besichtig werden.
Jetzt sind es nur noch 850 Meter bis wir wieder zurück an unserer Unterkunft sind. In Canterbury ist wirklich alles fußläufig zu erreichen.
Good Night!
Angie, Micha und Mr. Bunnybear (Hasenbär)
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